Der junge Augustiner Fernando

Nach einigen einleitenden Worten nimmt uns der Verfasser der Assidua mit nach Lissabon, den Geburtsort des heiligen Antonius, damals noch Fernando genannt. In jungen Jahren tritt er in der Augustinerorden ein.
08. Januar 2017 | von

Nach einigen einleitenden Worten nimmt uns der Verfasser der Assidua mit nach Lissabon, den Geburtsort des heiligen Antonius, damals noch Fernando genannt. In jungen Jahren tritt er in der Augustinerorden ein und legt dort durch eifriges Studium das Fundament einer umfassenden Bibelkenntnis.

Vom beständigen Drängen meiner Brüder angetrieben und beseelt von dem Wunsch, die Frucht des heilsamen Gehorsams zu erlangen, mache ich mich daran, das Leben und die Taten des seligen Vaters und unseres Bruders Antonius niederzuschreiben. Ich tue dies zum Lob und zur Ehre des allmächtigen Gottes und entsprechend dem Wunsch der Liebe und der Verehrung der Gläubigen. Das Leben der Heiligen wird deshalb der Nachwelt schriftlich überliefert, damit – wenn man von den wunderbaren Zeichen hört, die der Herr durch die Heiligen tut – der Herr immer und in allem gelobt wird; damit den Gläubigen ein Beispiel christlichen Verhaltens vor Augen geführt wird und zudem ein Motiv, im Eifer der Verehrung zuzunehmen. 

Ausgangssituation der Biografie
Und auch wenn ich mir bewusst bin, für eine solch große Aufgabe nur unzureichend gerüstet zu sein, schweige ich dennoch nicht, weil ich hoffe, dass er, der die Absichten des Herzens kennt, mir helfen wird, meinen Vorsatz zu erfüllen. Allein von der Wahrheit geleitet, wende ich mich an die Anhänger Christi mit knappen Worten und in einem schmucklosen Stil. Denn ich will nicht, dass eine gefällige Beredtsamkeit nur dem Ohr schmeichle und so die Menschen sich mit dem Rascheln der Blätter zufrieden geben, statt nach den Früchten zu suchen.
Einige der Dinge, von denen ich berichte, habe ich zwar nicht mit eigenen Augen gesehen, sie aber von Herrn Sugerio, dem Bischof von Lissabon (1210-1232), erfahren und von anderen katholischen Personen, die sie mir zugetragen haben. Nicht anders haben es Markus und Lukas beim Verfassen ihres Evangeliums getan. Und so verfuhr auch der heilige Gregor in seinem „Dialog“, in dem sein Diakon Petrus der Gesprächspartner ist: Gemäß dem Zeugnis des Heiligen selbst hat er das, was er erzählt, ausschließlich von glaubwürdigen Personen erzählt bekommen.
Damit die Gläubigen, die diese Biografie andächtig lesen werden, alles, was sie suchen, schnell finden können, habe ich das Werk in zwei Teile geteilt und jedes Kapitel mit einer passenden Überschrift versehen. Im ersten Teil lege ich einige bemerkenswerte Tatsachen seines Lebens vor, wobei ich – um der Kürze willen – natürlich auswähle unter den vielen Ereignissen, die sich ab seinem Ordenseintritt abgespielt haben. Im zweiten Teil sammle ich dann schließlich die wunderbaren Ereignisse, die Gott durch ihn bewirkte. Dabei stütze ich mich auf das Zeugnis unserer Brüder und anderer Gläubigen, die mir des Vertrauens würdig scheinen. 
Ich, der Verfasser, bitte den Leser, mich nicht der Lüge oder der Falschheit anzuklagen, sondern mich vielmehr zu entschuldigen und mir meine Unwissenheit und meine Versäumnisse jedes Mal dann zu verzeihen, wenn ich irgendwo weniger sage als erwünscht oder durch Geschwätz die Grenzen der Wahrheit überschreite.

