Ein Gott zum Anfassen

Die Weihnachtskrippe darf am 24./25. Dezember nicht fehlen. Unser Autor nimmt uns mit in die franziskanische Geschichte des weihnachtlichen Geschehens.
01. Dezember 2016 | von

Als ich noch in Nieledew lebte, einem kleinen Ort im östlichen Polen, in dem ich meine Kindheit verbrachte, da waren die Rollen an Weihnachten klar verteilt: Der Vater kümmert sich um den Christbaum, die Mutter stellt die Krippe auf – und das Christkind bringt die Geschenke… In den ersten Schuljahren spielten dann mein jüngerer Bruder Michał und ich im Krippenspiel mit, meist in der Rolle eines Hirten. Dass das, was wir da szenisch darstellten, etwas mit dem heiligen Franziskus zu tun hat, dem Gründer meiner Ordensgemeinschaft, habe ich dann erst während meines Studiums in Krakau erfahren. Dort gehörte es nämlich zu den Aufgaben der Junioren, eine „lebendige Krippe“ vor dem Kloster aufzubauen, ein Brauch, den es auch im deutschen Sprachraum gibt und der seine Wurzeln bei Franz von Assisi (1181/82-1226) hat. 

 

Weihnachtliche Frömmigkeit

Dass man das Weihnachtsgeschehen bildhaft darzustellen versuchte, reicht aber noch weiter in die Geschichte der Christenheit zurück. Natürlich berichten uns die Evangelisten, vor allem Lukas, von der Geburt Jesu, so dass sich dann im 4. Jahrhundert bereits Zeichnungen von der Geburt des Herrn in den römischen Katakomben befinden. Bildlich versucht man sich vorzustellen, was andere in Worten überliefert haben. Allmählich wächst auch eine Verehrung an der Geburtsstätte in Betlehem. Der heilige Hieronymus berichtet immer wieder von der Geburtsgrotte in der Stadt Davids: „Hier in einer kleinen Erdspalte wurde der Schöpfer des Himmels geboren.“ (46. Brief, Kap. 11) Heute markiert ein silberner Stern in der Geburtskirche den vermuteten Geburtsort Jesu: „Hier wurde Jesus Christus von der Jungfrau Maria geboren“ ist dort zu lesen. 

 

Weihnachtspsalm

Franz von Assisi kommt als gläubiger Christ also gar nicht umhin, sich auch mit dem Weihnachtsereignis zu beschäftigen. Für sich und seine Brüder hat er einen Psalm verfasst, der von Weihnachten bis zu Epiphanie in jeder Hore gebetet wurde: „Jubelt Gott, unserem Helfer, jauchzt dem Herrn, dem lebendigen und wahren Gott mit Jubelklang. (…) Denn der heiligste Vater im Himmel, unser König vor Ewigkeiten, hat seinen geliebten Sohn aus der Höhe gesandt, und er ist von der seligen Jungfrau, der heiligen Maria, geboren worden. (…) Das ist der Tag, den der Herr gemacht hat, an ihm lasst uns jubeln und frohlocken. Denn das heiligste, geliebte Kind ist uns geschenkt und geboren für uns am Weg und in eine Krippe gelegt worden, weil es keinen Platz in der Herberge hatte.“ 

 

Auf der Suche nach einer Erfahrung

Doch Franziskus beschäftigt sich nicht nur auf diese betende Weise mit der Geburt des Erlösers, sondern mehr noch sinnenhaft. Die vorherrschende theologische Methode des Mittelalters, die Scholastik, war ihm und seinen Brüdern nicht genug: Das logische Denken, die wissenschaftliche Beweisführung und theo-retische Durchdringung des Gottesgeheimnisses mochten zwar ihre Berechtigung haben – doch Franziskus suchte mehr. Er war auf der Suche, wie wir heute vielleicht formulieren würden, nach einem Gott zum Anfassen. Er wusste, dass sein Verstand allein überfordert sein würde, Gott zu begreifen. Es müssten auch die anderen Sinne miteinbezogen werden, um zumindest erahnen zu können, was da an Weihnachten geschehen ist. Franz von Assisi machte sich also auf die Suche nach einer ganz konkreten Erfahrung und die gestaltete er selbst zum Weihnachtsfest des Jahres 1223 in Greccio. 

