Eine fast verschüttete Quelle

01. Juni 2019 | von

Der heilige Antonius gilt als großer Prediger, aber auch als eifriger Beichtvater. Im Monat Juni zu seinem Festtag widmet sich unser Autor diesem oft ungeliebten Thema.

Meine letzte Beichte war vor ... (?) Tagen, Wochen, einem Jahr, Jahrzehnten?!? Die Antworten in unserer Leserschaft wie in den Gemeinden im deutschsprachigen Raum dürften sehr breit gefächert ausfallen. Manche praktizieren noch die sogenannte Ohrenbeichte, eher wenige suchen das Beichtgespräch. Für Viele allerdings ist der Faden seit der Erstkommunion, Firmung oder Hochzeit einfach abgerissen. Es ist nicht so leicht, sich dieser Palette unterschiedlicher Ausgangspunkte zu stellen und den kostbaren Schatz des österlichen Sakramentes der Buße neu oder überhaupt zum Glänzen bringen zu wollen. Die regelmäßig Beichtenden seien ermutigt, in Freiheit ohne religiösen Zwang ihre Praxis des Sakramentenempfangs zu pflegen. So wird religiöser Selbstgenügsamkeit und Abstumpfung gewehrt. Vielleicht helfen die folgenden Gedanken auch, denen eine Tür zu öffnen, die aufgrund von offenen Fragen und Bedenken, Unbehagen und Verletzungen keinen Zugang (mehr) finden.

Kleine Geschichte der Beichte
Das Sakrament der Buße hat wie kein anderes Heilszeichen einen gewaltigen Wandel in der konkreten Form mitgemacht. In den ersten Jahrhunderten der Kirchengeschichte galt die öffentliche Buße bei Kapitalverbrechen: Mord, Ehebruch und Glaubensabfall. Der Gründonnerstag war der klassische Termin der Wiederaufnahme der Büßenden in die kirchliche Gemeinschaft der Getauften. Das Bewusstsein, dass persönliche, noch so verborgene Verfehlungen den ganzen Organismus des Leibes Christi schädigen und die Glaubwürdigkeit verdunkeln, war noch sehr lebendig. Die irischen Mönche brachten die „Privatbeichte“ aufs europäische Festland. In der Zeit der Reformation wurde heftig über den rechten Umgang mit Schuld nach den Maßen des Evangeliums gestritten. 
Die Zeit des 2. Vatikanischen Konzils stellte eine Zäsur dar. Die Umwälzungen treffen auf Vieles zu; Häufigkeit und Vollzugsformen stehen eher im Zeichen des Abbruchs. Bei aller Wiederentdeckung des Sakramentes, eingebettet in die Vielfalt der Versöhnungswege in der Kirche und trotz lebensnaher Impulse in der Beichtpastoral im Rahmen der Erstkommunion, gerät das Sakrament des Osterabends (vgl. Joh 20) in ein gewisses Abseits. 

Viele offene Fragen
Neue Herausforderungen stellen sich: Wie steht die mehr oder weniger angenommene Bußandacht mit ihrer Chance zu einer guten Gewissenerforschung und der allgemeinen Vergebungsbitte seitens der ganzen Gemeinde zum Bußsakrament? Wie geht ein Beichtgespräch? Warum florieren Beichten bei Weltjugendtagen und in neuen geistlichen Gemeinschaften und nicht mehr in den Gemeinden? Wie führt man Kinder vor der Erstkommunion zur Erstbeichte mit nachhaltiger Wirkung? Wie steht es um eine gediegene Weiterbildung der Beichtseelsorger? Wer kennt überhaupt das Kirchengebot, dass jeder gläubige Katholik „nach seinem Erreichen des Unterscheidungsalters verpflichtet ist, seine schweren Sünden wenigstens einmal im Jahr aufrichtig zu bekennen“ (CIC can. 989) und den Zusammenhang zur vollen Mitfeier der Eucharistie: „Du sollst wenigstens zur österlichen Zeit sowie in Todesgefahr die heilige Kommunion empfangen.“ (vgl. Gotteslob Nr. 29,7)? Ein konkreter Blick auf und in die Beichtstühle unserer Kirchen genügt und spricht für sich. Finden wir eine Abstellkammer mit Modergeruch und Spinnweben oder einen einladenden Raum mit Wahlmöglichkeit zum klassischen Beichten im Knien mit Gitter oder am Tisch, Kerze und Sitzgelegenheit vor? Über der Beichte häufen sich Fragen über Fragen.

