Altchristlicher Brauch der Fastenzeit und Osterwoche

25. Februar 2015 | von

Wer sich während der Fastenzeit oder der Osteroktav in Rom aufhält, hat die Gelegenheit, einen liturgischen Brauch kennen zu lernen, der seinen Ursprung auf die ersten christlichen Jahrhunderte zurückführen darf: den Stationsgottesdienst.



In der christlichen Antike versammelten sich die Gläubigen der Ewigen Stadt mit ihrem Bischof in einer bestimmten Kirche zum Gebet und zogen dann in Prozession, unter dem Gesang der Psalmen und des Kyrie eleison, zu einem weiteren Gotteshaus – dort feierten sie die Eucharistie. Diese Art Zusammenkünfte hießen „statio“ bzw. „stationes“ und die Kirchen, in denen sie stattfanden, „Stationskirchen“.



WACHTDIENST DER KIRCHE

Das Wort „statio“ stammt aus der römischen Soldatensprache und bedeutet soviel wie Wache oder Wachtposten. Wie der Wachtdienst im Heer an einen festen Ort gebunden war und gewissenhafte Pflichterfüllung erforderte, so wurden die Stationsgottesdienste als eine Art Wachtdienst der Kirche empfunden. Der Kirchenschriftsteller Tertullian bestätigt in seiner Schrift „De oratione“ die Ableitung aus der Militärsprache, „weil die Christen die Streitschar Gottes sind“.

Die Stationsgottesdienste galten als Zeichen der Einheit der ganzen stadtrömischen Gemeinde mit ihrem Bischof. Wie eng die Bindung der Päpste zu den Stationsgottesdiensten in ihrer Stadt war, besonders dann, wenn sie nicht an ihnen teilnehmen konnten, zeigt eine Notiz aus dem Jahre 1140. Nach der Feier des Stationsgottesdienstes tauchte man einen Bausch Baumwolle, „papyrus“ genannt, in das Öl der Lampe, die vor dem Altar brannte, und überbrachte ihn dem Papst mit den Worten: „Heute war die Station des heiligen N., der Dich grüßt.“ Der Papst antwortete mit einem „Dank sei Gott“, segnete den Papyrus und küsste ihn zu Ehren des Heiligen, dem die Kirche geweiht war. Alle so überbrachten Papyri wurden bis zum Tode des Heiligen Vaters sorgfältig aufbewahrt und dem verstorbenen Papst in einem Kissen unter das Haupt gelegt.



EIN ANLIEGEN DER PÄPSTE

Als die Nachfolger des heiligen Petrus im 14. Jahrhundert ihren Sitz in das französische Avignon verlegten, war der Niedergang der Stationsgottesdienste nicht mehr aufzuhalten. Nach ihrer Rückkehr in die Ewige Stadt versuchten zwar einzelne Päpste, den Stationsgottesdiensten wieder ihre Bedeutung zurückzugeben; es gelang ihnen aber zumeist nur für ihre eigene Regierungszeit.

In der Neuzeit setzte der heilige Johannes XXIII. (1958-1963) ein Zeichen. Am Aschermittwoch des Jahres 1959 begab sich der Papst überraschend auf den Aventin, um den Stationsgottesdienst in Santa Sabina zu feiern. Seitdem haben die Päpste, wenn sie nicht durch Krankheit oder Gebrechlichkeit daran gehindert waren, diesen Brauch beibehalten.

Im 20. Jahrhundert erfuhren die Stationsgottesdienste der Fastenzeit und Osteroktav eine Wiederbelebung. Ihre Durchführung wurde dem „Collegium Cultorum Martyrum“ anvertraut. Das Kollegium war 1879 von christlichen Altertumsforschern gegründet worden, um den Märtyrerkult zu fördern und die Geschichte der ersten Glaubenszeugen aufzuzeigen. An den Begräbnisorten der Märtyrer und den Versammlungsorten der frühen Christen sollten Gottesdienste gefeiert und zu archäologischen Vorträgen und Konferenzen eingeladen werden. Papst Johannes Paul II. erhob das Kollegium 1995 in den Rang einer Päpstlichen Akademie. Jahr für Jahr organisiert die Akademie im Auftrag des Papstes die Fastengottesdienste und sorgt für deren würdige Gestaltung. Sie verteilt den Kalender der Feiern und gibt den Gläubigen liturgische Behelfe zur Hand.



KULT DER MÄRTYRER

In Prozession, unter dem Gesang der Allerheiligenlitanei, zieht man in das Gotteshaus hinein. Dort sind Hauptaltar und Seitenaltäre mit den Reliquien der Kirche festlich geschmückt. Es schließt sich die Feier der Messe an, oft zelebriert von einem Kardinal oder Bischof. Gegen Ende des Gottesdienstes, wenn in der Kirche das Kreuz oder ein echtes Partikel von ihm mit dem Gesang des „Vexilla regis prodeunt“ verehrt und der Segen mit ihm erteilt wird, begibt sich ein Mitglied des Collegium Cultorum Martyrum zur Kirchenpforte. Dort befestigt es ein kleines rotes, mit christlichen Symbolen geschmücktes Banner, das an das „labarum“ des antiken römischen Heeres erinnert. Das „Feldzeichen“ beruft die Gläubigen, die das Gotteshaus verlassen, zur Statio des folgenden Tages ein und benennt Ort und Zeitpunkt. Papst Benedikt XVI. rief 2008 in einer Predigt in Erinnerung: „Die Stationsgottesdienste geben eine Vorstellung davon, was in den Anfangszeiten in Rom und in anderen Städten, wohin die Botschaft des Evangeliums gelangte, die Eucharistiefeier gewesen ist: In jeder Ortskirche gab es nur einen Bischof, und um ihn, um die von ihm gefeierte Eucharistie, schloß sich die Gemeinde zusammen, eine einzige Gemeinde, weil es ein gesegneter Kelch und ein gebrochenes Brot war.“





Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016