Aud den Spuren von Shahbaz

23. Mai 2017 | von

Wie gewohnt, haben wir auch in diesem Jahr ein Projekt gesucht, mit dem wir als Antonius-Familie auf die drängenden Nöte unserer Zeit antworten wollen. In Pakistan werden Christen verfolgt. Lassen Sie uns ihnen in ihrer Bedrängnis helfen!

Für den eigenen Glauben zu sterben, ist für uns Europäer etwas, das nicht mehr in unsere Zeit passt. Die plötzliche Erfahrung aber, einer verfolgten Minderheit anzugehören, hat meine und Pater Fabio Scarsatos Sicht verändert. Sie müssen sich uns am Flughafen von Lahore in Pakistan vorstellen, einer Region im Osten Pakistans, die allein 93 Millionen Einwohner hat. Wir sind gerade angekommen, um die Menschen zu treffen und die Orte zu besuchen, die im Mittelpunkt des diesjährigen Projektes der Caritas Antoniana zum 13. Juni stehen.     

Plötzlich eine andere Welt
Nach nur wenigen Stunden im Flugzeug sind wir keine Minoriten mehr im katholischen Padua, sondern zwei westliche Christen in einem muslimischen Land, das vom Fundamentalismus geprägt ist. Hier sind Christenverfolgungen und Attentate auf Kirchen an der Tagesordnung. Das war uns klar. Wir hatten uns darauf vorbereitet. Aber jetzt, wo wir von tausenden Augen angestarrt werden und unser Anderssein so offensichtlich ist, ist nichts mehr wie vorher. In unseren Köpfen schwirren tausend Gedanken: Warum diese Blicke? Neugier? Angst? Misstrauen? Wir können sie nicht deuten. Wir fühlen uns schwach. Doch als Franziskaner-Minoriten haben wir beschlossen, auch diese Erfahrung zu teilen. Auf einmal zu einer Minderheit zu gehören, öffnet die Augen, endlich sieht man. Man sieht beispielsweise, dass man nicht wählen kann, ob man in einem Land lebt, in dem Frieden oder Krieg herrscht – das ist Schicksal. Aber man kann entscheiden, wie man reagiert: Entweder man spielt das Spiel des Hasses mit oder aber man versucht, ein gutes Zusammenleben aufzubauen. Wir sind hier auf den Spuren eines großen Mannes, der den zweiten Weg gewählt hat und diese Entscheidung mit seinem Leben bezahlt hat. Er hieß Shahbaz Bhatti. Er war Christ, Minister für die Minderheiten, aber er war mehr als das: Er war eine Brücke zwischen den Welten, einer, der Hoffnung verbreitet hatte. Er wurde am 2. März 2011 ermordet. Um ihn weinen Christen, Muslime und Hindus. Jede Tür wird uns in seinem Namen geöffnet werden.

Antonius war schon hier
Die erste Nacht in Pakistan verbringe ich sehr nachdenklich im Hotel, bewacht von bewaffneten Soldaten, die auf dem Dach Stellung bezogen haben. Ich liege wach und denke nach. Wie können die Menschen hier so leben, Tag für Tag? Doch wir sind hier, um denen zu helfen, die Hoffnung schaffen wollen. 
Dazu treffen wir Paul Bhatti, den Bruder von Shahbaz, der in Italien lebt und immer wieder nach Pakistan fliegt, um den Spuren seines Bruders zu folgen, und Lesley Leighton, eine Missionarin aus Neuseeland. Sie ist die Verantwortliche der örtlichen Vereinigung, die in seinem Namen entstanden ist, der Shahbaz Bhatti Memorial Trust. 
Der Ort, an dem wir unser Projekt verwirklichen wollen, liegt in einer ländlichen Gegend; es ist eines der wenigen vorrangig christlichen Dörfer in Pakistan. Es heißt Khushpur, was in der hiesigen Sprache „glückliche Erde“ bedeutet. In Wirklichkeit hat dieser Ort nichts Idyllisches. Der Name geht auf Bruder Felix (lat. felix für glücklich) zurück, einen belgischen Kapuziner, der dieses Dorf im Jahr 1901 gegründet hat. Es handelt sich um ein paar ärmliche, niedrige Häuschen, die über unbefestigte Straßen miteinander verbunden sind. Die Wahl des Ortes ist kein Zufall: Hier wurden die Bhattis geboren. Mir wird warm ums Herz als ich höre, dass Vater Jacob ein glühender Verehrer unseres heiligen Antonius war. Jacob Bhatti hat hier in Khushpur die Schule und die Kirche, an der natürlich eine Antonius-Statue nicht fehlt, gebaut. Der Samen des Glaubens ist aufgegangen, dieses kleine Dorf hat Pakistan Priester, Ordensschwestern und gebildete Menschen geschenkt. 
Wenn die Nichtchristen dieses Dorf beschützen, dann liegt das daran, dass sie wissen, dass es eine Quelle der Hoffnung für alle ist. Aber nicht nur deshalb, denn hier ist Shahbaz beerdigt, der große Mensch des Dialogs. 