Eigene Erfahrungen
Auf dem Sakrament liegen meines Erachtens leider sogar sperrige „Trümmer“, welche die Quelle des Erbarmens überlagern und verschütten. Die folgenden persönlichen Erinnerungen seien ein Anstoß, sich über die eigenen Erfahrungen klar zu werden und weiterwachsen zu wollen. 
In meiner Kindheit war es üblich, alle vier Wochen am Samstag zur Beichte zu gehen. Als Kind brachte mich die Gewissenserforschung immer wieder in Verlegenheit, was ich schon wieder sagen solle, wo es doch eh fast immer das gleiche Bekenntnis ist. Wie wird mir mein Pfarrer begegnen, der kennt mich doch als Messdiener? Irgendwie unangenehm! Zugegeben: Wir waren als Kinder danach erleichtert und freuten uns auf die Sportschau im Fernsehen umso mehr. Zumal es vom Pfarrer mit Herz einen guten Hinweis gab: „Nach der Beichte wechselt ihr euren Platz in der Kirchenbank, sprecht ein Dankgebet und die sogenannte Buße.“ 
Mit dem Älterwerden wechselte der Beichtspiegel im Gesangbuch, allerdings gab es ein tieferes Problem: Wer hilft aus den Kinderschuhen des Glaubens zu einem reifen Gewissen und altersgemäßen Bekenntnis? Wer will schon in den Gräben der Skrupulanz oder des Laxismus landen?! In meinem Dienst als Bundeswehrsoldat half mir ein verständnisvoller Franziskaner-Minorit zu einem altersgemäßen Beichtgespräch − ein paar Runden nebeneinanderher im Klostergarten, Erzählen ohne Beschämung, mit Tipps zum Weitergehen für mich als suchender Christ in einer rauen Umgebung, am Ende folgte dann das befreiende Wort der Lossprechung in Deutsch anstelle der früheren Absolutionsformel: „Ego te absolvo...“. Diese Erfahrungen machen es leichter, als Student und späterer Priester in einer Ordensgemeinschaft ins Gleis zu kommen, das heißt: Beichte in überschaubaren Abständen plus geistliche Begleitung wahrnehmen, zumal man ja selbst das Sakrament mit froher Bereitschaft spenden darf und soll.

Herausforderung des Spenders
Leider gehört zu den schmerzlichen Schatten auf der Beichtpraxis, die der Katholische Katechismus der Kirche unter die Sakramente der Heilung (!) einreiht, das Versagen der Spender. Der Raum der Vergebung ist zum Ort neuer Schuld geworden, nicht nur in längst verflossenen Zeiten. Beichtende werden nicht ernstgenommen und abgefertigt, ganz zu schweigen von verschiedenen Formen der Grenzverletzungen, Übergriffigkeiten und des Missbrauchs. Der staatliche Ruf nach der Aufhebung des Beichtgeheimnisses, der uns in den letzten Wochen aus Australien erreichte, fordert zu einer überzeugenden Argumentation heraus für das hohe Gut, das auf dem Spiel steht. P. Klaus Mertes SJ, Direktor in St. Blasien, stellt sich entschieden hinter das Beichtgeheimnis als Grundlage eines nicht-totalitären Zusammenlebens ähnlich der ärztlichen Schweigepflicht und verweist auf den höchst verantwortlichen Dienst und „die Pflicht des Priesters, das Beichtgeheimnis davor zu schützen, dass es zur Komplizenschaft mit einem Verbrechen führt.“ Der Spender ist kein Vergebungsautomat und muss den umkehrwilligen Menschen unmissverständlich zur Wiedergutmachung und Verhaltensänderung anhalten.

Gnadenhaftes Sakrament
Worin besteht die Gnade des Sakramentes in allen Fragestellungen und Krisenmomenten? Der Katholische Erwachsenenkatechismus stellt in Nr. 1496 die geistlichen Wirkungen zusammen:
• die Versöhnung mit Gott, durch die der Sünder die Gnade 
   wiedererlangt;
• die Versöhnung mit der Kirche;
• der Erlass der Ewigen Strafe, der man durch Todsünden verfällt;
• der wenigstens teilweise Erlass der zeitlichen Sündenstrafen, die aus der Sünde folgen;
• der Friede und die Ruhe des Gewissens und der geistliche Trost;
• das Wachstum der geistlichen Kräfte für den christlichen Kampf.

Persönlicher Gewinn
Jugendliche für den Empfang des Sakramentes der Versöhnung zu gewinnen, ist wohl über diese Liste schwierig. Mein Einstiegsimpuls im Gespräch mit ihnen zielt auf die „Gnade des Gewinns“, sich schonungslos ehrlich aussprechen zu dürfen, auch und gerade mit den Schattenseiten, dabei hoffentlich nicht beschämt zu werden und auf den Kopf zugesagt zu bekommen, dass es im Namen Gottes einen Neuanfang gibt. Wo Menschen oft nicht verzeihen können, nimmt er, Gott, mich an trotz meiner Unterlassungen und unguten Taten durch den Priester, der anstelle des guten Hirten Dienst tun darf. Dazu kommt die Chance und Herausforderung nach der Beichte, sich selbst zu vergeben und nicht im Sumpf der Selbstvorwürfe zu versacken. Ich erinnere mich an eine Geschichte, die sich an einem Wallfahrtsort abgespielt hat. Ein älterer Pater schickte eine vielgeplagte Mutter zur „Buße“ in ein nahegelegenes Café, um sich dort Kaffee und Kuchen zu gönnen. So hat mir einmal die überraschte Pönitentin selbst anvertraut –ein österliches Schmunzeln konnte ich mir nicht verkneifen. Damit sind wir bei praktischen Einstiegshilfen in den konkreten Empfang des Sakramentes der Vergebung angelangt.

