Heilig in Rekordzeit

Am 4. September dieses Jahres wird Mutter Teresa von Kalkutta heiliggesprochen. Wir widmen ihr unser Thema des Monats und blicken auch auf das allgemeine Prozedere vor einer Heiligsprechung.
03. September 2016 | von

Der Mensch sei geschaffen, um zu lieben und geliebt zu werden – ein Lebensmotto, das Mutter Teresa zur Ikone der Barmherzigkeit und Nächstenliebe machte. Eine kleine Person, leicht nach vorne gebückt, mit weißem Habit, den am Rand drei blaue Streifen säumen, das braungebrannte, runzelige Gesicht mit den milden, dunklen Augen – so hat sich der Engel der Armen ins kollektive Gedächtnis eingeschrieben. Seit ihrem Tod am 5. September 1997 im Alter von 87 Jahren lebt ihr Mythos weiter, noch immer sorgen sich die „Missionarinnen der Nächstenliebe“ im Geiste ihrer Ordensgründerin um die Ärmsten der Armen, noch immer ist sie den Gläubigen ein Beispiel in religiöser Hingabe, noch immer bewegt ihre Tatkraft die Herzen der Menschen weltweit, sich dem Elend zu- statt abzuwenden. Auf die Frage einer Ordensschwester, woher sie die Kraft für ihr unermüdliches Schaffen nehme, antwortet Mutter Teresa einmal knapp: „Ich fülle meinen Tank mit Gebeten.“ 

Kurzer Prozess

Unter Anteilnahme der Weltöffentlichkeit wird Mutter Teresa am 13. September 1997 mit einem großen Staatsbegräbnis im Kloster ihrer Missionarinnen in Kalkutta beigesetzt. Papst Johannes Paul II. hielt sie für „eine der bedeutendsten Persönlichkeiten unserer Epoche“ und verehrt „diese kleine Frau“ so sehr, dass er kurzum das Kirchenrecht außer Kraft setzt, um schon 1999 den Seligsprechungsprozess einleiten zu können. Ein Verfahren, das üblicherweise nicht früher als 5 Jahre nach dem Tod beginnt. Die schnellste Seligsprechung der Neuzeit entwickelte sich zugleich zur größten. Etwa 300.000 Gläubige, darunter Staatsmänner aus Mazedonien und Albanien, wohnen am 13. Oktober 2003 der Zeremonie auf dem Petersplatz bei. Circa 4.500 Ordensschwestern der über 700 Ordenshäuser in 133 Ländern weltweit folgen heute ihrem Vorbild der bedingungslosen Hingabe für die Armen als Botschafterinnen des Evangeliums. Unter ihren Anhängern gibt es keine Frage, diese Frau war nicht nur eine Selige, sie ist auch eine Heilige. 

Historie der Heiligsprechung

Zu Beginn der katholischen Heiligen-Historie bestimmte das Volk, wer ihm heilig war. Allein der fromme Wunsch der Gläubigen reicht heute nicht mehr aus, um in den Kanon der Heiligen eingeschrieben zu werden. Dem Prozess der Selig- und Heiligsprechungen geht eine jahrhundertelange Entwicklung voraus, die in den strengen Prüfverfahren unserer Zeit mündet. Bereits ab dem 6. Jahrhundert oblag die Genehmigung einer Heiligsprechung den Bischöfen. Bald entpuppten sich die ehrenvollen Weihen als lukrative Quelle. Pilgerströme spülten Spendengelder in die Kassen der Reliquien-Stätten. Kein Wunder also, dass die Anzahl der Heiligen nun ständig anstieg, bis schließlich auf der Frankfurter Synode 794 eine Anrufung neuer Heiliger zunächst gänzlich verboten wurde, damit der Wert dieses frommen Titels erhalten bliebe. Mit mäßigem Erfolg, denn 805 sah sich Karl der Große gezwungen, das Verbot zu verschärfen und konnte dennoch dem Fortlauf keinen Einhalt gebieten. Im 10. Jahrhundert holte endlich der Vatikan das Recht nach Rom: Allein der Papst sollte von nun an heiligsprechen. Doch noch lange Zeit ließen sich viele Bischöfe die Kanonisierung nicht verbieten. Die Lösung fand sich in der Unterscheidung zwischen beatus, selig, und sanctus, heilig. Damit wurde die bischöfliche Kanonisierung als Seligsprechung der päpstlichen Heiligsprechung untergeordnet. Bis heute gelten Seligsprechungen auf regionaler Ebene, Heilige dagegen für die gesamte Kirche und werden im Martyrologium Romanum verzeichnet.

Seit 1634 liegt das alleinige Recht sowohl der Selig-, als auch der Heiligsprechung beim Papst. Die im Grundsatz noch immer gültigen Regeln wurden 1735 im De servorum Dei beatificatione et beatorum canonisatione formuliert. Der Heiligsprechung muss demnach eine Seligsprechung vorausgehen. Für die Seligsprechung bedarf es mindestens eines Wunders, das auf die Fürsprache besagter Person zurückzuführen ist. Die Heiligsprechung erfolgt dann nach einer zweiten Wundertat.

