Genug für alle?

28. April 2015 | von

Die Weltausstellung, die am 1. Mai in Mailand ihre Tore für das Publikum öffnet, hat sich die Erforschung des Themenkomplexes Nahrung, Ernährung und Nachhaltigkeit zur Aufgabe gemacht. Denn noch immer leiden Millionen Menschen an Hunger, obwohl die Nahrungsmittelressourcen auf der Welt ausreichend für alle wären. Auch die Katholische Kirche hebt diesen Aspekt der Expo besonders hervor.



„Den Planeten ernähren, Energie für das Leben“ – das ist das Motto der diesjährigen Weltausstellung. Mehr als 140 Länder haben sich die Frage gestellt, wie man gesunde Nahrungsmittel beschaffen und den Hunger in der Welt bekämpfen kann, ohne dabei die Umwelt zu schädigen oder das natürliche Gleichgewicht zu stören, und präsentieren vom 1. Mai bis zum 31. Oktober in Mailand das Beste ihrer Kultur, ihrer Traditionen und auch ihrer neuesten technologischen Errungenschaften. In diesen sechs Monaten werden bis zu 20 Millionen Besucher erwartet.



Päpstlicher Appell

Schon zum zweiten Mal ist die norditalienische Metropole Veranstaltungsort der Weltausstellung. Vor einem Jahrhundert, im Jahr 1906, fand bereits eine Expo in Mailand statt, das Thema damals war Transport. Dieses Jahr befindet sich das Ausstellungsgelände circa 16 Kilometer außerhalb des Zentrums in einem ehemaligen Industriegebiet, das zu dem besonderen Anlass die Pavillons der verschiedenen Länder beherbergt.

Papst Franziskus hatte zu Beginn des Jahres eine Videobotschaft an führende Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft gesandt, die in Mailand zu einem vorbereitenden Treffen zusammengekommen waren, in der er einen exzessiven Konsum und die Verschwendung von Nahrungsmitteln, wo so viele Menschen Hunger leiden, kritisiert. Er forderte die Politiker auf, schnellstmöglich nach Lösungen zu suchen, aber vor allem die Auslöser zu bekämpfen und dabei mutig vorzugehen.

Denn obwohl die weltweite Lebensmittelproduktion ausreichend wäre, alle sieben Milliarden Erdbewohner zu ernähren, zeigt der letzte Bericht der Vereinten Nationen zur Ernährungssicherung, dass über 805 Millionen Menschen chronisch unterernährt sind. Das Subsahara-Afrika bleibt das Gebiet der Welt, in dem am meisten Menschen Hunger leiden. Dies betrifft nach den letzten Berichten ein Viertel der dortigen Bevölkerung. Eine gute Nachricht ist, dass die Zahlen von chronisch Unterernährten seit den frühen 90er Jahren sogar um über 200 Millionen gesunken sind. Es wäre also möglich, das erste Millenniums-Entwicklungsziel tatsächlich zu erreichen: das heißt, das erste von zehn Zielen, die von einer Arbeitsgruppe aus Vertretern der Vereinten Nationen und anderen internationalen Institutionen im Jahr 2000 beschlossen wurden, und zwar die Zahl der Hunger leidenden Menschen bis Ende 2015 um die Hälfte zu reduzieren.



Drei Ziele

Aus dem Bericht geht aber auch hervor, dass zum Erreichen dieses Zieles die Regierungen die Ernährungssicherung ganz oben in ihre politischen Agenden aufnehmen müssen. Dafür sollten öffentliche und private Investitionen zusammengebracht werden, um die landwirtschaftliche Produktion zu fördern und einen „besseren Zugang zu Beiträgen, Land, Dienstleistungen, Technologien und Märkten; Maßnahmen zur Förderung ländlicher Entwicklung; sozialen Schutz für die Schwächsten und hier die Stärkung ihrer Resilienz gegenüber Konflikten und Naturkata-strophen“ zu garantieren.   

Die schlechte Nachricht jedoch ist, dass während Regierungen und internationale Organisationen Lippenbekenntnisse für eine bessere und gerechtere Welt ablegen, die Zahlen der britischen Wohlfahrtsorganisation Oxfam (ein unabhängiger Verbund von verschiedenen Hilfs- und Entwicklungsorganisationen, die sich für eine gerechtere Welt ohne Armut einsetzen) zeigen, dass der Unterschied zwischen Arm und Reich noch immer wächst. Ihr Jahresbericht, der im Januar veröffentlicht wurde, zeigt, dass soweit der steigende Trend der Ungleichheit nicht unter Kontrolle ist, das Gesamtvermögen der reichsten 1 Prozent der Weltbevölkerung im nächsten Jahr das Gesamtvermögen der übrigen 99 Prozent übersteigen wird.

Die Expo Mailand lenkt den Fokus vor allem auf drei Schlüsselprobleme hinsichtlich der Ernährungssicherung. Ein Protokoll, das den politischen Führungskräften vor Expo-Beginn präsentiert wurde, beschreibt dieses dreifache Ziel: die Unterstützung eines gesunden Lebensstil, wodurch zugleich Übergewicht bekämpft wird; die Förderung einer nachhaltigen Landwirtschaft und die Reduzierung von Lebensmittelverschwendung um 50 Prozent in den nächsten fünf Jahren.



