Die Mönche von Tibhirine

25. März 2019 | von

Miteinander im Frieden und im Dialog sein und bleiben – ein Anliegen, das ebenso beständig betont wird, wie seine Umsetzung schwierig ist. Immer wieder aber gibt es Menschen, die für dieses Ziel alles geben und selbst ihr Leben dafür riskieren. Die Mönche von Tibhirine sind ein Beispiel.

Eine kleine Revolution war es wohl mindestens, als über 96% der zum 2. Vatikanum versammelten Konzilsväter am 26. Oktober 1965 die „Erklärung über die Haltung der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen“ (Nostra aetate) verabschiedeten. Die römisch-katholische Kirche weitet damit ihren bislang exklusiv verstandenen Wahrheitsanspruch. Sie bleibt bei ihrer Lehre, erkennt aber auch an, dass auch in anderen Religionen ein „Strahl jener Wahrheit“ erkennbar sei, „die alle Menschen erleuchtet.“ (Nostra Aetate, Nr. 2) Die Mahnung zum Dialog schließt auch ausdrücklich das Gespräch mit den Muslimen ein. 

Verständnis und Frieden
Zum Islam, der nach dem Christentum größten Religionsgemeinschaft, schreiben die Konzilsväter: „Mit Hochachtung betrachtet die Kirche auch die Muslim, die den alleinigen Gott anbeten, den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde, der zu den Menschen gesprochen hat. Sie mühen sich, auch seinen verborgenen Ratschlüssen sich mit ganzer Seele zu unterwerfen, so wie Abraham sich Gott unterworfen hat, auf den der islamische Glaube sich gerne beruft. Jesus, den sie allerdings nicht als Gott anerkennen, verehren sie doch als Propheten, und sie ehren seine jungfräuliche Mutter Maria, die sie bisweilen auch in Frömmigkeit anrufen. Überdies erwarten sie den Tag des Gerichtes, an dem Gott alle Menschen auferweckt und ihnen vergilt. Deshalb legen sie Wert auf sittliche Lebenshaltung und verehren Gott besonders durch Gebet, Almosen und Fasten.
Da es jedoch im Lauf der Jahrhunderte zu manchen Zwistigkeiten und Feindschaften zwischen Christen und Muslim kam, ermahnt die Heilige Synode alle, das Vergangene beiseite zu lassen, sich aufrichtig um gegenseitiges Verstehen zu bemühen und gemeinsam einzutreten für Schutz und Förderung der sozialen Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht zuletzt des Friedens und der Freiheit für alle Menschen.“ (Nostra Aetate, Nr. 3)

Dialogversuche – ganz konkret
Seitdem geht es nun auf der ganzen Welt darum, dieser Erklärung praktische Taten folgen zu lassen – und tatsächlich haben sich in den vergangenen 60 Jahren Einzelpersonen und Gemeinschaften um interreligiösen Dialog auf den verschiedensten Ebenen bemüht.
Ein prominentes Beispiel ist das – auch in unserem „Thema des Monats“ erwähnte – algerische Trappisten-Kloster Notre-Dame de l’Atlas in Tibhirine. Vom französischen Kloster Aiguebelle aus wurde es im März 1938 gegründet. Bis 1951 wuchs die Gemeinschaft der Mönche von 13 auf ca. 30 Trappisten an. Einfach war die Präsenz der katholischen Ordensmänner inmitten der überwiegend muslimischen Bevölkerung nicht. Gegenseitige Vorurteile blockierten ungezwungene Beziehungen. Für viele Europäer galten Muslime schlichtweg als Ungläubige, die es zu bekehren galt. – Andererseits sahen die ortsansässigen Muslime in den Europäern in erster Linie auch Vertreter der Kolonialmacht, die ihr Land unterdrückt hatte. P. Jean-Pierre Schumacher, Jahrgang 1924 und einst Mönch in Tibhirine, berichtet von den zaghaften Anfängen im Dialog als Konsequenz des Konzilsdokuments: „Ich war fasziniert von der Idee, eine neue Beziehung zu den Muslimen aufzubauen! Aber wir Trappisten wussten zunächst gar nicht, wie das möglich sein sollte. Wir lebten in strenger Klausur und hatten gelobt, zu schweigen. Nur langsam gelang es uns, mit unseren algerischen Nachbarn in Kontakt zu kommen.“

Gemeinsames Beten
Ein großer Schritt gelingt den Mönchen, als die Muslime in Tibhirine eine neue Moschee brauchen, aber kein Geld für einen Neubau haben. Die Mönche stellen einen Raum ihres Klosters zur Verfügung und schließen sich regelmäßig dem Gebet der Muslime an. Eine Annäherung beginnt, die mit P. Christian de Chergé, der 1976 in Tibhirine die Feierliche Profess ablegt und ab 1984 Oberer des Klosters ist, zunehmend an Fahrt gewinnt. Der studierte Islamwissenschaftler und gebildete Theologe setzt Akzente und darf auch bald die Früchte der Bemühungen sehen. P. Jean-Pierre erzählt: „1979 begann unser Kontakt zu den algerischen Sufi. Mit den muslimischen Mystikern bildeten wir die Vereinigung ‚Ribat el Salam‘, das ‚Band des Friedens‘. Wir trafen uns alle sechs Monate und beschlossen, keine theologischen Fragen zu diskutieren, um Streit zu vermeiden. Stattdessen sprachen wir über unsere Beziehung zu Gott und unseren Weg mit Gott. Schließlich wurden gemeinsame Gebetsstunden möglich: Wir zündeten in unserer Mitte eine Kerze an als Symbol für die Gegenwart Gottes unter uns. Dann betete jeder still für sich, eine halbe Stunde lang. Und am Ende haben wir ein Meditationswort ausgetauscht, das uns in den kommenden Monaten begleiten und verbinden sollte.“
Die christlichen Mönche und ihre muslimischen Nachbarn starten ein gemeinsames landwirtschaftliches Projekt – die Annäherung im Geist zeigt ganz konkrete Folgen. Freilich geht es nie darum, den Anderen zu bekehren. P. Jean-Pierre: „Wir haben unseren Freunden damals oft gesagt: ‚Wir werden durch euch bessere Christen und ihr durch uns bessere Muslime.‘ Es geht im Dialog der Religionen nicht darum, den anderen zum eigenen Glauben zu bekehren, sondern mit Hilfe des Geistes gemeinsam zu lernen und für den Frieden in der Welt zu arbeiten.“

