Durchgangsstation auf dem Weg ins Paradies

01. Januar 1900 | von

“Wir sind nur Gast auf Erden und wandern ohne Ruh’ mit mancherlei Beschwerden der ewigen Heimat zu”. Unser Dasein auf Erden ist nur Vorstufe zur Ewigkeit. Im Sterbevorgang beginnt sich die Seele vom Körper zu trennen. Ist diesem alle Lebenskraft entwichen, sprechen wir vom Tod(-eszeitpunkt).

 Tor zum Jenseits. Die Einheit von Körper und Seele ist aufgehoben. Alles Körperliche zerfällt und löst sich auf. Übrig bleibt tote Materie. Das Ich des Menschen, seine Seele, ist unzerstörbar. Ihre geistige Substanz entzieht sich der Fassbarkeit der (an Raum und Zeit gebundenen) menschlichen Wahrnehmung der Hinterbliebenen. Nur wer diese Raum-Zeit-Schranke durchbrechen kann, nimmt Jenseitiges wahr. Personen, die für Mystisches empfänglich sind, berichten, dass sie Seelen Verstorbener in einem außersinnlichen Vorgang des Erkennens “sehen” konnten. Wohin also geht die Seele nach dem Tod? Wo befinden sich all die Milliarden von Seelen, die im Verlaufe der Geschichte der Menschheit ihren Körper verlassen haben?

 Als Christen wissen wir, dass sich an das irdische Leben nicht einfach, des zeitlichen Ablaufs wegen, automatisch der Eintritt ins Paradies anschließt, sondern Endform und Qualität der Ewigkeit im Jenseits als Konsequenz aus diesem hervorgehen. Was einer hier sät, das wird er dort ernten. Was einer mit der Gnade Gottes aus seinem Leben gemacht hat, wie sehr er für das Kommen des Reiches Gottes gearbeitet hat, wird sich im Jenseits auswirken.

Augustinus bezeichnete dieses Leben als “cursus ad mortem“ (Augustinus), im Sinne menschlicher Transzendenz aber ist es “Startbahn” in die Ewigkeit. Der körperliche Tod ist Tor zum Jenseits. Christus sagt von sich: “Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt.” Und er betont, wie wichtig es ist, dass die Seele auf die alles entscheidende Situation ihres Eintritts in die Ewigkeit vorbereitet ist. Er verspricht dem Schächer zur Rechten die Aufnahme in den Himmel: “Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein” (Lk 23,43).

Vorbereitung entscheidet. Er empfiehlt dem Vater seine eigene Seele: “Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist.” (Lk 23,46). Viele Heilige übergaben Gott in der Todesstunde ihre Seele in Demut und Vertrauen. Stephanus rief bei der Steinigung: “Herr Jesus, nimm meinen Geist auf” (Apg. 7,59)!

Was erwartet uns im Jenseits? Die Heilige Schrift erwähnt an vielen Stellen, dass nach dem Tode die Geistseele des Verstorbenen, das persönliche Ich, die Begegnung mit Christus erwartet. Die Seele tritt vor das Angesicht Gottes und begegnet der vollkommenen Liebe. Gott ist Barmherzigkeit, aber immer auch Gerechtigkeit. Währenddessen erkennt das Ich blitzartig die Wahrheit: Gott existiert. Es schaut ihn von Angesicht zu Angesicht und sieht im Spiegel seiner Heiligkeit klar den Zustand der eigenen Seele. In seinem Bewusstsein verdichtet sich das Urteil über sein Leben. Die Seele versteht in völliger Klarheit, dass es der eigenen Lebensentscheidung für oder gegen Gott entspringt. Es gibt keinen Zweifel, dass der irdische Mensch diese Entscheidung selbst vollzogen hat und um die sich daraus ergebende unabänderliche Konsequenz weiß.

Konsequenz für die Ewigkeit. Das abgeschlossene Leben auf Erden trägt in sich die Konsequenz für die Ewigkeit, je nachdem, wofür der Mensch sich hier entschieden hat: Vollkommene Geborgenheit in Gottes Liebe und Nähe oder totale Verlorenheit in der Gottesferne. Das eine ist der Inbegriff ewigen Lebens in Seligkeit, das andere ewigen Todes in ununterbrochenem Bewusstsein selbstverschuldeter Verdammnis. Wir nennen das eine “Himmel”, das andere “Hölle”. Das Urteil entspricht dem endgültigen Zustand der Seele in Ewigkeit – Gerechtigkeit Gottes. 

