Aubrechen - Ja, aber wohin?

17. April 2009 | von

 40 Tage nach Ostern feiern wir das Fest Christi Himmelfahrt. Der auferstandene Jesus wird im Beisein seiner Jünger plötzlich emporgehoben und von einer Wolke ihren Blicken entzogen. Da drängt sich zunächst die Frage auf: Wohin ist Jesus verschwunden? Doch die Frage dieses Festes ist eine andere: Wie kann ich meine Fähigkeiten, da wo ich stehe, einsetzen, damit die Menschen meiner Umgebung erfahren, wie lebensbejahend und froh machend Gottes Botschaft ist? 




„Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein. Alle Ängste, alle Sorgen, sagt man, blieben darunter verborgen und dann würde, was hier groß und wichtig erscheint, plötzlich nichtig und klein." Wenn der Refrain des wohl bekanntesten Liedes von Reinhard Mey erklingt, werden Träume wach – einfach mal „abheben", das Alltägliche mit seinen irdischen Problemen zurücklassen dürfen. Ein Hauch von grenzenloser Freiheit und Weite liegt in der Luft!



Auf und davon?



An Christi Himmelfahrt werden Lieder angestimmt, die ein besonderes „Abheben" umkreisen; so kann man auf den ersten Blick meinen. „Christ fuhr gen Himmel", da hebt doch einer ab und ist weg. Hat er sich aus dem Staub gemacht? Dieses Gefühl hatte ich als Kind, ausgelöst und verstärkt durch eine unscheinbare „Amtshandlung" während der Messfeier. Als kleiner Messdiener war es ein sinnenfälliger Moment, als 40 Tage nach Ostern unsere Mallersdorfer Franziskanerin, Schwester Sakristanin, mit dem Löschhorn in der Hand nach dem Evangelium die Osterkerze ausgeblasen hat. Ich dachte, jetzt ist er also weg und lässt seine Jünger und Jüngerinnen so ziemlich allein, ein trauriger Abschied vom Herrn Jesus. Diesen Eindruck musste ich nach und nach korrigieren.



Christi Himmelfahrt will nicht „nach oben" bringen, sondern nach vorne, in die Zukunft, in eine unzerstörbare Zukunft. Ich möchte diese Hoffnung, die in Christi Abschied beschlossen liegt, in zwei Richtungen verdeutlichen. Vorab jedoch bedarf es einer Klarstellung: Wir müssen die Frage nach dem Wie des Geschehens an diesem 40. Tag hintanstellen und dürfen uns nicht darin verlieren. Generationen von Gläubigen, Scharen von Heilig-Land-Pilgern wollten den Ort der Himmelfahrt konkret „dingfest" machen, zeigten sogar Fußabdrücke, wo Jesus in den Himmel gestartet sein soll. Heutzutage ist der geistliche Kern des Festes leider auch überschattet durch manche Auswüchse am Vatertag, vielleicht noch mehr durch Vergessenheit und Unwissen, so dass das Datum zehn Tage vor Pfingsten nur noch als Auftakt zu einem verlängerten Wochenende gesehen wird.



Heimkehr zum Vater



Zugegeben: Lukas schildert in seiner Apostelgeschichte den Vorgang der Himmelfahrt sehr anschaulich. Überragende Glaubensgestalten, Elija und Henoch aus dem Alten Testament, lassen grüßen mit ihren außergewöhnlichen Entrückungen am Lebensende. Am Rande sei erwähnt, dass Franziskus als neuer Elija auf dem Feuerwagen heute die Front unserer Kirche in Rivotorto bei Assisi ziert. In der Apostelgeschichte wird Jesus emporgehoben: „Eine Wolke nahm ihn auf." So heißt es einfach und doch hintergründig im heiligen Text. Frauen und Männer, die damals die Frohbotschaft hörten, wussten um den großen Zusammenhang, auf den die Wolke verweist: Gottes Herrlichkeit, Orientierung und Gewissheit von weit her. Maximus von Turin setzt im

