30. Oktober 2015

In den Augen der Armen begegnet dir Gott

Die Armen, immer wieder die Armen ruft Papst Franziskus der Kirche in Erinnerung. Das Geld, das viele Geld werfen einige Medien der Kirche immer wieder vor. Vor fünfzig Jahren haben einige Bischöfe im Katakombenpakt für sich persönlich eine Entscheidung getroffen.




Gott helfe uns, unseren Vorsätzen treu zu bleiben. – Mit diesen Worten schließt das Manifest des „Katakombenpakts“, einer Selbstverpflichtung von 40 Bischöfen aus der ganzen Welt, die sich am 16. November 1965 in den Domitilla-Katakomben Roms trafen, um dieses wegweisende und bis heute beispielhafte Dokument zu unterzeichnen. Nur drei Wochen vor dem Abschluss des 2. Vatikanischen Konzils am 8. Dezember 1965 setzten sie damit ein starkes Signal für eine „Kirche der Armen“ und brachten ein Dokument in Umlauf, das im Lauf der Jahre noch von etwa 500 weiteren Bischöfen unterzeichnet wurde – und dessen Vorsätze wohl bis heute eine Herausforderung darstellen. 





 

Zur Armut ermutigt



Inspiriert waren die Bischöfe von mehreren Impulsen, dass die Kirche (wieder) mehr zu einer Kirche für die Armen werden müsse. Prominentester Vertreter dieser Forderung war Papst Johannes XXIII., der in einer Rundfunkansprache am 11.09.1962 die Gläubigen nicht nur zum Gebet für das Gelingen des Konzils aufforderte, sondern auch betonte: „Den unterentwickelten Ländern zeigt sich die Kirche so, wie sie ist und sein will, als die Kirche aller, besonders aber als die Kirche der Armen.“ Der französische Theologe Paul Gauthier hat diesen Impuls aufgegriffen und zu Konzilsbeginn 2.000 Exemplare eines Dokuments an die Konzilsväter verteilt, in dem er eine „Kirche für die Armen“ forderte. Und auch der Dominikanertheologe Yves Congar schärfte das Bewusstsein vieler Konzilsväter durch seine Studie „Für eine dienende und arme Kirche“. 



In der vom Konzil verabschiedeten Kirchenkonstitution „Lumen Gentium“ („Licht der Völker“) findet das Thema „Armut“ dann auch gleich im ersten Kapitel prominent Eingang: „Wie aber Christus das Werk der Erlösung in Armut und Verfolgung vollbrachte, so ist auch die Kirche berufen, den gleichen Weg einzuschlagen, um die Heilsfrucht den Menschen mitzuteilen. Christus Jesus hat, ‚obwohl er doch in Gottesgestalt war, ... sich selbst entäußert und Knechtsgestalt angenommen‘ (Phil 2,6); um unseretwillen ‚ist er arm geworden, obgleich er doch reich war‘ (2 Kor 8,9). So ist die Kirche, auch wenn sie zur Erfüllung ihrer Sendung menschlicher Mittel bedarf, nicht gegründet, um irdische Herrlichkeit zu suchen, sondern um Demut und Selbstverleugnung auch durch ihr Beispiel auszubreiten.“







Worten müssen Taten folgen



Die Unterzeichner des Katakombenpakts mit ihrem brasilianischen Hauptakteur Dom Hélder Câmara, der erst 1964 Bischof von Olinda und Recife geworden war, wussten wohl, dass solchen Worten, wenn sie sich als glaubwürdig erweisen sollten, Taten folgen müssten. Und so haben sie vielleicht deshalb an diesem symbolträchtigen Ort der Domitilla-Katakomben, wo die Christen im 1./2. Jahrhundert ihre Toten bestatteten, die reiche, prunksüchtige Kirche zu Grabe getragen. Alle Unterzeichner, darunter auch die Weihbischöfe Julius Angerhausen (Essen) und Hugo Aufderbeck (Fulda mit Dienstsitz Erfurt), verpflichteten sich im Bewusstsein „wie viel ihnen noch fehlt, um ein dem Evangelium entsprechendes Leben in Armut zu führen“, ganz konkret und mit eigenem Beispiel für eine dienende und arme Kirche einzutreten. 