Christi Warnung. Die Dramatik dieser Endkonsequenz wird heute vielfach verharmlost, verkannt oder in Frage gestellt. Christus aber mahnt unmissverständlich: “Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber an seiner Seele Schaden leidet.” (Mt 16,26 alte Version) Ein anderes Mal warnt er: “Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können, sondern fürchtet euch vor dem, der Seele und Leib ins Verderben der Hölle stürzen kann.” (Mt 10,28)

Die Entscheidung über das ewige Schicksal jeder einzelnen Seele ist unmittelbar nach der totalen Selbsterkenntnis gefallen. Gottes Barmherzigkeit und Güte durchdringen seine Getreuen mit der Sicherheit ewigen Lebens in seiner Anschauung. Aber die Einlösung dieser Sicherheit kann sich noch verzögern. Himmel ist Leben in der Heiligkeit Gottes. “Nichts Unreines” kann dorthin kommen.

(Offb 21,27). Eine Seele, an der irgendeine noch so kleine Unreinheit von Sünde oder Sündenfolge haftet, kann daher nicht sofort in den Himmel eingehen. Die Seelen erkennen die an ihnen noch haftenden Makel und wünschen nichts sehnsüchtiger, als sich zu reinigen.

Gottes Fürsorge und Liebe halten hierfür ein Angebot der Barmherzigkeit bereit: Diese Gott teure Seele bekommt die Möglichkeit, sich an einem Reinigungsort vollständig zu läutern, um ihre ursprüngliche Heiligkeit wiederzuerlangen, mit der sie dann in das Leuchten der Herrlichkeit Gottes eintauchen darf.

Angebot Läuterung.“Wer in der Gnade und Freundschaft Gottes stirbt, aber noch nicht vollkommen geläutert ist, ist zwar seines ewigen Heils sicher, macht aber nach dem Tod eine Läuterung durch, um die Heiligkeit zu erlangen, die notwendig ist, in die Freude des Himmels eingehen zu können” (Katechismus der Katholischen Kirche 1030, kurz: KKK). Gestützt wird dieser Glaube vor allem durch die Konzilien von Florenz (1431-1445) und Trient (1545-1563).

Gottes Angebot einer Läuterung “Armer Seelen” in einem Reinigungsort (Purgatorium; Fegfeuer) ist fester katholischer Glaube. Woraus besteht diese Läuterung? Wir können sie am ehesten mit dem schlimmen Gefühl von Heimweh vergleichen. Es ist die brennende Sehnsucht nach dem endgültigen Sein bei Gott. “Fegfeuer” ist dabei Ort und Zustand zugleich, in den sich die Seele mit vollkommener innerer Zustimmung begibt, um aus Liebe zu Gott die letzten Flecken ihrer Sünden zu tilgen, die der Heiligkeit des Himmels nicht würdig sind. Das Purgatorium stellt folglich ein Geschenk der Liebe Gottes dar.

In sicherer Hoffnung. Franz von Sales schrieb: “Wer richtig über das Fegfeuer nachdenkt, empfindet Trost anstatt Furcht.” Der Reinigungsort ist nicht die Hölle, auch kein Teil davon. Die abschließende Läuterung der Auserwählten ist von der absoluten Hoffnungslosigkeit und totalen Liebesleere der Verdammten völlig verschieden. Sie ist Morgendämmerung reuevoller Erwartung, kein angstbesetztes Dunkel. Sie ist brennende Sehnsucht des Heimwehs nach dem Paradies, aber nicht unwiderrufliche Trennung von Gott. Sie ist sichere Hoffung, nicht tödliche Verzweiflung. Die Seelen sind zwar in ihre persönlichen Leiden noch zeitlich gebunden, aber eines vollkommenen Lebens in der Liebe Gottes nach Beendigung des Aufenthaltes im Fegfeuer sicher. Auch wenn das Leiden im Reinigungsort so vielgestaltig ist wie es dort Seelen gibt, steht doch ihr gleichzeitiges Glücklichsein himmelweit über dem auf Erden. Manche Theologen nennen sie daher nicht nur “Arme Seelen” (sie können sich selbst nicht helfen), sondern auch “Heilige Seelen” (sie werden heilig leben und sind Gott teuer, während sie der göttlichen Gerechtigkeit Genugtuung leisten).

Der Reinigungsort ist auch nicht im Geringsten ein Zustand demütigender Bloßstellung. Die Seelen befinden sich vielmehr in liebevoller Hinordnung auf Gott und unterwerfen sich freiwillig und in nun absolut reiner, uneigennütziger Gottesliebe dem Reinigungsprozess bislang ungesühnter Verfehlungen. Sie können hier nicht mehr sündigen, aber auch keine Verdienste mehr erwerben. Nach Franz von Sales werden sie von den Engeln getröstet.

