Das Herzstück ist zurück!

22. April 2019 | von

In Regensburg ist das „Sakrale Dreieck“ aus katholischem Dom, protestantischer Neupfarrkirche und jüdischer Synagoge wiederherstellt. Ende Februar wurde die Neue Synagoge eingeweiht. Unser Artikel wirft einen (paradigmatischen) Blick in die Geschichte der jüdischen Gemeinde in der Stadt.

Das Etikett „historisch“ mag bisweilen recht rasch vergeben werden. Zweifelsohne jedoch war der 27. Februar 2019 für die Stadt Regensburg (und darüber hinaus) ein historischer Tag. 500 Jahre nach der Vertreibung der Juden aus der Stadt konnte die Neue Synagoge eingeweiht werden: „Mit großer Freude und Erregung geben wir bekannt, dass wir das wunderbare Ereignis miterleben dürfen, dass die vor 80 Jahren zerstörte Synagoge wieder aus der Asche auferstanden ist“, sagte der Regensburger Rabbiner Josef Chaim Bloch.

Schicksalsvolle Geschichte
Ein Blick in die Geschichte zeigt das Unheil, das die Regensburger Juden über die Jahrhunderte über sich ergehen lassen mussten. Schon um das Jahr 1000 herum kennt die Welterbe-Stadt eine voll strukturierte jüdische Gemeinde – mit Synagoge und Friedhof. Im Rahmen des 1. Kreuzzugs jedoch werden alle Gemeindemitglieder zwangsgetauft und müssen ihre überlieferte Religion aufgeben. Kaiser Heinrichs IV. „Privileg“ ist es zu verdanken, dass die neuen, aber unfreiwilligen Christen ein Jahr später, im Jahr 1097, wieder zu ihrer ursprünglichen Religion zurückkehren dürfen. In den nächsten Jahrhunderten entwickelt sich die jüdische Gemeinde zu einem Zentrum echter Gelehrsamkeit. Mehrere berühmte Talmudkommentatoren sind hier tätig. 1227 wird eine Synagoge mit über 300 Sitzplätzen fertig gestellt. Doch auf das Hoch folgt rasch das nächste Tief. Im 13. Jahrhundert werden die Juden in einem Ghetto zusammengepfercht, müssen eine spezielle „Judentracht“ tragen, die regen Kontakte zwischen Christen und Juden werden eingeschränkt. Stummer Zeuge ist bis heute die „Judensau“ am Regensburger Dom, häufig gebrauchtes Motiv der antijudaistischen christlichen Kunst, um Juden – durch Verweis auf das in ihrer Religion als unrein geltende Tier – zu verhöhnen und auszugrenzen. Im Januar 1519 kommt es schließlich zur Vertreibung der jüdischen Mitbürger. Das jüdische Viertel wird zerstört. 

Nationalsozialistische Schreckenszeit 
Erst 150 Jahre später ist das jüdische Leben zaghaft zurück. Die Mitgliederzahl steigt, 1912 wird schließlich eine neue Synagoge eingeweiht – doch mit den Schrecken des Nationalsozialismus erlebt die jüdische Gemeinde ein absolutes Tief. Bei den Novemberpogromen des Jahres 1938 wird die Synagoge in Brand gesteckt. Die Feuerwehr wird vom Oberbürgermeister Otto Schottenheim angewiesen, nur die umliegenden Gebäude zu schützen, das jüdische Gotteshaus aber abbrennen zu lassen. Schließlich müssen die Regensburger Juden einen „Schandmarsch“ über sich ergehen lassen, werden durch die Straßen getrieben und von Bürgern der Stadt aufs übelste angepöbelt und misshandelt. Der Abbruch der ausgebrannten Synagoge wird der Gemeinde in Rechnung gestellt, Schritt für Schritt wird jüdisches Eigentum enteignet. Juden werden in Arbeits- und Konzentrationslager deportiert – die letzten zehn Regensburger Juden am 15. Februar 1945 nach Theresienstadt. 

Noch einmal: Neuanfang
Weil Regensburg während der Bombenangriffe der Alliierten nur in geringem Umfang zerstört worden war, werden hier nach dem Krieg zahlreiche Flüchtlinge untergebracht, unter ihnen auch etliche Juden. Schon Ende Mai 1945 wird ein neuer Rabbiner installiert. Die Jüdische Gemeinde Regensburg wird am 1. August 1950 neu gegründet und zählt damals 288 Mitglieder. Viele Juden emigrieren in den Nachkriegsjahren allerdings in die USA. Statt einer Synagoge kann die jüdische Gemeinde ab 1969 auf einen Gemeindemehrzwecksaal zurückgreifen. Dieser wurde nun seit 2016 mit umfangreichen Bauarbeiten in den Neubau einer Synagoge integriert.

Zurück im Herzstück
Geplant wurde das Neun-Millionen-Euro-Projekt von Staab Architekten, Berlin, finanziert durch die jüdische Gemeinde, die Stadt, den Freistaat Bayern und den Bund, sowie zahlreiche spendenfreudige Bürger. Das Architekturbüro bezeichnete es als große Herausforderung, verschiedene Anforderungen unter einen Hut zu bringen: Der Neubau soll sich einfügen in das Gesamt der Regensburger Welterbe-Altstadt, einen freundlich-offenen Eindruck erwecken und zugleich ein gesichertes Haus für das jüdische Gemeindeleben bilden. Die Gefahr antisemitischer Übergriffe ist – leider – bis heute nicht gebannt. Dank der Mischung aus offenen Zugängen einerseits und Eingangskontrollen andererseits scheint dieser Spagat gelungen zu sein. Mit der Übertragung der Thorarollen aus dem bisherigen Betsaal in den Thoraschrank der Neuen Synagoge wurde das Gotteshaus am 27. Februar 2019 seiner Bestimmung übergeben. Damit hat die jüdische Gemeinde Regensburg nach Josef Schuster, dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, „ihr Herzstück“ wieder. 
Möge die jüdische Gemeinde darin eine echte geistliche Heimat finden! Und mögen wir wachsam sein gegenüber verletzenden Kommentaren, Gesten und Taten, damit man künftig nicht, wie jetzt wieder Bischof Rudolf Voderholzer, fürs Wegschauen oder für Mittäterschaft um Vergebung bitten muss, denn, so der Ortsbischof: „Es schmerzt uns, dass die Kirche und die Christen sich nicht vor sie gestellt haben und nicht den Mut hatten, sich mit den jüdischen Bürgern zu solidarisieren.“

Zuletzt aktualisiert: 22. April 2019
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