Bühne frei für Antonius

05. März 2017 | von

Mit der beschaulichen Einsiedlerexistenz ist es bald vorbei. In einer Notsituation wird Antonius unverhofft als Predigttalent entdeckt. Seine Oberen wissen mit seinem Talent umzugehen, und Antonius ist künftig viel unterwegs – im Namen des Herrn.

Nach langer Zeit – etwa einem Jahr – geschah es, dass einige Brüder in die Stadt Forlì geschickt wurden, um dort die heiligen Weihen zu empfangen. Dazu kamen aus verschiedenen Gegenden Franziskaner und Dominikaner zusammen. Unter ihnen befand sich auch Antonius.

Prediger gesucht – und gefunden
Als die Stunde kam, da ein geistlicher Vortrag angesetzt war und die Brüder sich wie gewohnt versammelt hatten, bat der zuständige Provinzialminister die anwesenden Predigerbrüder, eine Bußpredigt zu halten, um den dürstenden Seelen das Wort des Heils zu verkünden. Einer nach dem anderen aber wehrte ab und sie behaupteten, dass es ihnen weder möglich noch erlaubt sei, unvorbereitet zu predigen. So wandte sich der Obere schließlich an Antonius und trug ihm auf, den Versammelten das zu verkünden, was der Geist ihm eingab. 
Er tat dies nicht etwa, weil er glaubte, dass er besonders bewandert in den Heiligen Schriften sei oder etwas anderes gelesen habe außer das, was den kirchlichen Dienst betrifft: Der Obere erinnert sich nur daran, dass er ihn einmal Latein hatte sprechen hören, als es notwendig gewesen war. Und tatsächlich war es ja auch so, dass die Brüder ihn für geeigneter hielten, das Geschirr in der Küche zu spülen, als die Geheimnisse der Schrift auszulegen – obwohl er die Gabe hatte, sich seines Gedächtnisses anstelle von Büchern zu bedienen und in großem Maß die Gnade einer mystischen Sprache besaß.

Staunenswerte Worte
Warum soll ich mich unnötig aufhalten? Antonius weigerte sich, solange er konnte. Schlussendlich aber und weil alle drängten, begann er in aller Bescheidenheit zu sprechen. Als dann jene Feder des Heiligen Geistes, seine Zunge also, begann, über viele Themen mit Besonnenheit zu sprechen und zwar in überaus klarer Sprache und mit knappen Worten, da lauschten die Brüder voller Erstaunen und Bewunderung in höchster Aufmerksamkeit seiner Rede. Wahrhaftig: Die unerwartete Tiefgründigkeit seiner Predigt steigerte noch die Verwunderung. Sein Geist, mit dem er sich äußerte, und seine glühende Nächstenliebe erbauten die Herzen. Erfüllt von heiliger Ergriffenheit verehrten alle in Antonius, dem Diener Gottes, die Tugend der Demut Hand in Hand mit der Gabe der Weisheit.

Unterwegs zu Predigtreisen
Da, wie der Herr sagte, „eine Stadt, die auf dem Berge liegt, nicht verborgen bleiben kann“ (Mt 5,14), wurde schon bald der Provinzialminister von dem in Kenntnis gesetzt, was sich ereignet hatte. Und so wurde Antonius gezwungen, den Frieden der Stille aufzugeben und in die Öffentlichkeit zu treten. Indem er den Dienst des Predigens aufgetragen bekam, wurde der Liebhaber der Einsiedelei hinausgeschickt, und seine Lippen, die so lange verschlossen waren, öffneten sich, um den Ruhm Gottes zu verkünden. Mit der Unterstützung der Autorität dessen, der ihn geschickt hatte, bemühte er sich dermaßen eifrig, der Verpflichtung zur Predigt nachzukommen, dass er aufgrund seines unermüdlichen Fleißes den Namen eines Evangelisten verdient hätte. Er durchzog Städte und Burgen, Dörfer und Landstriche und überall säte er die Samen des Lebens in großzügiger Fülle und glühender Leidenschaft.

Unermüdlicher Einsatz
Im Laufe seines Umherziehens – er verzichtete dabei um der Hingabe der Seelen willen auf jegliche Ruhepause – kam er nach dem Willen des Himmels in die Stadt Rimini. Dort sah er, dass viele Menschen von den Machenschaften der Ketzer verführt waren. Er versammelte die gesamte Bevölkerung und begann mit leidenschaftlicher Predigt. Und auch wenn er die Weisheitssprüche der Philosophen nicht gelernt hatte, vermochte er noch strahlender als die Sonne die schlauen Behauptungen der Ketzer zu widerlegen. Sein kraftvolles Wort und seine heilsame Lehre trieben solche tiefe Wurzeln in den Herzen der Zuhörer, dass sich eine Menge von Gläubigen wieder treu an den Herrn wandte, nachdem sie vom Makel des Irrtums befreit worden waren.
Unter ihnen war auch ein Ketzer namens Bonillo. Seit dreißig Jahren befand er sich schon im Sog des Unglaubens. Der Herr brachte ihn nun durch seinen Diener Antonius zurück auf den Weg der Wahrheit. Und nachdem er Buße getan hatte, gehorchte er mit aller Ernsthaftigkeit bis ans Ende seiner Tage den Geboten der heiligen römischen Kirche. 

Ein päpstlicher Spitzname
Anschließend schickte der Provinzialminister des Ordens Antonius, den Diener Gottes, in einer wichtigen Angelegenheit der Gemeinschaft an die päpstliche Kurie. Der Allerhöchste schenkte ihm die Gabe, in den ehrwürdigen Kirchenfürsten eine derartige Wertschätzung zu wecken, dass der Papst (da es sich wahrscheinlich um das Jahr 1230 handelt, vermutlich Papst Gregor IX.) und das versammelte Kardinalskollegium mit glühender Verehrung seinen Predigten lauschten. Und tatsächlich vermochte er aus den Schriften solch geistreiche und tiefgründige Bedeutungen mit so leuchtenden Worten herauszuarbeiten, dass der Papst selbst ihn mit dem nun ihm eigenen Beinahmen versah und ihn „Schatztruhe der Heiligen Schrift“ nannte. 

Treffliche Worte für alle
Durch sein Reden – dank göttlicher Gnade so mitreißend – gelang es ihm, den Zuhörern eine Fülle von Gnaden zu vermitteln. Die Erfahrensten staunten darüber, dass ein ungebildeter Mann, der gerade erwachsen geworden war, auf solch feinsinnige Art und Weise den Geistlichen geistliche Dinge vermitteln konnte. Und die Einfachsten unter ihnen wunderten sich, als sie sahen, mit welcher Umsicht er Wurzeln und Gelegenheiten der Sünde ausmerzte, um die Samenkörner der Tugend zu säen. Männer jeglicher Herkunft, aus allen Schichten und Altersgruppen freuten sich, von ihm Unterweisungen zu hören, die genau zu ihrem Leben passten.
Er beugte sich nie der Rücksicht auf eine Person, noch ließ er sich von irgendwelchem menschlichen Applaus verführen, sondern wurde, gemäß dem Wort des Propheten, zu einem Dreschschlitten mit vielen Schneiden und er zermalmte die Berge und verwandelte die Hügel in Staub (vgl. Jes 41,15).

Zuletzt aktualisiert: 05. März 2017
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