5. Jahrhundert nach Christus die Wolke der Himmelfahrt und der Verklärung Jesu gleich. Aus ihr tönt die einzigartige Anrede des Vaters im Himmel: „Du bist mein geliebter Sohn!" Jesus erreicht sein Ziel und ist zugleich Anfang, Brückenkopf der Hoffnung für alle seine Anhänger, oft dargestellt wie eine Kette, deren erstes Glied ganz angekommen ist und alle nach sich zieht. Heimkehr zum Vater ist angesagt. Am Ende des irdischen Wirkens Jesu gilt kein apathisches Über-allem-stehen, es würde das ganze Reden und Tun des Herrn entkräften. Am Ende steht das prallvolle Leben des Menschen in der Dreifaltigkeit. Hildegard von Bingen wird das Geheimnis unserer Existenz, den dreieinen Gott, im 12. Jahrhundert loben und preisen als „Klang und Leben". Dort wird keine Langeweile herrschen, wie es uns der bekannte Münchner im Himmel vorspielt. Christi Himmelfahrt feiern heißt dann, mit Jesus Christus in den unbedingt vertrauenswürdigen Gott hinübergehen.



Heil werden auf Erden



Die zweite Grundrichtung der Hoffnung gilt der Erde. Jesus verweist seine Freunde auf dem Berg der Himmelfahrt auf irdische Realitäten. So als wollte er sagen: Schaut nicht hinauf! Bleibt den Menschen treu, teilt ihre Freuden und Ängste, ihre Hoffnungen und Traurigkeiten! In der Oberkirche von Assisi hat Giotto wohl mit vollster Absicht die Vogelpredigt des Franziskus unmittelbar unter das biblische Himmelfahrtsmotiv gemalt. Die Hände des Ordensvaters segnen die Vögel vor ihm, die Mitbrüder schauen ihm über die Schultern, denn sie sollen seine Zuwendung nachahmen. Eine Hand geht zum Himmel, eine zur Erde. Der Auftrag des auferstandenen und heimkehrenden Herrn gilt allen Geschöpfen. In diesem großen Dienst der Aussöhnung mit aller Kreatur steht der durch Franziskus und Klara geprägte Mensch damals und heute innerhalb und außerhalb von Klostermauern. Wir sollen Spuren des Aufatmens ziehen aus der Kraft des Geistes, den Gott unbegrenzt gibt. Dazu gehören dem Zeugnis des Matthäus nach: Abergeister auszutreiben; in neuen Sprachen zu reden; Schlangen anzufassen, ohne den tödlichen Biss zu fürchten; Tödliches zu trinken, ohne dabei zu sterben; Kranken die Hände aufzulegen. Wenn wir diese Aufträge in unsere Zeit hinein übersetzen, dann suchen, entdecken und danken wir für Erfahrungen, wo immer Menschen befreit, bewahrt, geheilt werden. Es sind Spuren erfüllter Verheißungen. Sie können sehr unauffällig sein. Ich erinnere mich an ein Kondolenzschreiben für einen Sohn, dessen Vater gestorben war, kurz und knapp, aus ganzem Herzen: „Ich bin dir nah." Und das war tröstlich genug. Die Kraft für diese Aufmerksamkeiten im Alltag gewinnen wir aus der Gebetsgemeinschaft. Mussten nicht die Apostel mitsamt den Frauen in der Nachfolge und der Mutter Jesu in den geistlichen Rückzugsraum, „Obergemach" genannt, einmütig im Gebet verharrend, um für ihre Sendung zugerüstet zu werden? Hier hat die erste Novene der Christenheit, neun Tage von Chris-ti Himmelfahrt bis Pfingsten, ihren biblischen Ausgangspunkt.



Bei einem befreundeten Ehepaar entdeckte ich in der Diele unter einem Torso-Korpus folgenden Text: „Christus hat keine Hände, nur unsere, um sein Werk heute zu tun. Er hat keine Füße, nur unsere, um Menschen auf seinen Weg zu führen. Christus hat keine Lippen, nur unsere, um den Menschen von ihnen zu erzählen. Wir sind die einzige Bibel, die die Öffentlichkeit heute noch liest." Eine Bibel auf Erden, nicht über den Wolken!



 

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016