Es wird weiter gestritten

28. Juli 2017 | von

Der Paduaner Bischof beschließt, dass die Brüder des Stadtkonvents ein Recht auf „ihren“ Antonius haben. Auch soll dessen Wunsch, bei der dortigen Kirche begraben zu sein, respektiert werden. So einfach ist dieser Beschluss jedoch nicht auszuführen...

Während sich diese Dinge ereigneten, versteifte sich die Gruppe von Capo di Ponte immer mehr auf den Wunsch, den Körper des seligen Antonius zu besitzen, und sie stellten sich – entgegen dem Willen des Bürgermeisters – immer mehr gegen jedes Verbot. Es wurde eine Versammlung der Alten abgehalten und all derer, von denen man sich einen brauchbaren Rat erhoffte. Zur Unterstützung versammelten sich Freunde aus der ganzen Stadt. Es kam so weit, dass sich alle mit einem Schwur verpflichteten, ihr eigenes Leben, ihren Besitz und ihr ganzes Hab und Gut zu riskieren, bevor sie zustimmen würden, dass der Leichnam des heiligen Antonius auch nur von der Stelle gerückt würde. 
Was ich erzähle, ist wahrhaft außergewöhnlich. Die Leidenschaft und der religiöse Eifer hatten den Willen dermaßen in eine einzige Absicht gebündelt, dass einige von ihnen sogar, obwohl sie seit ewigen Zeiten in Zwietracht und hartnäckigem Hass und zivilen Streitigkeiten miteinander lebten, diese alten Feindschaften zu vergessen schienen. Sie waren sich einstimmig und sogar freundschaftlich einig im Willen, den Körper des seligen Antonius behalten zu wollen. Da sie aber fürchteten, ein Betrug oder eine List könnten ihre Hoffnung zunichtemachen, beschlossen sie nach eingehender Beratung, den Leichnam fortzuschaffen.

Wundersame Ereignisse
Nachdem der Provinzialminister abwesend war, von dessen Zustimmung das Anliegen der Brüder abhing, baten sie, nachdem sie die Alten vorher zur Seite gebeten hatten, wenigstens noch die kurze Zeit bis zur Ankunft des Provinzials abzuwarten und währenddessen von ihrem Vorhaben abzusehen und alles bis zu seiner Entscheidung unverändert zu lassen. Der Vorschlag wurde gutgeheißen, weil er der gemeinsamen Meinung der ganzen Bevölkerung entsprach.
Bei Anbruch der nächtlichen Dunkelheit forderten die Brüder die Leute auf, hinauszugehen, und sie schlossen die Türen des Hauses, indem sie mit Stangen und Balken die Schlösser gegen einen möglichen Angriff der Leute zusätzlich sicherten. Gegen Mitternacht, als die Wächter noch Wache hielten, stürmte eine aufgebrachte Volksmenge, die vor dem Verlangen brannte, seinen Leichnam zu sehen, den Konvent, wo der der heilige Leichnam lag, und brach dort ein, wobei sie ohne jegliche Rücksicht Türen und alle Barrieren durchbrach. Aber: obwohl sie – sehr zur Bestürzung der Brüder –  drei Mal zum Angriff heranstürzten, gelang ihnen letztlich das Eindringen trotz aller Gewalt nicht. Was für eine unglaubliche Sache! Wie sie mit eigenem Mund gestehen mussten: Obwohl die Türen offen waren, standen sie wie gebannt, und obwohl das Haus hell erleuchtet war, sahen sie dessen Eingang nicht und liefen geblendet um ihn herum.

Sehnsucht nach Berührung
Als es Morgen wurde, erreichten Heerscharen von Gläubigen aus der Stadt, aus den Dörfern und Burgen Arcella, um den Leichnam des seligen Antonius zu sehen. Und wer ihn auf irgendeine Weise auch nur ein einziges Mal berühren konnte, der schätzte sich wirklich glücklich. Jene aber, die wegen des Gedränges nicht an ihn herankamen, warfen durch Fenster und Türen Unmengen an Gürteln und Riemen, Ringe und Halsketten, Schlüssel und andere Schmuckstücke. Andere hingen diese Gegenstände an Stangen auf und streckten sie nach vorne, um sie durch die Berührung mit dem heiligen Leichnam zu weihen.

Provisorische Beerdigung
Der Provinzialminister ließ mit seiner Ankunft auf sich warten. Weil es aber Sommer war – eine schädliche Jahreszeit für Leichname, die es zu begraben gilt – schlossen die Brüder, so gut sie es in dieser ganzen Unordnung vermochten, die sterblichen Überreste des Heiligen in einen Holzsarg und bestatteten ihn provisorisch in einer eben erst ausgehobenen Grube. Als sie das gerade getan hatten, da war eine Stimme zu hören, die schrie: „Sie haben den Leichnam weggeschafft!“
Als das Volk diesen Ruf vernahm, bestürmte es tumultartig mit Schwertern und Knüppeln die Bleibe der Brüder. Und nachdem es Türen und Barrikaden gewaltsam niedergehauen hatte, stürzte es in ganzer Menge in Richtung des Ortes, wohin man den heiligen Körper gelegt hatte. Es beruhigte sich nicht, bis sie – wie soll ich sagen: aus Wut oder blindem Eifer? – die Erde umwühlten, um den Sarg zu finden, in dem der kostbare Schatz verborgen war. Und nachdem sie ihn gefunden hatten, glaubten sie auch den Brüdern nicht, die ihnen versicherten, dass sich der Körper im Sarg befinde. Deshalb schlugen sie mit einer Stange darauf herum, bis sie durch den dumpfen Klang Gewissheit hatten. 

Ankunft des Ordensoberen
Am Samstagabend traf nun endlich der Provinzialminister ein, auf dessen Rückkehr die gesamte Bürgerschaft gespannt gewartet hatte. Kaum, dass die Bewohner von Capo di Ponte ihn gesehen hatten, beriefen sie eine Versammlung ein und verlangten eindringlich den Körper des seligen Antonius. Sie brachten zur Unterstützung ihres Anliegens spitzfindige Argumente vor. Und damit die Brüder wenigstens aus Angst nachgaben, ließen sie ihren Argumenten noch Drohungen folgen. Zu guter Letzt legten sie ein Dokument vor, in dem sie ihre Abmachung festgehalten hatten und erklärten vor allen, dass sie zur Verteidigung ihrer Sache weder vor dem Schwert, noch den Waffen, noch dem eigenen Tod zurückschrecken würden. Solange sie am Leben wären, würden sie niemals aufgeben, was sie vereinbart hätten.

Verschobene Entscheidung
Darauf antwortete der Provinzialminister: „Meine Lieben, von Rechts wegen könnt ihr nichts von dem verlangen, was ihr euch bemüht nachzuweisen. Wenn ihr aber an eine nachsichtige Güte appelliert, dann sind wir bereit, mit dem Rat unserer Brüder das auszuführen, was der Herr uns eingibt. Aber um der Liebe zum Frieden willen und damit ihr mich nicht verdächtigt – was bedauerlich wäre – dass ich mit betrügerischer Absicht zu euch spreche, gebe ich mein Einverständnis, dass ihr den Ort, wo der Körper des seligen Antonius ruht, weiterhin bewacht, und zwar so lange, bis wir über das, was ihr verlangt, nach der Absprache mit den Brüdern nicht anders verfügt haben.“

Zuletzt aktualisiert: 10. September 2017
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