Ein Anstoß zur Beichte

Der Autor unseres Beitrags zum „Jahr der Barmherzigkeit“ war von 1994 bis 2015 Professor für Moraltheologie an der Universität Regensburg. Im Zentrum seines theologischen Beitrags steht das Sakrament der Versöhnung, die Beichte.
28. April 2016 | von

Vor einiger Zeit las ich einen Artikel, der sich mit Tipps zum intensiveren Spazieren gehen, Joggen und Wandern beschäftigte. Der Autor des Artikels kritisierte nicht die einzelnen Vorschläge der anderen, sondern wies darauf hin, dass für manche die viel schwierigere Frage nach den Gründen, warum man sich gerade nicht auf den Weg nach „draußen“ mache, angefangen vom nicht passenden Wetter bis zur mangelnden Zeit wegen anderer Aufgaben usw., kaum gestellt werde. Diesen ersten Schritt zu setzen, sei das Entscheidende und danach hätten die vielfältigen Anregungen, die ja unterschiedliche Erwartungen und körperliche Voraussetzungen berücksichtigen, ihre Berechtigung. Beim Thema Beichte geht es manchen wohl ähnlich. Gerade wenn ein Bezug zu Gott vorhanden und ein regelmäßiger gottesdienstlicher Kontakt zur Kirche da ist, stellt sich die Frage nach der eigenen Einstellung zum Sakrament der Versöhnung (Beichte). 

Beichtanstoß durch Heilige Pforten

Papst Franziskus will mit dem Heiligen Jahr auch dazu einen Anstoß geben. Bei uns haben verschiedene Bistümer dieses Anliegen so aufgenommen, dass eine Pforte der Barmherzigkeit nicht in der jeweiligen Bischofskirche, sondern in zentralen „Beichtkirchen“ der Diözesen, an denen durchgehend Ordensleute wirken und präsent sind (z.B. Berlin, Eichstätt, Regensburg, Würzburg), eröffnet wurde. Darüber hinaus gibt es in den meisten Bistümern neben der Kathedrale noch weitere Kirchen mit „Pforten der Barmherzigkeit“, vor allem auch an den großen Wallfahrtsorten (Altötting, Kevelaer). 

Barmherzige Zuwendung

Eine Perspektive und eine Initiative des Papstes möchte ich als Impuls für die Beichte besonders unterstreichen. Im Text, mit dem Papst Franziskus das Heilige Jahr der Barmherzigkeit angekündigt und näher beschrieben hat (Misericordiae vultus, abgekürzt MV), charakterisiert er das Leitwort „Barmherzig wie der Vater“ anhand verschiedener biblischer Szenen. Als Ausgangspunkt ist hier zu betrachten, dass Gott in Jesus von Nazareth bereits auf die Menschen zugegangen ist, einen neuen Anfang gesetzt und seine Barmherzigkeit erwiesen hat. „Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist.“ (Lk 6,36) Der Anfang liegt also nicht beim Einzelnen – wie beim Joggen und Wandern –, sondern aus der Perspektive des Glaubens bei Gott. Besonders wird dies verdeutlicht durch das Gleichnis vom barmherzigen Vater (Lk 15,11-32), das Papst Franziskus in engem Zusammenhang mit dem Dienst der Beichtväter sieht. Der barmherzige Vater geht auf den „verlorenen“ Sohn zu, er geht gar nicht näher auf sein Bekenntnis ein, sondern freut sich über seine Um- und Rückkehr und lässt ein Festmahl halten. „Die Beichtväter sollen den reumütigen Sohn, der nach Hause zurückkehrt, umarmen und ihre Freude darüber zum Ausdruck bringen, dass sie ihn wiedergefunden haben… Sie stellen keine aufdringlichen Fragen, vielmehr unterbrechen sie – wie der Vater im Gleichnis – die vorbereitete Rede des verlorenen Sohnes, denn sie verstehen es, im Herzen eines jeden Beichtenden den Ruf um Hilfe und das Verlangen nach Vergebung zu lesen.“ (MV 17) So  sollen sie „Zeichen des Primates der Barmherzigkeit“ sein. Diese intensiven Hinweise zur Aufgabe des Beichtvaters sollen alle ermutigen, sich in diese Beziehung zur Barmherzigkeit Gottes, den die Beichtväter verkörpern (sollen), zu stellen. Der Papst spricht also vorrangig nicht von der Sünde und ihrem Bekenntnis, was er selbstverständlich miteinschließt, sondern von der barmherzigen Zuwendung Gottes. Diese ist umfassender und übergreifender als die Sünde. Aber Barmherzigkeit will von Gott her nicht nur allgemein, sondern persönlich zugesprochen werden: „Deine Sünden sind Dir vergeben.“ (Mk 2,5)