 

Vorbereitungen für das große Fest

Lassen wir für dieses Ereignis einmal ausführlich seinen Biografen, Thomas von Celano, zu Wort kommen, der in seiner „Ersten Lebensbeschreibung“ (84-87) folgendes berichtet: „In jener Gegend – bei Greccio – lebte ein Mann mit Namen Johannes, von gutem Ruf, aber noch besserem Lebenswandel. Ihm war der selige Franziskus in besonderer Liebe zugetan, weil er trotz des großen Ruhmes und des Ansehens, das er daheim genoss, den Adel des Fleisches verachtete und nach dem Adel der Seele trachtete. Diesen ließ nun der selige Franziskus, wie er oft zu tun pflegte, zu sich rufen, etwa vierzehn Tage vor der Geburt des Herrn, und sprach zu ihm: ‚Wenn du wünschst, dass wir bei Greccio das bevorstehende Fest des Herrn feiern, so gehe eilends hin und richte sorgfältig her, was ich dir sage. Ich möchte nämlich das Gedächtnis an jenes Kind begehen, das in Betlehem geboren wurde, und ich möchte die bittere Not, die es schon als kleines Kind zu leiden hatte, wie es in eine Krippe gelegt, an der Ochs und Esel standen, und wie es auf Heu gebettet wurde, so greifbar als möglich mit leiblichen Augen schauen.‘ Als der gute und treue Mann das hörte, lief er eilends hin und rüstete an dem genannten Ort alles zu, was der Heilige angeordnet hatte.“

 

Stimmungsvolle Feier

Als der „Tag der Freude, die Zeit des Jubels“ nahte, versammelten sich nicht nur die Brüder, sondern auch zahlreiche Frauen und Männer aus den umliegenden Ortschaften bei der vorbereiteten „Krippe“. Auch wenn der Ordensmann noch keine Heilige Familie in seiner Krippenszene auftreten lässt, werden die Versammelten zu Zeugen eines besonderen Geschehens: „Der Wald erschallt von den Stimmen, und die Felsen hallen wider von dem Jubel. Die Brüder singen und bringen dem Herrn das schuldige Lob dar, und die ganze Nacht jauchzt auf in hellem Jubel. Der Heilige Gottes steht an der Krippe, er seufzt voll tiefen Wehs, von heiliger Andacht durchschauert und von wunderbarer Freude überströmt. Über der Krippe wird ein Hochamt gefeiert, und ungeahnte Tröstung darf der Priester verspüren.“ Und wie sehr Franziskus selbst von dem Geschehen ergriffen ist, zeigt folgende Schilderung Celanos: „Oft wenn er Christus ‚Jesus‘ nennen wollte, nannte er ihn, von übergroßer Liebe erglühend, nur ‚das Kind von Betlehem‘, und wenn er ‚Betlehem‘ aussprach, klang es wie von einem blökenden Lämmlein. Mehr noch als vom Worte floss sein Mund über von süßer Liebe.“ 

 

Lebendige Erinnerung bis heute

Später, so berichtet Celano dann abschließend zum Geschehen in Greccio, wurde „über der Krippe ein Altar errichtet und eine Kirche gebaut, damit dort, wo einst die Tiere das Heu fraßen, in Zukunft die Menschen zum Heil der Seele und des Leibes das Fleisch unseres Herrn Jesus Christus, des Lammes ohne Fehl und Makel, genießen könnten, der in höchster und unaussprechlicher Liebe sich selbst für uns hingegeben hat und der mit dem Vater und dem Heiligen Geist lebt und herrscht als ewig glorwürdiger Gott durch alle Ewigkeit. Amen.“

Bis heute sorgen die Franziskaner des Klosters im 1.500-Seelen-Ort Greccio im Rietital dafür, dass dieser Brauch der „lebendigen Krippe“ fortgeführt wird. Vor etwa einem Jahr konnten sie einen prominenten Besucher begrüßen: Papst Franziskus kam am 5. Januar 2016 „unangekündigt und privat“, wie Radio Vatikan berichtete, um dort zu beten.

 

Ein Brauch zieht Kreise

In der franziskanischen Familie wird Franz von Assisi nun gern als „Vater der Weihnachtskrippe“ bezeichnet. Man wird einräumen müssen, dass er die Krippe nicht selbst „erfunden“ hat, er konnte auf zahlreichen Brauchtümern aufbauen – gewiss darf man aber sagen, dass er dem Krippenbrauch zu einem deutlichen Aufschwung verholfen hat. 

Nach dem Konzil von Trient (1545-1563) waren es vor allem die Gemeinschaften der Jesuiten, Serviten und eben der Franziskaner, die das szenische Darstellen biblischer Inhalte förderten, vor allem zu Ostern und an Weihnachten. 

