Ein unbequemer (Ex-)Katholik

23. Dezember 2017 | von

Zu seinem 100. Geburtstag widmen wir dem 1985 verstorbenen Schriftsteller und Nobelpreisträger Heinrich Böll einen Beitrag. Für Katholiken ist er nicht zuletzt aufgrund seiner Kirchenkritik eine Herausforderung.

Er war ein widerständiger Geist, einer, der nie aufhörte, nachzudenken und zu fragen. Einer, der die Botschaft Jesu Christi ernst nahm und die äußere Gestalt der Kirche hinter sich ließ. Heinrich Böll verstand sich als Beobachter, Mahner und Anreger. Aber in einer Zeit, in der Priester Waffen segneten und kritischen Geistern wie dem von Böll geförderten jungen Journalisten Günter Wallraff, der damals in Gestalt eines katholischen Unternehmers um Rat bat, sagten, es wäre völlig in Ordnung, sein kostengünstig produziertes Napalm an die US-Armee zu verkaufen, es ginge ja schließlich um den Kampf gegen den Kommunismus und er könne im Ausgleich dafür ja eine Spende abgeben, wurde Böll zum Aufreger.

Der lange Weg zur Literatur
Geboren wird Heinrich Theodor Böll am 21. Dezember 1917 in Köln. Seine Eltern, kleinbürgerliche Geschäftsleute, nahmen ihren Glauben ernst. Die Ablehnung des während Heinrichs Gymnasialzeit aufkommenden Nationalsozialismus war deshalb eine Selbstverständlichkeit. Nach dem Abitur begann Böll eine Buchhändlerlehre. Ähnlich wie später Günter Wallraff fühlte er sich von Literatur angezogen, merkte aber schnell, dass diese Liebe nicht durch den Verkauf der Bücher anderer würde gelebt werden können. Der junge Heinrich brach die Lehre daher nach elf Monaten ab und unternahm erste schriftstellerische Versuche, bevor er im November 1938 zum Arbeitsdienst eingezogen wurde. Sein erster Roman, „Am Rande der Kirche“, entstand während seines ersten Jahres als Student der Germanistik und der Klassischen Philologie an der Universität zu Köln. Hier zeigt sich bereits, was auch die späteren Werke Bölls kennzeichnen wird: der sensitive Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse, das Empfinden, nur schwer nachvollziehen zu können, warum Menschen, die sich als Christen bezeichnen, so wenig bereit sind, das umzusetzen, was sie doch vorgeben zu glauben. Doch auch diese Episode dauerte nicht lange, denn im September desselben Jahres, 1939, wurde Böll in die Wehrmacht einberufen. Seine Erfahrungen schlugen sich literarisch in den 2001 in zwei Bänden herausgegebenen Briefen aus dem Krieg 1939-1945 nieder. Noch während seine Heimat mehr und mehr in Stücke fiel, heiratete Böll 1942 während eines Fronturlaubs Annemarie Čech, mit der er vier Söhne hatte: den noch in seinem Geburtsjahr 1945 verstorbenen Christoph sowie die 1947, 1948 und 1950 geborenen Söhne Raimund, René und Vincent. Sie war es, die mit ihrem Beruf als Lehrerin die Familie über Wasser hielt und ihrem Mann so die notwendige Zeit gab, seinen Weg in den damals vergleichsweise noch übersichtlichen Literaturbetrieb zu finden und sich dort, was ungleich komplizierter war, erfolgreich zu etablieren. Später arbeitete Annemarie Böll als freiberufliche Übersetzerin englischer Literatur. Von ihr stammen so bedeutende Übertragungen wie „Der Fänger im Roggen“ von J. D. Salinger und Werke von George Bernhard Shaw, Saul Bellow oder Patrick White. Auf dem Felde der Übersetzungen arbeitete sie später mit ihrem Mann zusammen, doch lohnt sich hier ein genauer Blick, was die Proportionen angeht. Böll selbst schreibt dazu: „Was die Übersetzungsarbeit betrifft … ich mache sie ausgesprochen gern, es ist eine großartige Stilübung … Es ist eben nur quantitativ eine Mordsarbeit; doch ist es ja so, dass wirklich 90 % der Arbeit von meiner Frau allein getan wird.“

Dichter und Prophet
Seinen Durchbruch erlebte Böll bei seinem Debüt in der Gruppe 47, zu der er im Mai 1951 eingeladen wurde. Dieser literarische Brutkasten des Nachkriegsdeutschlands, dessen teilnehmende Schriftsteller in deutscher Sprache schrieben und der sich von 1947 bis 1967 traf, bot jungen Talenten eine Plattform, auf der sie ihre Werke präsentieren konnten. Sie wurden allerdings auch zur Diskussion gestellt, und die Tatsache, dass scharfzüngige Kritiker wie Marcel Reich-Ranicki dort ihre geistigen Messer wetzten, macht deutlich, dass man auch ein bisschen Glück haben musste, um dort vom intellektuellen Gegenwind nicht vom literarischen Schleudersitz gefegt zu werden. Böll hatte es. Seine Satire „Die schwarzen Schafe“ gewann nicht nur das Duell gegen das Werk von Milo Dor, er konnte auch 1.000 D-Mark Preisgeld mit nach Hause bringen, was etwa dem entsprach, was ein Kirchenmusiker, wie sein Bonner Namensvetter, in einem Vierteljahr verdiente. Zudem erhielt Böll einen Autorenvertrag beim renommierten Verlagshaus Kiepenheuer & Witsch. Seine nun in rascher Folge erscheinenden Werke zeigen Böll nicht nur als poetisch begabten Schriftsteller. Er übte im in vielfacher Hinsicht geistig und geistlich verkrusteten Nachkriegsdeutschland auch eine prophetische Funktion aus – bis zu seinem Tod am 16. Juli 1985.

Zuletzt aktualisiert: 23. Dezember 2017
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