Vorbild im Beichthören

Diese grundlegende Perspektive wird auch in einer der Initiativen sichtbar, die Papst Franziskus zu Beginn der österlichen Bußzeit ergriffen hat. Die Reliquien zweier heiliger Kapuziner, Pater Pio von Pietrelcina (1887-1968) und Pater Leopold Mandić (1866-1942), wurden in den Petersdom gebracht und waren beim Eröffnungsgottesdienst der österlichen Bußzeit am Aschermittwoch „anwesend“. Da der heilige Leopold Mandić etwas weniger bekannt sein dürfte, hier einige Hinweise. Der aus Kroatien stammende Ordensmann war ca. 30 Jahre lang in Padua Beichtvater und verbrachte täglich, wie berichtet wird, bis zu 15 Stunden in seiner Beichtzelle. Auch der spätere Papst Johannes Paul I. ging als Kaplan zu ihm zur Beichte. P. Leopold, der körperlich eher unscheinbar war, hatte ein großes Herz für die Menschen, die zu ihm kamen. Wegen seines barmherzigen Umgangs wurde er manchmal abfällig als „Pater Allesvergeber“ gekennzeichnet. Die Großzügigkeit gegenüber den Beichtenden war bei ihm zugleich aber auch mit dem Wissen, dem Leiden, ja auch der Angst verbunden, dass er selbst unter dem Gericht Gottes stehe, und er sich mit dem Kreuz des Herrn zu verbinden habe. Nur das Vergebungswort seines Beichtvaters konnte ihn aus dieser spannungsvollen Situation befreien. Papst Johannes Paul II. hat ihn im außerordentlichen Heiligen Jahr 1983 heiliggesprochen. Wenn der jetzige Papst sein Beispiel so hervorhebt, dann will er damit die unendliche Großzügigkeit Gottes zum Ausdruck bringen, „denn seine Huld ist ewig“. (Ps 118,1) Gerade die aus heutiger Sicht bereits von der Zeit her „extreme“ Anwesenheit, um Beichten entgegenzunehmen, bringt dies zum Ausdruck. In diesen Raum der Barmherzigkeit dürfen wir uns als Glieder der Kirche immer wieder neu stellen. Zugleich ist es ein wichtiger Anstoß für die Priester, die die Beichte entgegennehmen. Sie sollen die „grenzenlose Barmherzigkeit des Vaters“ darstellen, mit den Worten von Papst Franziskus: „Die Beichtväter sind also berufen, immer, überall, in jeder Situation und egal unter welchen Umständen, Zeichen des Primates der Barmherzigkeit zu sein.“(MV 17)

Vom Dank hin zum Bekenntnis

Wie gesagt, Gott hat sich bereits in seinem Sohn Jesus Christus auf den Weg zu uns gemacht. Ein erster Schritt unsererseits wäre es, Gott zu danken für das Gute, das wir in unserem Leben erfahren haben. Wenn wir das immer wieder regelmäßig tun, wird sich daraus eine positive Haltung herausbilden, sich in Beziehung zum barmherzigen Vater zu setzen. Dies fällt uns manchmal gar nicht so leicht, denn wir sind auch durch unsere Umwelt bedingt gewohnt, das Positive, das Gelingen, uns selbst zuzuschreiben und den Misserfolg eher bei anderen zu suchen. Genau dieses Ins-Wort-Bringen des Dankes könnte auch ein erster Schritt zu Vorbereitung auf das Sakrament der Versöhnung sein. Ich bin überzeugt, dass sich dann der nächste Schritt fast von selbst einstellt: was ist nicht gelungen; wo bin ich hinter der Zusage Gottes zurückgeblieben? Manchmal ist unser Verhalten eindeutig, nicht selten zeigt sich unser Leben aber nicht einfach als schwarz und weiß. Sich dieser Realität zu stellen, sie ins Wort zu bringen und dann vor Gott zu bekennen, wird dann, wenn man zuerst den Dank zum Ausdruck gebracht hat, leichter fallen. Gerade weil wir auf die Barmherzigkeit Gottes vertrauen dürfen, können wir unsere Sünden bekennen. Ähnlich wie bei den Tipps zum Joggen und Wandern können und sollen wir danach Ausschau halten, was uns hilft und gut tut. Erfahrungen anderer können uns dabei unterstützen, heilige Beichtväter uns ermutigen, „heilige Pforten“, wie jetzt im Jahr der Barmherzigkeit, uns einladen, Gott, dem barmherzigen Vater, im Sakrament der Versöhnung zu begegnen.

Zuletzt aktualisiert: 13. Oktober 2016
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