Landläufig gilt die 1562 von den Prager Jesuiten aufgestellte Weihnachtsdarstellung als erste Krippe im heutigen Sinn. Seitdem hat sich das Aufstellen der Weihnachtsszene in Kirchen und Kapellen rasant verbreitet – es wurde zur Selbstverständlichkeit. 

 

Verbreitung auf Umwegen

Zunächst erschien es deshalb wie ein schwerer Rückschlag, als Kaiserin Maria Theresia und Kaiser Joseph II. das Aufstellen von Weihnachtskrippen in öffentlichen Gebäuden und somit auch in Kirchen verboten. Mit dem Geist der Aufklärung schien dieser katholische Brauch nicht vereinbar und noch weniger mit dem Treiben der Säkularisation. 

Doch was den Gläubigen einmal wichtig geworden war, ließen sie sich so schnell nicht mehr nehmen. Statt in den Kirchen wurden Krippen nun in den Privathäusern aufgestellt. Nicht selten schnitzte man die Figuren selbst und stellte sie dann in Landschaftsbildern auf, die der eigenen Heimat entnommen waren. Auf diese Weise entstand nicht nur eine Unzahl an Krippen, sondern auch eine bunte Mischung an Szenerien und Ausschmückungen. 

Eine berühmte Krippe aus dieser Zeit ist die so genannte „Nißl-Krippe“, die heute im Diözesanmuseum von Brixen ausgestellt wird. Sie umfasst sieben Weihnachts- und neun Osterszenen und zählt insgesamt gut 500 Figuren. Gefertigt wurde sie vom Zillertlar Schnitzer Franz Xaver Nißl (1731-1804), dem es gelang, seinen Figuren eine außergewöhnliche Ausdrucksstärke zu verleihen. Aus zehn Mal so viel Figuren besteht der Weihnachts- und Passionszyklus der Künstler August Alois Probst (1758-1807) und Josef Benedikt Probst (1773-1861), den Fürstbischof Karl Franz Graf Lodron (1791-1828) für seine privaten Wohnräume in Auftrag gegeben hatte. Dargestellt ist das gesamte Leben Jesu – von der Verkündigungsszene bis hin zur Sendung des Heiligen Geistes. 

 

Spirituelles Geschehen

Heute ist die Weihnachtskrippe fester Bestandteil des weihnachtlichen Brauchtums, sowohl in den Kirchen als auch vielen Privathäusern. Es gibt sie in sämtlichen künstlerischen Stilrichtungen, aus den unterschiedlichsten Materialien und in allen möglichen Preiskategorien. Und wer vor Plastik unter dem Weihnachtsbaum nicht zurückschreckt, der findet für gut € 30,00 sogar eine Krippe des Spielzeugherstellers Playmobil… 

Für eine franziskanische Deutung der Krippe wird immer wesentlich bleiben, dass die Figuren tatsächlich auch „zum Anfassen“ bleiben. Franziskus wollte vor fast 800 Jahren das unfassbare Geschehen der Geburt des Gottessohnes greifbar machen, seinen Platz in dieser Geschichte suchen. Da war die Krippe mehr als nur frommes Beiwerk – sie war ein spirituelles Ereignis: Welche dieser Figuren bin ich? Wozu lädt Gott mich ein? Und vielleicht noch mehr: Wie sehr muss dieser allmächtige Gott mich lieben, dass er sich für mich so klein macht!

 

Krippenstadt Bamberg

Im Kloster Schwarzenberg, wo ich derzeit lebe, gibt es keine „lebendige Krippe“ wie damals in Krakau. Wir bauen „nur“ in unserer Wallfahrtskirche eine große Krippenszene auf – inklusive Diebstahlsicherung, nachdem die alten, wertvollen Figuren vor etlichen Jahren gestohlen worden waren. 

In unserer Bistumsstadt – in Bamberg – gibt es für Krippenfreunde allerdings etwas Sehenswertes: einen Rundgang zu 37 „Krippen-Stationen“ mit teilweise bis zu 40 verschiedenen Krippendarstellungen. Vor 400 Jahren hatten die Jesuiten die ersten Krippen nach Bamberg gebracht und damit eine Tradition begründet, auf die die selbsternannte „Krippenstadt“ heute noch großen Wert legt. Eine öffentliche Krippenführung führt zu den Highlights im Stadtgebiet und startet vom 26. November 2016 bis zum 8. Januar 2017 jeden Samstag, Sonntag und Feiertag.

Zuletzt aktualisiert: 01. Dezember 2016
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