Den Abschied von Leben begleiten

30. Oktober 2015 | von

Unausweichlich kommt der Tod auf den Menschen zu. Manchmal plötzlich, manchmal quälend langsam, nicht selten verbunden mit großen Schmerzen. Wie gelingt es, dem Menschen die Angst vor dem Tod zu nehmen, sein Leiden zu verringern? Die Hospizbewegung sucht und findet Antworten auf diese Nöte.




Wenn ein Mensch stirbt, hat er oftmals eine lange Geschichte körperlicher und seelischer Leiden durch eine Krankheit hinter sich, oftmals verbunden mit einer gewissen Unmündigkeit: Andere haben weitgehend bestimmt, was zu geschehen hat, insbesondere natürlich der Arzt als Experte für seine körperliche Krankheit – aber auch die Angehörigen als unverzichtbare Helfer in den alltäglichen Dingen. Dies alles, oft jahrelang und durchaus mit Einverständnis des Patienten, war der Preis für die Hoffnung auf Genesung oder doch wenigstens auf längeres Überleben.







Herausforderung für die Helfer



Ist die Phase dieses Kampfes beendet, neigt sich das Leben unweigerlich seinem Ende entgegen, beginnt also das Sterben, so fällt es den Helfenden oftmals nicht leicht, das gewohnte Verhalten aufzugeben. Dies aber wird jetzt nötig, denn im Sterben verändern sich unsere Wünsche an das Leben und damit auch an unsere Helferinnen und Helfer. Die Wünsche des Sterbenden wahrzunehmen, sie ernst zu nehmen, bedeutet, ihm im Sterben seine Würde zu wahren. Das heißt, ihn so sterben zu lassen, wie wir alle auch leben möchten: unserer selbst gemäß. Deshalb stellen bei der Frage nach rechter Sterbebegleitung die Wünsche Sterbender die entscheidende Richtschnur dar. 







Wie möchten Sie sterben?



Fragt man Menschen auf der Straße, gewissermaßen im Vorübergehen, nach ihren Wünschen an das Sterben, so erhält man in der Regel eine sehr monotone Antwort, die lautet: „Schnell.“ Sie verweist eher auf eine Vermeidung der Auseinandersetzung mit dem Sterben, als dass sie auf tatsächliche Wünsche schließen lässt.



Fragt man dagegen sterbende Menschen oder Menschen, die sich bereits intensiver mit ihrer eigenen Sterblichkeit auseinandergesetzt haben, dann sind die Antworten farbiger, lebendiger. Sie sind zugleich sehr unterschiedlich, so unterschiedlich wie Antworten auf die Frage nach unseren Wünschen an das Leben auch sind. Der Kern aller Wünsche lässt sich in vier Gruppen gliedern: Der vordringlichste und wichtigste Wunsch sterbender Menschen lautet: „Ich möchte nicht alleine sterben.“ Am zweithäufigsten sehnen sich die Menschen nach einem schmerzfreien Tod. Die dritte Gruppe könnte sich zusammenfassen lassen in dem Satz: „Ich möchte Dinge noch zu Ende bringen dürfen.“ Es ist der Wunsch, „unerledigte Geschäfte“ noch zu regeln. Und eine letzte Gruppe berührt die Dimension der Sinnfrage, zusammengefasst in etwa so: „Ich brauche Menschen, die es aushalten, wenn ich alles jetzt infrage stelle.“



Es liegt nahe, dass sich all diese Wünsche am ehesten in der vertrauten Umgebung der eigenen vier Wände realisieren lassen. So wundert es nicht, dass bei den verschiedenartigsten Umfragen 80 bis 90% aller Befragten den Wunsch äußern, zu Hause sterben zu dürfen.





Tod fern des Zuhauses



Wunsch und Wirklichkeit des Sterbens zu Hause klaffen jedoch weit auseinander. Nur 10 bis 20% aller Menschen gelingt es zurzeit in Deutschlands Städten, tatsächlich zu Hause zu sterben. Die anderen beenden ihr Leben in Krankenhäusern und Pflegeheimen. Dort aber lautet der gesellschaftlich verordnete Auftrag, das Sterben zu verhindern – möglicherweise sogar um „jeden Preis“. Ein Mensch, der an solch einem Ort stirbt, gerät in Gefahr, als so etwas wie ein „Betriebsunfall“ zu erscheinen. Er provoziert eine Situation, die es im Grunde genommen doch zu vermeiden gilt und wenn dies nicht mehr gelingt, so muss sie eben verheimlicht werden.