Eine Schule für die Zukunft
Zu einem offiziellen Treffen wegen unserer Unterstützung sind viele Menschen gekommen, auch von weiter her. Es besteht ein großes Redebedürfnis. Man berichtet, was man bereits gemeinsam geschafft hat. Man muss sich gegenseitig ermutigen. Es ist Shahnaz, die das Treffen leitet. Ihr Mann ist aus religiösen Gründen nach Italien geflohen. Er wurde wegen seines Engagements für Menschenrechte mit Eisenstangen fast zu Tode geprügelt. Die äußeren Wunden verheilten, aber innerlich war er tot. Seine Frau sagte zu ihm: „Geh weg, hier kannst du nicht mehr leben. Von außen kannst du mir helfen, unseren Kindern, unserer Gemeinschaft.“ Doch diese Entscheidung hat auch sie zerrissen. Aber jetzt steht Shahnaz hier, vor allen, mit erhobenem Kopf, und erklärt das Projekt, wie ein echter Leader: „Wir möchten eine Berufsschule für Schneiderinnen für die ärmsten Frauen unseres Dorfes gründen, ohne religiöse Unterschiede, und eine Werkstatt, die es ihnen ermöglicht, eigenes Geld zu verdienen, wo sie als Frauen und als Arbeiterinnen respektiert werden.“ 
Shahnaz weiß genau, wovon sie spricht. Zwei Jahre lang hat sie in einer Fabrik gearbeitet, drei Busstunden von zuhause entfernt. Sie fuhr im Morgengrauen los und kam erst abends um 22 Uhr wieder. Sie musste dem Unternehmen sowohl den Transport als auch ihr Essen bezahlen. Auf der Arbeit war sie Anfeindungen, sexuellen Übergriffen und Demütigungen ausgesetzt. Schließlich war sie Christin, also nichts wert. Am Monatsende kam nie ein Gehalt. Wenn sie danach fragte, wurde sie noch mehr gedemütigt. Es wäre nicht würdevoll gewesen, dort weiterzuarbeiten, auch nicht aus Hunger. Sie entschied, nicht mehr dort zu arbeiten. Aber wie sollte sie nun die Schule ihrer Kinder bezahlen? Hinter der starken, selbstbewussten Shahnaz ist die verletzte Ehefrau, die gedemütigte Mutter, aber auch eine Frau, die sich für sich und ihr Volk eine bessere Zukunft erhofft. Jetzt, wo sie uns hier sieht, von weit hergekommen, im Namen des heiligen Antonius und allen, die uns bei unserem Projekt unterstützen, weiß sie, dass der viele Schmerz nicht umsonst war. Sie hofft. Und sie glaubt an uns.  
In der auf das Treffen folgenden heiligen Messe ergreife ich das Wort. Ich sage, dass ich nicht gekommen bin, um das Geld der Reichen zu bringen. Die Hilfe, die wir bringen, sind Spenden von Menschen, die selbst nicht wirklich viel Geld haben – Witwen, Rentnern, Arbeitslosen und auch von Familien, die selbst in Schwierigkeiten sind. Und doch möchten sie teilen, deshalb sind wir hier.  

Hunger nach Gerechtigkeit 
In Islamabad sprechen wir schließlich über den schwierigeren Teil unseres Projektes, und zwar mit einer Gruppe von Anwälten, sowohl Christen als auch Muslimen, die durch das Engagement geeint sind, die Armen und Schwachen zu schützen. Das ist das neue Pakistan, das langsam heranwächst, das auf den Spuren von Shabhaz für Toleranz und Frieden kämpft – eine Handvoll Pioniere und Träumer, die wissen, dass sie ihr Leben riskieren. 
Das Treffen ist eines jener Art, das einem wirklich ans Herz geht. Zuerst sprechen die Opfer: „Ich komme aus einem kleinen Dorf,“ beginnt ein Mann, der schüchtern vortritt, „ich bin Bauer und ich bin Christ. Meine Arbeitgeber hatten mich gebeten, einen Baum zu fällen, der aber der Regierung gehört. Ich habe mich geweigert. Ich wollte nicht stehlen. Sie sind zu mir nach Hause gekommen und haben gesagt, ich hätte mich einer Anordnung widersetzt. Sie haben mich zusammengeschlagen, dabei haben sie meine Hand völlig kaputt gemacht. Ich lebe mit meiner behinderten Tochter, auch sie wurde misshandelt. Und aus Angst, dass ich sie anzeigen könnte, haben sie mich zwei Tage lang gefangen gehalten. Aber ich bin trotzdem zur Polizei gegangen. Ich bin arm und niemand hat mich beachtet. Deshalb habe ich mich an die Vereinigung gewandt und dort hat man mir endlich zugehört. Nun werde ich bedroht. Man fordert mich auf, die Anzeige zurückzuziehen, ansonsten würden sie mich umbringen. Ich mache das alles nicht nur für mich, sondern damit dieses Übel nicht auch anderen geschieht.“