Gestörte Beziehungen
Stichwort: die Unbeholfenheit bis hin zur Last im Umgang mit der Gewissenserforschung! Diese beginnt meines Erachtens im Alltag. Wer sich beispielsweise durch das „Gebet der liebenden Aufmerksamkeit“ am Ende eines jeden Tages einübt, hat es leichter mit dem Rückblick auf die vergangenen Wochen. Es ist spannend, Gottes Spuren in den Ereignissen der kleinen und großen Welt zu entdecken, sich den schönen und Kraft spendenden Begegnungen zu stellen und sich zu fragen, was mir Kräfte raubt und Glaube, Hoffnung und Liebe schwächt. Sünde ist Schuld vor Gott, sie beginnt im Kleinen als Beziehungsstörung. Sie kann enden im Beziehungsabbruch. Das ist ein Versuch, die klassischen Begriffe von lässlicher (alltäglicher) und schwerer Sünde zu übersetzen. Die Gewissensspiegel im Gotteslob sind nicht die schlechtesten. Manchmal helfen auch die Handreichungen zur Bußandacht. Letztendlich geht es immer um die Beziehung zu Gott, dem Nächsten und sich selbst.

Gelungenes und Schönes
Stichwort: Bekenntnis! Die Wahrheit kommt ans Licht und macht frei. Vielfach ist nicht bekannt, dass das lateinische Wort für Bekenntnis – „confessio“ – eine weitere Bedeutung hat im Sinne von Lobpreis. Sollte eine Beichte nicht auch ein Raum für den Dank aufgrund erfahrener Führung und Hilfe sein? Für mich in der Beichtseelsorge ist es eine Wohltat, wenn auch Gelungenes und Schönes benannt wird und meinen eigenen Glauben nährt. Es kommt vor, dass sich Menschen nach längerer Zeit der „Abstinenz“ vom Beichten wieder trauen und dann auf Unterstützung angewiesen sind. „Ich weiß nicht, wie es geht und womit ich anfangen soll. Helfen Sie mir!“ Wie gut, wenn sie auf verständnisvolle Hirten treffen!

Schritt für Schritt
Stichwort: Vorsatz! Wenn Jesus seine Botschaft vom Reich Gottes immer wieder auf den Punkt bringt: „Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ und die Kirche nicht müde wird, diese dringende Einladung zu wiederholen, wird doch vorausgesetzt, dass wir Menschen zur „metanoia“, Umkehr, fähig sind. Wenn ich nach der Beichte alles auf einen Schlag besser machen will, werde ich nichts verändern vor lauter Überforderung. Ein konkreter Vorsatz reicht, um das geistliche Leben in Bewegung zu bringen, ein paar Anregungen mögen genügen: fünf Minuten Stille und Hören auf Gott, Tag für Tag; einen lange aufgeschobenen Krankenbesuch angehen; vor Gott im Gebet in Stellvertretung für andere da sein.

Es lohnt sich!
Stichwort: Verbindung mit der Eucharistie! Bei der Mitfeier der Heiligen Messe gibt es vielfache Gelegenheiten, den Weg der Versöhnung zu betreten: Im Bußakt erfahre ich mein Zurückbleiben in der Liebe und das Auffangbecken der feiernden Gemeinschaft mit den Heiligen und Engeln. Die Auseinandersetzung mit Gottes Wort ist heilsam („Durch dein heiliges Evangelium tilge unsere Sünden.“). Der Friedensgruß kommt vom Altar und ist damit mehr als ein menschliches Tun. Vor der heiligen Kommunion bekennen wir unsere Unwürdigkeit, die Bedürftigkeit behält jedoch das letzte Wort. Der Entlassungsruf „Ite, missa est“ meint einen Aufbruch, als Werkzeug des Friedens im Alltag das Verbindende zu suchen gegen Spaltung und Trennung.
Das österliche Sakrament verdient es wirklich, weiter freigelegt zu werden!

Unser Autor:
Br. Josef Fischer, Jahrgang 1958, dient seiner Ordensprovinz seit Jahrzehnten in verschiedenen Leitungsfunktionen, zurzeit als Provinzvikar. Er ist außerdem als Referent im Bildungshaus Kloster Schwarzenberg tätig und verantwortet die Ausbildung der Postulanten. Darüber hinaus ist er Ansprechpartner der Franziskaner-Minoriten für am Ordensleben interessierte junge Männer.

Zuletzt aktualisiert: 01. Juni 2019
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