Verfahrensverlauf

Die soweit letzte grundlegende Reform der Heiligsprechung sowie der dafür zuständigen Kongregation erfolgte 1983 durch Papst Johannes Paul II.: Ein Kolleg aus Berichterstattern begleitet nun die Vorbereitungen der Verfahren. Ein Kardinalpräfekt, ein Sekretär, insgesamt 23 Kardinäle, Erzbischöfe und Bischöfe, sechs Beigeordnete und 71 Berater bilden die Kongregation. Ihr gehören außerdem 34 weitere Mitglieder an, bestehend aus Kardinälen, Erzbischöfen und Bischöfen, die ihr Votum abgeben. 83 Theologen und Historiker können zudem als Gutachter hinzugeholt werden.

Ihre Vorbereitung der Verfahren fasst die Kongregation in einem genauen Bericht zusammen, der zunächst von einem Kongress aus Theologen, sowie von einem dreifachen Konsistorium, bestehend aus Kardinälen, Prälaten, den in Rom anwesenden Bischöfen und nichtkirchlichen Würdenträgern, diskutiert wird. Die letztendliche Entscheidung liegt schließlich beim Papst, der die Kanonisierung ausspricht. Ausgenommen von diesem formellen Verfahrensablauf, kann der Papst auch unabhängig von nachgewiesenen Wundertaten eine seit langem bestehende regionale Verehrung auf die gesamte Weltkirche ausweiten. 

Heiligkeitskriterien

Für eine Heiligsprechung müssen folgende Kriterien erfüllt sein: die fama sanctitatis et elenchus, der Ruf der Heiligkeit und eines vorbildlichen Lebens (1) sowie die Bestätigung der menschlichen Einschätzung dieser Tugendhaftigkeit durch ein Gottesurteil (2), das sich in Zeichen, in außergewöhnlichen Ereignissen bestätigt. Zumeist sind es Heilungswunder, zu deren Überprüfung Wissenschaftler des jeweiligen Fachbereichs als Gutachter beauftragt werden. So auch bei der Seligen Mutter Teresa, der die Heilung einer Inderin von einem Tumor im Bauch als erstes Wunder und somit als erste göttliche Bestätigung der Heiligkeit Gottes willfähriger Dienerin zugesprochen wird. Der jungen Frau war ein Bild von Mutter Teresa auf den Bauch gelegt worden, danach sei der Tumor ohne medizinisch-wissenschaftliche Erklärung verschwunden. 

Ungeahnte Größe

Eine Zeitzeugin erinnert sich an ihre Begegnung mit der jungen Schwester Teresa: „Sie war einfach ein schlichtes, normales Mädchen. […] Wir hätten niemals gedacht, dass sie einmal so viel erreichen würde.“ Mutter Teresas Lebensweg begann weit entfernt von Kalkutta, in Üsküb im Osmanischen Reich, dem heutigen Skopje in Mazedonien. Dort wird Agnes Gonxhe Bojaxhiu, Tochter einer wohlhabenden albanisch-katholischen Familie, am 26. August 1910 geboren. Mit dem Tod des Vaters wendet sich das fromme neunjährige Mädchen noch stärker dem Glauben zu. Im Alter von 18 Jahren bittet sie um Aufnahme ins Noviziat bei den Schwestern der Jungfrau von Loreto. Ihre Ausbildung erhält sie im irischen Mutterhaus, von dort geht die Reise Anfang 1929 weiter nach Darjeeling am Fuße des Himalaya-Gebirges. Hier beendet sie das Noviziat, wird in den Orden aufgenommen und wählt nach Thérèse von Lisieux den Ordensnamen Teresa. Gemeinsam mit ihren Mitschwestern engagiert sich die junge Missionarin jetzt besonders im Schulwesen und wird Lehrerin. Im Mai 1937 legt sie das Ordensgelübde ab. Ihr neues Einsatzgebiet ist die Leitung einer höheren Mädchenschule in Kalkutta, die in direkter Nachbarschaft zu einem Armenviertel liegt. Der tägliche Anblick der zu tiefem Elend verdammten Menschen lässt die Missionarin nicht los. 

Vom Kloster in den Slum

Sie zieht sich nach Darjeeling zurück. Später wird sie erzählen, auf einer Bahnfahrt habe sie „Gottes zweiten Ruf“ erfahren. Von Jesus selbst fühlt sie sich aufgefordert, ihm in die Slums zu folgen, und beschließt am 10. September 1937, ihr Leben den Ärmsten der Armen zu widmen. Die sanftmütige junge Frau, voller Frohsinn, geht nicht nur in den Slum, um zu arbeiten, ab 1946 lebt sie dort. 1949 schließt sich ihrem Wirken eine Gefährtin, es ist eine frühere Schülerin, an. Sie eröffnet die erste Schule im Slum in Kalkutta. Die Gemeinschaft wächst, und 1950 genehmigt Papst Pius XII. die Ordensgründung der Missionarinnen der Nächstenliebe. Die Sorge der inzwischen zwölf Nonnen gilt ausgesetzten Säuglingen, Waisen, Hungernden, Sterbenden und Kranken. Mit besonderer Hingabe wendet sich Mutter Teresa vor allem den Leprakranken zu und gründet 1962 die Leprakolonie Shanti Nagar, Stadt des Friedens. 