Über die Stadt des seligen Antonius
Man hat mir erzählt, dass sich im Westen des Reiches von Portugal eine Stadt erhebt, die sich am äußersten Ende der Welt befindet. Ihre Bewohner nennen sie Ulisbona (Lissabon), da sie nach landläufiger Meinung von Odysseus gegründet wurde. Innerhalb ihrer Mauern steht eine Kirche von bewundernswerter Größe, die der glorreichen Jungfrau Maria geweiht ist. Dort ruhen, unter allen Ehren aufbewahrt, die kostbaren und ehrwürdigen sterblichen Überreste des seligen Märtyrers Vinzenz (Vinzenz von Valencia, verstorben 304 während der Christenverfolgung unter Kaiser Diokletian). 
Gegenüber der Westseite dieses Gotteshauses besaßen die glücklichen Eltern des Antonius eine ihrer Stellung würdige Wohnung, deren Tür sich ganz in der Nähe des Eingangs der Kirche befand. Sie waren noch in der Blüte ihrer Jugendzeit, als sie der Welt diesen glücklichen Sohn gebaren. Bei der heiligen Taufe gaben sie ihm den Namen Fernando. 
Und es war eben diese Kirche, der heiligen Gottesmutter geweiht, der sie ihren Sohn anvertrauten, um die Heilige Schrift kennen zu lernen. Und sie beauftragten – wie von einer Vorahnung geleitet  – die Diener Christi mit der Erziehung des künftigen Boten Christi. 

Eintritt in den Augustinerorden
Nachdem er die heiteren Jahre seiner Kindheit in der Familie verbracht hatte, vollendete Fernando glücklich sein 15. Lebensjahr. Da mit der Pubertät die Versuchungen des Fleisches zunahmen und er sich mehr als gewöhnlich davon gequält fühlte, gewährte er doch der Jugend und der Lust keinen freien Lauf, sondern zog der bedrängenden fleischlichen Begierde die Zügel an und besiegte auf diese Weise die schwache menschliche Natur. Mit den alltäglichen Kontakten wurde ihm die Welt ekelerregend – so, dass er den Fuß, der noch nicht ganz die Schwelle berührt hatte, zurückzog. Denn er fürchtete, dass der Staub der irdischen Freuden an ihm haften bliebe und ein Hindernis sei für ihn, der schon im Geiste die Wege des Herrn ging.
In der Nähe der eingangs erwähnten Stadt erhebt sich ein Kloster des Ordens des heiligen Augustinus, dessen Bewohner, die wegen ihres religiösen Geistes berühmt sind, dem Herrn im Habit der Regular-Kanoniker dienen. An diesen Ort eilte der Mann Gottes, um die weltlichen Verlockungen zu überwinden, und zog mit demütiger Frömmigkeit den Habit der Regular-Kanoniker an. 
Dort blieb er etwa zwei Jahre, gestört allerdings von den häufigen Besuchen der Freunde, die die Seelen derer, die nach Sammlung dürsten, so sehr behelligen. Um sich aber von derlei Störungen zu befreien, beschloss er, seine Heimat zu verlassen, die nicht wenig dazu beitrug, den tapferen Geist zu zermürben. So wollte er dem Herrn in Ruhe dienen – in der Sicherheit eines fremden Hafens. Und nachdem er mit Mühe und nach viel Gebet die Erlaubnis des Oberen bekommen hatte, wechselte er zwar nicht den Orden, wohl aber den Wohnort. Und mit lebendigem Eifer siedelte er in das Kloster Santa Croce in Coimbra über.

Studium in Coimbra
Aus Liebe zu einer strengeren Disziplin und einer schöpferischeren Stille zog Antonius, der Diener Gottes, in das Kloster des lebensspendenden Kreuzes. Sein wachsender Eifer zeigte, dass er nicht so sehr den Ort, sondern vielmehr seine Einsatzfreude verändert hatte. Und der Aussage einer Schrift zufolge verdient nicht der Lob, der schon in Jerusalem gewesen ist, sondern der, der vorbildlich dort gelebt hat. In seinem Verhalten machte Fernando jedem deutlich, dass er einen passenderen Ort gesucht hatte, um eine höhere Vollkommenheit zu erreichen.
Er bildete seinen Geist durch eine große Hingabe zum Studium und übte die Seele durch die Meditation. Tag und Nacht, je nach Möglichkeit: Nie unterbrach er die Lektüre der Heiligen Schrift. Beim Lesen der biblischen Texte – er beachtete dabei die historische Wahrheit! – festigte er den Glauben mit allegorischen Vergleichen. Und indem er die Worte der Schrift auf sich selbst bezog, stärkte er seine Verbundenheit durch ein tugendhaftes Leben. 
Mit unbeschwerter Wissbegierde vertiefte er das Verständnis für den verborgenen Sinn der göttlichen Worte. Durch das Zeugnis der Schrift bewahrte er den Geist vor den Fallen des Irrtums. Und zu diesem Zweck vertiefte er auch das Wissen über die Heiligen durch fleißige Nachforschungen. Und alles, was er las, bewahrte er in seinem Gedächtnis, welches derart stark war, dass er nach kurzer Zeit eine derartige Kenntnis der Bibel an den Tag legte, wie es niemand je zu hoffen gewagt hätte.

 

Zuletzt aktualisiert: 20. Januar 2017
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