Frieden inmitten des Terrorismus
Das gelingt im kleinen Tibhirine. In Algerien kommt es aber immer wieder zu Terroranschlägen. Die Führung der Islamischen Partei, die sich gegen die Korruption unter den Regierungsvertretern stark macht und deshalb gute Chancen hat, die Wahlen von 1991 zu gewinnen, wird von der Militärregierung ausgeschaltet. Viele Parteivertreter gehen in den Untergrund, Terrorattacken nehmen zu, wobei nie ganz klar ist, ob sie von radikalisierten Muslimen verübt oder auf Geheiß der Armee ausgeführt werden. Im September 1993 werden erstmals alle Ausländer aufgefordert, das Land zu verlassen und sich in Sicherheit zu bringen. Die Mönche von Tibhirine bleiben – und werden zu Weihnachten 1993 erstmals von islamistischen Rebellen heimgesucht. Sie wollen einen der Mönche, P. Luc Dochier, der als Arzt die Dorfbevölkerung versorgt, mitnehmen. Der Prior kann das verhindern und bietet den Rebellen an, jeden Verletzten im Kloster zu behandeln. Die Gefahr ist groß, doch noch immer ist das Trappistenkloster ein Ort des Friedens. 
Für die Beratung bei der Frage „gehen oder bleiben?“ holt man sich P. Armand Veilleux, Generalprokurator des Ordens in Rom. Er schreibt im Nachhinein: „Der Aufenthalt war beeindruckend, denn ich hatte noch nie eine Klostergemeinschaft erlebt, die so eng verbunden war wie diese. Sie wussten um die Gefahr. Sie waren keine Verrückten, niemand von ihnen wollte sterben. Aber sie wollten die Menschen in Not, die sie lieb gewonnen hatten, nicht im Stich lassen.“

Ermordung – und Vergebung
Ihr Bleiben werden die meisten Mönche aber bald mit ihrem eigenen Leben bezahlen. In der Nacht vom 26. auf den 27. März 1996 verschaffen sich Bewaffnete Zugang zum Kloster. Der hier schon mehrfach zitierte P. Jean-Pierre schläft in dieser Nacht in der Pforte und wird – gemeinsam mit einem anderen Mönch – gewissermaßen „übersehen.“ Sieben Mönche allerdings, darunter der Prior Christian de Chergé, werden entführt. Auf einer Tonbandkassette ist seine Stimme zu hören: „Unsere Entführer fordern die französische Regierung auf, einige Gefangene zu entlassen, die ihnen gehören. Das ist eine Voraussetzung für unsere Freilassung. Andernfalls werden wir nicht zurückkehren.“
Trotz des Verweises auf die Terrorgruppe „Djamaat El Islamiya“ bleibt bis heute unklar, wer tatsächlich hinter der Entführung steckt. Selbst ein Komplott der algerischen Armee, um die Öffentlichkeit gegen die terroristischen Gruppen aufzubringen, scheint denkbar. 
Wie dem auch sei: Die sieben Mönche kommen aus der Gefangenschaft nicht mehr frei. Die Mönche werden enthauptet. Ihre Köpfe findet man wenige Wochen nach der Entführung, die Körper bleiben verschollen. Spätestens jetzt wurden die Worte aus P. Christian de Chergés Testament von 1994 zu einem prophetischen Text: „Wenn es eines Tages geschehen sollte – und das könnte heute sein – dass ich ein Opfer des Terrorismus werde, möchte ich so viel ruhige Klarheit haben, dass ich dem aus ganzem Herzen vergeben kann, der mich töten wird.“

Lebendig bis heute
Das Kloster Tibhirine ist bis heute verwaist. Aber die Botschaft der Mönche ist lebendig – auch über 20 Jahre nach ihrem Martyrium. 2010 ist der Film „Von Menschen und Göttern“ in die Kinos gekommen, der ihnen ein filmisches Denkmal setzt und von der Süddeutschen Zeitung gar als „Film-Wunder“ bezeichnet wurde.
Und am 8. Dezember des vergangenen Jahres waren die ermordeten Mönche von Tibhirine unter den 19 algerischen Märtyrern, die zwischen 1994 und 1996 in Algerien ihr Leben ließen, und die nun seliggesprochen wurden. In einer Botschaft bezeichnete sie Papst Franziskus mit ihrem mutigen Glaubenszeugnis als „Quelle der Hoffnung für die Katholiken in Algerien und Samen des Dialogs für die gesamte Gesellschaft“.

Zuletzt aktualisiert: 25. März 2019
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