Dem Tod Raum schenken



Das Tabu des Todes in unserer Zeit zu brechen, ist zum einen das Verdienst von Elisabeth Kübler-Ross mit ihren bahnbrechenden Forschungen zum Sterben, zum anderen das Verdienst von Cicely Saunders, einer englischen Sozialarbeiterin, Krankenschwester und Ärztin. 1967 eröffnete sie in einem Londoner Vorort nach jahrzehntelanger Vorbereitung ein konkretes Haus für sterbende Menschen. Sie hat damit eine Institution geschaffen, die auch nach außen zeigt, dass Menschen das Recht haben, in unserer Gesellschaft Raum einzunehmen. Dieses Haus nannte sie, anknüpfend an die mittelalterliche Bezeichnung für Herbergen an den Pilgerwegen, Hospiz. Wie in den mittelalterlichen Häusern sollte auch dieses moderne Hospiz auf der letzten Wegstrecke der irdischen Pilgerreise Menschen Unterkunft, Pflege, Fürsorge und gelebte Gemeinschaft anbieten. Und es sollte diese Menschen dann auch wieder ziehen lassen.



Seither sind fast fünf Jahrzehnte vergangen, und aus dem ersten Hospiz neuer Art hat sich eine weltweite Bewegung entwickelt. Die Hospizbewegung hat in diesen Jahrzehnten viel dazugelernt. Ihre Lehrmeister sind die sterbenden Menschen gewesen. 







Vom Hospiz zu Palliative Care



Die Folge dieses Dazulernens ist ein Wandel des Hospizbegriffes. War am Anfang Hospiz noch die Bezeichnung für ein konkretes Haus für Sterbende, so meint der Begriff Hospiz heute nicht mehr in erster Linie eine konkrete Institution, sondern vor allem ein Konzept. Hospiz stellt ein umfassendes, ganzheitliches Unterstützungskonzept für sterbende Menschen und ihre Angehörigen dar. Dieses Konzept muss an jedem Ort jeweils wieder neu gestaltet und entwickelt werden. Natürlich haben die meisten Hospize weltweit ihren eindeutigen Schwerpunkt im ambulanten Bereich, um auf diese Weise das Sterben zu Hause zu ermöglichen. Wo Hospize über stationäre Betteneinheiten verfügen, so dienen diese in der Regel nur der Rückendeckung für den ambulanten Bereich. Die im Rahmen eines Hospizangebots praktizierte Unterstützung hat im Laufe der Zeit ihren Namen gewandelt. Cicely Saunders sprach anfangs von terminal care und später von hospice care. Die Weltgesundheitsorganisation hat dann 1990 international den Namen palliative care für diese Arbeit durchgesetzt. Palliative care lässt sich am ehesten übersetzen mit „lindernder Therapie, Pflege und Beratung“, im deutschen Sprachraum oft verkürzt übersetzt mit „Palliativmedizin“. 







Gemeinsame Kennzeichen



Wenn wir verstehen wollen, was Hospiz bzw. Palliative Care meint, können wir heute weniger auf formale Strukturen verweisen, als vielmehr eine Reihe inhaltlicher Kennzeichen nennen. Es gibt fünf Kennzeichen, die allen solchen Angeboten weltweit gemeinsam sind:



Der sterbende Mensch und seine Angehörigen stehen im Zentrum des Dienstes. Dies bedeutet, dass die Kontrolle über die Situation ganz bei den Betroffenen liegt – ein entscheidender Unterschied zu den herkömmlichen Institutionen des Gesundheitswesens. Nicht weniger wichtig ist jedoch, dass die Angehörigen in gleicher Weise mit bedacht werden in dem Wissen, dass sie oftmals mehr leiden als die sterbenden Menschen selbst. Der Gruppe der Betroffenen steht ein interdisziplinäres Team zur Verfügung. Dieses besteht nicht nur aus medizinischem Personal, sondern bezieht weitere Berufsgruppen ein, z. B. Sozialarbeiter oder Seelsorger. Die Teammitglieder sollen sich dann auch gegenseitig so unterstützen, dass sie inneres Wachstum aller Mitarbeitenden fördern.



