Auf Der Flucht

01. Januar 1900 | von

Noch niemals in der Geschichte der Menschheit waren so viele Menschen innerhalb eines so kurzen Zeitraums auf der Flucht. Wo liegen die Ursachen? Politisch skrupellos angezettelte Kriege überziehen heute mit Hilfe einer technischen Vernichtungsmaschinerie und mit entsetzlicher Grausamkeit ganze Landstriche. In mehr als hundert Ländern der Erde werden die Menschenrechte verletzt. Bürgerkriege entstehen weltweit und scheinen nicht aufzuhören. Dabei werden Menschen aus politischen, religiösen und ethnischen Gründen verfolgt, unterdrückt und getötet. Vertreibung ist eine gezielt eingesetzte Handlungsstrategie im politischen Machtkampf geworden. Nicht genug damit. Naturkatastrophen wie Mißernten, Dürre, Wasserknappheit oder Überschwemmungen zwingen Menschen, ihre angestammte Heimat zu verlassen. So überfluten in allen Kontinenten Flüchtlingsströme immer wieder ganze Landstriche. Darunter befinden sich heute schätzungsweise zehn Millionen Kinder. Jeder zweite Flüchtling ist noch im Kindesalter. Noch nie haben so viele Kinder unter Kriegen gelitten wie in diesem Jahrhundert. Aus dem Recht, einen sicheren Wohnsitz in familiärer Geborgenheit zu haben, wird eklatantes Unrecht.

Infamie des Krieges. Die Massaker in Ruanda zum Beispiel kosteten rund 300.000 Kinder und Jugendliche das Leben. Schätzungsweise 16.000 Mädchen und Frauen wurden vergewaltigt. In Liberia kämpften zwischen 15.000 und 20.000 Kinder als Soldaten im Bürgerkrieg. Alle 90 Minuten wird irgendwo auf der Welt ein Kind durch eine im Krieg gelegte Landmine verstümmelt oder getötet. Der Bürgerkrieg in Kambodscha Mitte der 90er Jahre hat rund 350.000 Kinder zu Waisen gemacht. In anderen Ländern sterben Kinder an den indirekten Folgen des seit Jahren andauernden Krieges, weil sie auf der Flucht unzureichend ernährt und medizinisch nicht versorgt werden. Sauberes Trinkwasser, Nahrungsmittelmangel, notwendige Medikamente und medizinische Ausrüstung sind häufig nicht vorhanden. Die Wasserstellen sind meist zerstört. So steht Flüchtenden oft nur schmutziges Regenwasser oder Flußwasser zur Verfügung.

Zeit des Grauens. Von der politischen Situation eines Landes hängt es weitgehend ab, ob Menschen in ihrer Heimat ein menschenwürdiges Dasein führen können.Autoritäre Herrschaftssysteme führen zwangsweise zu Unzufriedenheit und Unterdrückung. Minderheiten, Randgruppen und Andersdenkende erfahren keine Toleranz.

So sehen sich Menschen gezwungen zu fliehen, oder sie werden mit Gewalt vertrieben. Bereits die Vorphase der Flucht ist für Jung und Alt eine Zeit des Grauens. In den Kriegsgebieten werden sie mit Gewalttaten, Mord, Verfolgung, Hunger, Not und Obdachlosigkeit konfrontiert. Kinder müssen erleben, wie ihre Eltern verhört, verhaftet und gefoltert, wie Männern die Kehle durchgeschnitten, Frauen zerhackt, Säuglinge ihren Müttern entrissen und getötet werden. Danach erleiden sie ein Fluchttrauma: psychosomatischen Erkrankungen, Schlaflosigkeit, Depression oder stumme Sprachlosigkeit.

Existentielle Bedrohung. Kinder können die Gefährlichkeit ihrer Lage in Krisengebieten nicht abschätzen und besitzen nicht die notwendige Einsicht in die Gefährlichkeit ihrer Situation. So wird der Entschluß zu fliehen meist von den Eltern gefaßt. Doch was bringt es mit sich, wenn Menschen sich schließlich in die existentielle Not der Flucht gestürzt haben? Ihr körperliches und psychisches Befinden wird schmerzvoll belastet. Sie müssen auf das vertraute soziale Umfeld verzichten, die bekannte Umgebung aufgeben, ihren Besitz zurücklassen und sehen ihre Lebensplanung zerstört. Zugleich fühlen sie sich der Ungewißheit, der Verfolgung und Verachtung ausgesetzt, sind auf fremde Hilfe angewiesen und finden auf die Frage nach dem Warum ihres Unglücks keine Antwort.

Zerrissene Seelen. Kommt die Flucht irgendwo in einer fremden Umgebung zum Stillstand, haben sich vor allem bei alten Menschen und Kindern zerstörerische Angstkomplexe und seelische Wunden eingestellt. Kinder, welche medizinisch-psychologisch betreut werden müssen, zeigen akut-traumatische Reaktionen wie Schreckzustände, Panikattacken, Alpträume, Trauer über das Verlorene. Posttraumatische Belastungsstörungen wie Depressivität, Selbstmordgefährdung, Verlust sozialer Fähigkeiten und still-verschlossene Resignation quälen ihr Dasein.

Jeder kann helfen. Es entspricht der Selbstverständlichkeit der Nächstenliebe, die uns Christus ans Herz gelegt hat, daß wir alle Anstrengungen unternehmen sollten, Flüchtlingskindern aus ihren materiellen wie seelischen Nöten herauszuhelfen. Kinder sind hilflos auf Erwachsene angewiesen. Sie können sich nicht Gehör verschaffen, denn sie sind zu klein und zu jung und werden nur zu schnell übersehen. Auch hat sich die Erkenntnis immer noch nicht durchgesetzt, daß Kinder gleichwertige Menschen sind und wie Erwachsene ein Recht auf Leben, auf ein menschenwürdiges Dasein, aber auch auf Annahme, Liebe und Geborgenheit haben. Was also wollen wir tun? Finanzielle und persönlich aufgebrachte Opfer im Verzicht und Gebet sind ebenso wichtig wie persönlicher Einsatz im Organisieren von Hilfen und politische Einflußnahme.

 

 

 

 

 

 

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016