Verschwendung und Spekulationen

Hinsichtlich des letzten Punktes sind die Zahlen schockierend: Jedes Jahr werden 1,3 Milliarden Tonnen noch essbarer Nahrungsmittel weggeworfen; das ist mehr als genug, um alle hungernden Menschen auf der Welt zu ernähren, und es bliebe sogar noch einiges übrig. Bei dem weltweiten, steigenden Trinkwassermangel ist es wichtig, daran zu erinnern, dass beim Wegwerfen von Nahrungsmitteln eben auch Wasser- und Bodenressourcen unnötig verbraucht wurden. Aus dem UN-Umwelt-Programm geht hervor, dass die Lagerung von weggeworfenem Essen auf Mülldeponien auch eine der größten Quellen für Gasemissionen ist. Wie bereits der Nobelpreisgewinner und Wirtschaftsspezialist Amartyr Sen klarstellte, betrifft Ernährungssicherung mehr als nur die Menge an Nahrungsmitteln, die Landwirte produzieren können, sondern hat auch etwas mit fairen Marktpreisen, Straßen und Transportsystemen und einer besseren Infrastruktur zur Haltbarmachung von Nahrungsmitteln zu tun, um zu vermeiden, dass diese verderben, bevor sie verkauft werden können.

Hinsichtlich der landwirtschaftlichen Produktion greift das Mailänder Protokoll das Paradox auf, dass trotz der anhaltenden Unterernährung und des Hungers ein Drittel der gesamten Getreideernte als Viehfutter oder für die Produktion von Biokraftstoffen verwendet wird. In diesen beiden Bereichen ist die finanzielle Spekulation riesig und ungeregelt. Papst Franziskus bezeichnet es als „Skandal, der den Zugang zu Nahrung für die ärmsten Mitglieder unserer Menschheitsfamilie ernsthaft bedroht“. Das Mailänder Protokoll ruft auf zu einer Neugewichtung der Verteilung von Land, das für die Produktion von Biokraftstoffen und Tierfutter statt zur Nahrungsmittelproduktion genutzt wird, und plädiert für die Einführung von Rahmenbedingungen bezüglich der Finanzspekulationen bei Nahrungsmitteln, um zukünftig lebensbedrohliche Preisschwankungen zu vermeiden.

Die dritte Herausforderung, der sich die Expo stellt, ist die Tatsache, dass auf jede unterernährte Person zwei übergewichtige Menschen kommen. In Zahlen heißt das: den 805 Millionen Männern, Frauen und Kindern, die nicht genug zu essen haben, stehen 1,5 Milliarden Menschen gegenüber, die mit Übergewicht kämpfen. Während 36 Millionen Menschen jährlich verhungern, sterben 29 Millionen an den Folgen von Überernährung wie Diabetes, Herzproblemen, Bluthochdruck und Krebs. Ernährungs-Erziehung für Erwachsene und Kinder ist einer von sieben Unterpunkten der Ausstellung.



Franziskus’ Botschaft

Unter den Dutzenden zivilen Organisationen, die bei der Expo Mailand eine Schlüsselrolle spielen, ist auch Caritas Internationalis, die globale Hilfs- und Entwicklungsorganisation der katholischen Kirche. Die Caritas wird mit einigen Vertretern präsent sein, die über ihre Arbeit gegen den Hunger berichten. Sie organisiert Konferenzen zu einer Vielfalt von Themen, u.a. auch zu von der Weltöffentlichkeit vergessenen Konflikten. Im Dezember 2013 hat die Caritas Internationalis ihre eigene Kampagne mit dem Titel „Eine Menschheitsfamilie, Nahrung für alle“ und dem Ziel, bis 2025 den Hunger weltweit zu bekämpfen, veröffentlicht. In einer Videobotschaft zur Unterstützung dieser Kampagne spricht Papst Franziskus über die Verantwortung der internationalen Regierungen, die Ursachen des Hungers von Grund auf zu bekämpfen und das Recht aller Menschen auf Nahrung zu verteidigen. Er appelliert aber auch an jeden einzelnen: „Diese Kampagne ist ebenso eine Einladung an alle Menschen, bewusster unser Essen auszuwählen, um Verschwendung zu vermeiden und besser auf die uns zur Verfügung stehenden Ressourcen zurückzugreifen. Es ist auch die Anregung, nicht mehr zu denken, dass unsere täglichen Handlungen keine Auswirkung auf das Leben derjenigen haben, die an Hunger leiden.“

Als Teil der Kampagne schlägt Caritas eine Rahmengesetzgebung auf der Grundlage des Rechts aller auf Nahrung vor, die die internationalen Mitglieder ihren jeweiligen Regierungen vorschlagen sollten. Caritas wird sich auch für die Einrichtung einer Sektion zum Recht auf Nahrung bei der UN-Generalversammlung 2016 einsetzen.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016