Nur wenige ausgenommen. Ist für uns das Fegfeuer unumgänglich? Johannes vom Kreuz sagte: “Nur eine kleine Anzahl der Seelen erreicht die vollkommene Liebe.” Theresia von Avila und der Pfarrer von Ars meinten, dass nur sehr wenige am Fegfeuer vorbei kommen. Die heilige Theresia von Lisieux setzt auf die Barmherzigkeit und Liebe Gottes. Sie mahnt eine Mitschwester: “Sie haben nicht genug Vertrauen und zu viel Angst vor dem guten Gott. Ich versichere Ihnen, dass Er darüber betrübt ist. Wir sollen das Fegfeuer nicht fürchten der Leiden wegen, sondern man soll verlangen, nicht dorthin kommen zu müssen, um Gott damit zu erfreuen. Er ist nämlich über jede Seele traurig, die sich dieser Reinigung unterziehen muss. Sobald Sie versuchen, Ihm in allem zu gefallen, und Sie ein unerschütterliches Vertrauen haben, reinigt er Sie jeden Augenblick in seiner Liebe und lässt in Ihnen keine Sünde mehr zurück.”

Den Seelen helfen. “Zögern wir nicht, den Verstorbenen Hilfe zu bringen und unsere Gebete für sie aufzuopfern” (Chrysostomus), denn die “Armen Seelen” können sich selber ja nicht helfen. Es ist gute katholische Praxis, für die Verstorbenen zu beten. Davon spricht schon die Heilige Schrift: „Darum veranstaltete Judas (der Makkabäer) das Sühnopfer für die Verstorbenen, damit sie von der Sünde befreit werden” (2 Makk 12,45). Die Seelen im Fegfeuer sind Teil der gesamten Kirche, die “Leidende Kirche”. Die Kirche auf Erden hielt das Andenken an die Verstorbenen schon seit ihren Anfängen in Ehren. Sie brachte “Fürbitten und insbesondere das eucharistische Opfers dar, damit sie geläutert werden und zur beseligenden Gottesschau gelangen können”. Sie empfiehlt bis heute auch “Almosen, Ablässe und Bußwerke zugunsten der Verstorbenen.” (KKK 1030)

Lass‘ sie ruhen in Frieden. In der Totenmesse flehen wir zu Gott um Hilfe und Fürsprache für die Seelen im Reinigungsort: “Befreie, o Herr, die Seelen aller verstorbenen Gläubigen von jeglichem Band der Sünden!” Katholische Christen nehmen die Bitten für die “Armen Seelen im Fegfeuer” in ihre täglichen Gebete auf: “Herr, gib ihnen die ewige Ruhe. Das ewige Licht leuchte ihnen. Herr, lasse sie ruhen in Frieden. Amen.” Thomas von Aquin war sogar der Überzeugung: “Von allen Gebeten sind jene für die Verstorbenen Gott am wohlgefälligsten, weil sie geistliche und leibliche Werke der Barmherzigkeit in sich schließen.” Gott nimmt freudig alle Gebete und Opfer für die “Armen Seelen” zur Linderung und Aufhebung ihrer Leiden an.

Gegenseitiges Beschenken. Daher beten wir für sie, spenden ihnen Weihwasser und feiern für sie das heilige Messopfer. Es ist frommer Brauch, ihnen bestimmte Ablässe zukommen zu lassen, für sie gute Werke zu verrichten oder Opfer zu bringen. Auch wenn wir annehmen, dass sie unser Gebet und unsere guten Werke nicht mehr brauchen, sollten wir in unserer Nächstenliebe nicht nachlassen.

Liebe, die wir für sie verschenken, wird uns wiedergeschenkt werden. Von der heiligen Katharina von Bologna stammt der Ausspruch: “Wenn ich von Gott irgendeine Gnade erlangen möchte, so bitte ich die Armen Seelen, in meinem Namen darum zu bitten, und durch ihre Fürbitte erhalte ich immer, was ich möchte.” Teresa von Avila versicherte, dass sie alles, was sie von Gott durch die Fürsprache der Armen Seelen erbeten habe, auch erhalten habe. Der heilige Pfarrer von Ars sagte zu einem Priester: “Wenn man wüsste, was für eine Macht die Armen Seelen haben und wie viele Gnaden wir von Gott durch ihre Fürbitte erhalten, dann wären sie nicht so vergessen. Beten wir für sie, damit sie auch für uns bitten!”

Am Ende der Welt, am Tag des letzten Gerichtes wird es kein Fegfeuer mehr geben. Die dann noch in ihm wohnen, gehen in das Reich Gottes ein.

 

“Requiem aeternam dona eis Domine, et lux perpetua luceat eis. In memoria aeterna erit justus, ab auditione mala non timebit.”

(“Die ewige Ruhe gib ihnen, o Herr, und das ewige Licht leuchte ihnen! In stetem Andenken wird der Gerechte bleiben; vor schlimmer Kunde wird er sich nicht fürchten.”)

Aus: Messe für die Verstorbenen.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016