Ein Herz für die Minderheiten
Die Situation der Frauen ist noch schlimmer, vor allem, wenn sie zu einer Minderheit gehören. Nisha, 13 Jahre alt, arbeitet mit ihrer Mutter im Haushalt einer Familie. „Eines Tages war meine Mutter einkaufen und in der Zeit wurde ich von einem 55-jährigen Mann vergewaltigt. Meine Mutter hat ihn angezeigt und nun sitzt er im Gefängnis. Aber wir werden weiterhin bedroht. Zuerst haben sie uns Geld angeboten, dann sind sie zu den Drohungen übergegangen. Aber wir werden von der Vereinigung unterstützt und das ist eine große Erleichterung.“  
Dutzende Geschichten des Schmerzen werden uns berichtet, es ist fast so, als ob unser Zusammensein alle etwas stärker machen würde. Dann sind die Anwälte dran. Mohammad ist ein gläubiger Moslem: „Ich glaube an die Gerechtigkeit und an den Respekt gegenüber allen Menschen. Ich werde jeden verteidigen, der Opfer einer Ungerechtigkeit geworden ist. In meinem Herz ist auch Platz für die Minderheiten. Ich habe keine Angst. Denn ich weiß, dass Gott mich unterstützt.“ 
Paul wünscht sich, dass in jeder größeren Stadt ein paar Anwälte der Vereinigung präsent sind. „Es ist wichtig, Bewusstsein unter den Menschen zu schaffen und auch denjenigen, die sich keinen Rechtsbeistand leisten können, Gerechtigkeit zu garantieren.“ Er bittet uns auch hier um unsere Hilfe. Ich denke an den heiligen Antonius, seinen Hunger nach Gerechtigkeit, seinen Schmerzensschrei, mit dem er die Armen verteidigte, seinen erhobenen Zeigefinger gegenüber den Mächtigen. Wenn er noch leben würde, wäre er sicher hier bei uns in diesem Raum.  

Das sagt auch Papst Franziskus...
Bewegt verlassen wir das Treffen. Paul bringt uns an den Ort, an dem sein Bruder umgebracht wurde. Das Foto auf dem Gedenkstein ist mit schwarzer Farbe übermalt – ein weiterer Frevel. Besorgt schaue ich Paul an, aber in seinem Gesicht sehe ich kein Anzeichen von Hass. Die Demütigung und die Ungerechtigkeit gehören zu seiner Mission. „Das sind Fanatiker. Sie haben immer noch Angst vor Shahbaz, auch wenn er tot ist.“ 
Der nächste Tag ist unser letzter in Pakistan. Und Shahbaz macht uns ein Abschiedsgeschenk. Paul kommt mit einem Vorschlag: „Der Imam einer Koranschule hat erfahren, dass wir hier sind. Er war ein großer Freund von Shahbaz und würde uns gerne treffen.“
Die Koranschule ist ein wirklich ärmlicher Ort. Der Imam empfängt uns mit großem Respekt. Zuerst besichtigen wir den Klassenraum der Kleinen, die den Koran auswendig lernen müssen. Dann gehen wir zu den Größeren, die sich darauf vorbereiten, Mullahs, also Religionsführer, zu werden. Einer von ihnen steht auf und fragt, ob wir meinen, dass Islam und Christentum einen gemeinsamen Weg gehen könnten. Er bittet uns, diese Friedensbotschaft mit nach Italien zu nehmen: „Der Islam ist nicht gleich Terrorismus. Pakistan ist nicht gleich Terrorismus.“ Und er fügt hinzu: „Das sagt auch Papst Franziskus.“ Ich bin erstaunt: Es ist einer der vielen Moslems, die auf dieser Reise Papst Franziskus zitiert haben. Hier verstehe ich seine Botschaft vom Dialog noch besser. Dieser Papst entwaffnet die Herzen. Der junge Pakistani wartet auf meine Antwort. Er will, dass ich ihm glaube, er will ein Bürger dieser Welt sein. Ich nicke ihm lächelnd zu. Vielleicht ist ihm das nicht genug. Aber es ist eine Hoffnung. Ein Stückchen von Shahbaz’ Traum. Ein Stückchen von unserem gemeinsamen Traum!

Unser Projekt in Kürze
Im Mittelpunkt des diesjährigen Projektes zum Fest des heiligen Antonius am 13. Juni stehen Frauen, die in Pakistan als Christinnen einer verfolgten Minderheit angehören. 400 Personen, die bereits ausgewählt wurden, wollen wir nach der Ausbildung helfen, ein Kleinstunternehmen zu gründen oder von Firmen angestellt zu werden, die die Rechte ihrer Arbeiter und besonders die der Frauen respektieren. Das Projekt setzt sich so zusammen:

Bau einer Berufsschule           150.000 Euro
Umbau eines schon vorhandenen Gebäudes, in dem eine Berufsschule für Schneiderinnen und eine Lehrwerkstatt für die Frauen aus Khusphur eingerichtet werden sollen. 

Mauer um den Komplex           83.000 Euro
Diese Maßnahme wird von den örtlichen Institutionen aus 
Sicherheitsgründen vorgeschrieben.

Ausstattung und Einrichtung     100.000 Euro

Gesamt 333.000 Euro

 

 

Zuletzt aktualisiert: 01. Juni 2017
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