Something Beautiful for God: Mother Teresa of Kalkutta, titelt der Journalist Malcolm Muggeridge 1971, macht der Welt ihr Werk bekannt und initiiert den Mythos. Das mediale Interesse an der lebenden „Heiligen“ ist geweckt. Der Orden vergrößert sich weiter, die Spenden nehmen zu, als „Mutter der Gosse“ reist sie um die Welt. Für ihr Wirken erhält sie bald zahlreiche Preise, gekrönt vom Friedensnobelpreis 1979. Staatsleute und Berühmtheiten gehören zu ihren Unterstützern und Freunden, darunter auch Lady Diana, nach deren Unfalltod die Ordensschwester bestürzt erklärt: „Diana sorgte sich sehr um die Armen, deshalb war sie mir so nahe.“

Kritische Stimmen

Neben der grenzenlosen Verehrung schlägt der Friedensnobelpreisträgerin schon zu Lebzeiten Kritik entgegen. Im Leiden der Armen, so gibt der Journalist Christopher Hitchens an, habe sie eine gewisse Schönheit gesehen, die an das Leiden Christi erinnere. Bedingungslos ordnete sie alles ihren katholischen Wertvorstellungen und der gelebten Askese unter. So soll sie es abgelehnt haben, in New York eine Obdachlosenunterkunft einzurichten, weil die Stadtverwaltung den Einbau von Aufzügen zur Auflage machte. „Gott hat uns nicht gerufen, um erfolgreich, sondern um gläubig zu sein“, lautet ihre Rechtfertigung. Wie Papst Johannes Paul II., lehnt auch seine willige Botschafterin die Scheidung der Ehe kategorisch ab. Noch schwerwiegender beurteilen die Kritiker ihre kompromisslose Haltung in der Debatte über Abtreibung, die sie ausnahmslos als „direkt von der Mutter begangenen Mord“ bezeichnet, ebenso wie die mangelnde Transparenz über die vom Orden erhaltenen Spendengelder. Noch steht der Vorwurf im Raum, das Seligsprechungsverfahren sei das Ergebnis einer PR-Kampagne des Vatikans, doch selbst ihre schärfsten Kontrahenten kommen nicht umhin, auch positive Aspekte zu erkennen: Ob Mythos oder nicht, Mutter Teresas öffentliche Darstellung inspiriert bis heute weltweit zu humanitärer Hilfe, hebt die Ärmsten und ihre Würde zurück ins Bewusstsein der Gesellschaft. 

Abseits der Öffentlichkeit

Der Vatikan schreibt in der Biografie über sie: „Ihre Seele war gefüllt mit dem Licht Christi, sie brannte vor Liebe für ihn.“ Von den dunklen Seiten in ihrem Leben schreibt sie selbst: „Ich fühle, dass Gott mich nicht will und dass Gott nicht Gott ist und dass es ihn nicht wirklich gibt.“ Postum werden ihre Tagebücher veröffentlicht, die von einer tiefgläubigen Nonne Zeugnis geben, deren stille Stunden von Depressionen und Glaubenskämpfen gefüllt waren, trotz ihres Enthusiasmus‘ und ihrer Tatkraft. So vielen hat sie in den dunkelsten Stunden ein Stück Himmel bereitet und befürchtete doch selbst: Ich werde nie den Himmel sehen. Der Zweifel am Glauben, schreibt Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., in seiner Einführung in das Christentum, sei der kleinste gemeinsame Nenner der Gläubigen aller Religionen. Die Glaubenszweifel, die dunklen Momente der Mutter Teresa, trüben ihren Glanz nicht. Ihre persönlichen Bekenntnisse holen sie aus den Sphären der Heiligkeit herunter zu uns und zugleich hebt ihr barmherziges Handeln sie aus der Masse wieder hervor. Diese Niederschriften offenbaren das Innerste einer beeindruckenden Heiligen aus Fleisch und Blut.

Heilige Mutter Teresa

Im vergangenen Dezember dann ließ der Vatikan verlauten, dass ein zweites Wunder auf die Fürsprache von Mutter Teresa hin anerkannt worden sei. Die unerwartete Heilung eines 35-jährigen Brasilianers, der an einem bösartigen Hirntumor erkrankt war, blieb den Expertenkreisen ein Rätsel. Die Heiligsprechung ist für den 4. September 2016 anberaumt, nur 19 Jahre nach ihrem Tod. In seinem Votum für die Heiligsprechung erinnert sich Papst Franziskus, dass sie „immer das sagte, was sie sagen wollte“. Mit diesem unerschütterlichen Grundvertrauen hat Mutter Teresa die Menschen zu Lebzeiten, ebenso wie die kommenden Generationen beeindruckt. Unbestritten ist dank ihr die Welt ein bisschen besser geworden, als sie sie vorgefunden hatte. 

Zuletzt aktualisiert: 11. Oktober 2016
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