Verpflichtungen mit Konsequenzen



In insgesamt 13 Punkten fassen die Mitglieder des Katakombenpaktes dann ihre Vorsätze zusammen, auf die sie sich „in Demut und der eigenen Schwachheit bewusst, aber auch mit aller Entschiedenheit und all der Kraft, die Gottes Gnade uns zukommen lassen will“ verpflichten. Die Kernpunkte ihres Programms lauten:



1. Wir werden uns bemühen, so zu leben, wie die Menschen um uns her üblicherweise leben (z. B. Wohnung, Essen, Verkehrsmittel...).



2. Wir verzichten darauf, als Reiche zu erscheinen, beispielsweise durch teure, auffallende Amtskleidung samt Insignien.



3. Wir werden weder Immobilien oder Mobiliar besitzen noch mit eigenem Namen über Bankkonten verfügen.



4. Wir wollen Apostel und Hirten statt Verwalter sein: Die 



Finanz- und Vermögensverwaltung soll deshalb in die Hand von fachkundigen Laien gelegt werden.



5. Wir lehnen Titel, in denen unsere Macht zum Ausdruck gebracht wird (Eminenz, Exzellenz, Monsignore,...), ab.



6. Wir werden Reiche weder privilegieren noch bevorzugt behandeln.



7. Wir werden niemandem für Spenden übertrieben schmeicheln, um dessen mögliche Eitelkeit zu befriedigen.



8. Wir wollen alles an nötigen Mitteln zur Verfügung stellen, um für die wirtschaftlich Bedrängten und Benachteiligten apostolisch-pastoral da sein zu können.



9. Wir tragen Sorge dafür, dass die sozialen Werke, die wir unterstützen, sich auf Liebe und Gerechtigkeit gründen und Frauen und Männer in gleicher Weise im Blick haben.



10. Wir setzen uns bei den politisch Verantwortlichen dafür ein, dass eine neue Gesellschaftsordnung entsteht, die der Würde der Menschen- und Gotteskinder entspricht.



11. Wir werden als Bischöfe zusammenarbeiten, um gerade in den armen Nationen Projekte zu verwirklichen und auf der Ebene internationaler Organisationen das Evangelium zu bezeugen. 



12. Wir wollen unser Amt als wirklichen Dienst betrachten und uns mühen, menschlich präsent, offen und zugänglich zu sein. 



13. Wir werden alle diese Verpflichtungen nach der Rückkehr in unsere Diözesen öffentlich machen und die Gläubigen bitten, uns durch Mitarbeit und Gebet behilflich zu sein. 







Konkrete Früchte



Sicher ist es schwer überprüfbar, inwieweit der einzelne Unterzeichner diese Vorsätze in die Tat umgesetzt hat – aber nicht umsonst haben die Bischöfe ihren Worten wohl den Wunsch nachgestellt, dass Gott ihnen helfe möge, den Vorsätzen treu zu bleiben. 



Ganz konkrete Früchte trugen die Bemühungen der Kirchenmänner in Südamerika. Die entstandenen Basisgemeinden und die „Theologie der Befreiung“ rückten immer wieder – auch gesamtkirchlich – die Armen und Bedürftigen in den Mittelpunkt des Interesses und Handelns. Die Versammlung der lateinamerikanischen Bischöfe 1968 in Medillín trug dann einen wesentlichen Teil dazu bei, dass die „Option für die Armen“ auch in der europäischen Kirche rezipiert wurde. Mit Wortgewalt und anrührender Symbolsprache trägt der aktuelle Papst dazu bei, genau diese Sorge für die Armen wach zu halten, die durch überdimensionierte Bischofsresidenzen oder milliardenschwere kirchliche Anlagevermögen immer wieder auch gefährdet erscheint oder jedenfalls in den Verdacht der Unglaubwürdigkeit gerät.







Bleibende Aktualität 



Um an die Anliegen des Katakombenpakts zu erinnern, lädt ein breiter Trägerkreis aus reformorientierten Basisgruppen, kirchlichen Institutionen, Ordensgemeinschaften (darunter die Deutsche Franziskanerprovinz und Franciscans International) sowie Bildungseinrichtungen zu einer Jubiläumsversammlung vom 11. bis 17. November 2015 nach Rom ein. Als Christen fordern sie eine radikale Umkehr: „Statt einem Fetischismus des Geldes die Verteidigung des Lebens in Mensch und Natur; statt einer Wirtschaft, die tötet, eine Wirtschaft, die das Leben aller im gemeinsamen Haus des Globus sichert; statt der Globalisierung der Gleichgültigkeit eine gelebte Solidarität. Denn anders Mensch sein in einer anderen Kirche für eine andere Welt ist möglich!“


Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016