Freiwillige Helferinnen und Helfer werden einbezogen. Diese Ehrenamtlichen werden im Hospiz nicht als Lückenbüßer missbraucht, sie haben ganz eigenständige Aufgaben, indem sie Alltägliches tun: kochen, einkaufen, am Bett sitzen, reden und zuhören. Ihr Ziel ist es, Sterbebegleitung zu einem Teil alltäglicher mitmenschlicher Begegnung zu machen und damit der Integration des Sterbens in den Alltag zu dienen. Gute Kenntnisse in der Symptomkontrolle werden angestrebt. Hier geht es insbesondere um die Schmerztherapie. Auf diesem Gebiet hat die Hospizbewegung erhebliche Verbesserungen herbeigeführt. Sie hat damit der Tatsache Rechnung getragen, dass es zu den größten Ängsten sterbender Menschen gehört, unter Schmerzen leiden zu müssen. In etwa 95% aller Fälle können die Schmerzen sterbender Menschen mit den Methoden der modernen Schmerztherapie erfolgreich behandelt werden. In der Fürsorge für die betreffende Gruppe ist Kontinuität nötig. Dies bedeutet vor allem, dass ein Hospizdienst rund um die Uhr erreichbar sein muss. Krisen im körperlichen und seelischen Bereich sind nicht an Dienstzeiten gebunden! Nicht selten fühlen sich Familien gerade in den frühen Morgenstunden oder nachts mit ihren Problemen derart allein gelassen, dass sie keinen anderen Ausweg mehr wissen als einer Einweisung des Patienten in die Klinik zuzustimmen. Dem kann ein Hospizdienst, der 24 Stunden am Tag erreichbar ist, oftmals schon mit geringem Aufwand am Telefon entgegenwirken. Die Fürsorge endet auch nicht mit dem Tod eines Angehörigen. Gerade diejenige Person des Teams, die besonders enge Kontakte zur Familie hatte, sollte den Hinterbliebenen auch in der Zeit der Trauer weiterhin zur Verfügung stehen. 







Sorge um die Helfer



Die Hospizbewegung in Deutschland ist relativ jung. Das erste stationäre Hospiz in Deutschland wurde erst 1986 eröffnet, fast zwanzig Jahre nach Cicely Saunders Eröffnung in London. Was wir von der angelsächsischen Hospizbewegung hierzulande besonders lernen müssen: Über die Fürsorge für sterbende Menschen dürfen wir eine weitere hilfsbedürftige Gruppe nicht vergessen, nämlich die Helferinnen und Helfer selbst. Man muss berücksichtigen, dass die Sterbebegleitung in der Regel Ängste erzeugt: Man wird erinnert an die Begrenztheit des eigenen Lebens und eigene Verlusterfahrungen werden im Angesicht des Todes anderer an die Oberfläche des Bewusstseins gespült – und machen Angst. Diese Ängste können, wenn sie unbeachtet bleiben, leicht in Aggressionen umschlagen. Wenn wir Helferinnen und Helfer in ihrer Arbeit angemessen und fürsorglich unterstützen wollen, muss diese Unterstützung insbesondere die Ängste berücksichtigen. Wir müssen die Helfenden durch geeignete Aus- und Weiterbildungsstrategien darin unterstützen, den rechten Umgang mit ihren Ängsten einzuüben. Wo das gelingt, trägt dieser mitunter mühsame Prozess dazu bei, dass wir den Wert des eigenen Lebens gerade in seiner Begrenztheit besser wahrnehmen und erst wirklich schätzen lernen. Es hilft uns, die Begleitung Sterbender und die dabei auftretenden Ängste und Befürchtungen als Chance zur eigenen Entwicklung und eigenem Wachstum wahrzunehmen.



Die rechte Art der Einübung in Sterbebegleitung heißt, uns frei zu machen, unsere vorhandenen Fähigkeiten unbelastet durch überbordende Ängste einsetzen zu können. Wenn dies gelingt, wird Sterbebegleitung im Grunde genommen ganz einfach. 







Ambulante und stationäre Einrichtungen



Von den freiwilligen Helferinnen und Helfern wesentlich getragen werden die ambulanten Hospiz-Dienste, die Basis der Hospizarbeit in Deutschland. Das Angebot besteht im Idealfall in einer intensiven psychosozialen Begleitung betroffener Familien sowie sorgfältiger Beachtung des körperlichen Befindens und der Fähigkeit, fachkundige Hilfe für die palliativ-medizinische Betreuung beizuziehen. Hauptamtliche Kräfte koordinieren die Tätigkeiten.



Bei den stationären Hospizeinrichtungen finden wir zum einen die Stationären Hospize. Es sind meist kleine Betteneinheiten, die ohne Anbindung an eine größere Institution arbeiten und von speziell in Palliative Care ausgebildeten Pflegekräften geleitet werden. In enger Kooperation mit freiwilligen Helfern und einem fachkundigen Hausarzt pflegen und behandeln sie Menschen, deren Lebensspanne nur noch Tage oder Wochen beträgt und die unter derart schwerwiegenden körperlichen, sozialen, seelischen oder spirituellen Beschwerden leiden, dass diese sich weder zu Hause noch einem Pflegeheim lindern lassen. Zu den stationären Einrichtungen gehören auch die Palliativstationen, die fest in eine Klinik eingebunden sind. Auf der Station sind neben den Pflegekräften fest angestellte Ärzte tätig. Ziel ist es, in erster Linie körperliche Beschwerden zu lindern.


Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016