Im Einsatz auf dem 'Traumschiff'

20. Oktober 2014 | von

Auf Kreuzfahrten erwartet man eine angemessene Unterhaltung. Glamouröse Varieté-Darbietungen im Galasaal des Schiffes, die mitreißende Live-Musik einer Tanzkapelle, das ebenso virtuose wie kurzweilige Spiel eines Pianisten in der Cocktail-Bar. Aber auch Einblicke in die Reiseziele gehören zum Programm – und manchmal sogar solche, die Religion und Kirche zum Thema haben.



Zwei herbstliche Kreuzfahrten auf dem Mittelmeer sollte ich mit Lesungen über die Päpste und den Vatikan begleiten. Bisher hatte ich mich bemüht, auf wissenschaftlichen Kongressen, bei Veranstaltungen katholischer Bildungshäuser und in Pfarrgemeinden über die Päpste und das Zentrum der katholischen Weltkirche zu informieren oder auf Radiosendern über das besagte Thema zu plaudern. Nun aber standen Vorträge auf einem Schiff an, und zwar nicht auf irgendeinem, sondern auf der „MS Deutschland“, dem berühmten „Traumschiff“ des deutschen Fernsehens.



MS DEUTSCHLAND

„Das Traumschiff“ ist eine Sendereihe des ZDF, die seit dem Jahre 1981 mit großem Erfolg produziert wird. In den neunzigminütigen Episoden werden die zumeist heiteren Verwicklungen der Passagiere eines Kreuzfahrtschiffes, das in jedem Film zu einem anderen Urlaubsziel unterwegs ist, erzählt. Zur „Besatzung“ des Schiffes gehörten bisher so bekannte Schauspieler wie Heinz Weiss, Siegfried Rauch, Heide Keller, Harald Schmidt und Sascha Hehn; die „Gäste“ der Kreuzfahrten werden von der Crème de la Crème der deutschsprachigen Film- und Fernsehprominenz gestellt. 

Als „Traumschiff“ ist seit 1999 die „MS Deutschland“, das Flaggschiff der Reederei Peter Deilmann in Neustadt (Holstein), im Einsatz. 175 Meter lang und 23 Meter breit, kann es eine Höchstgeschwindigkeit von 19 Knoten (35 km/h) erreichen, angetrieben wird es durch vier Dieselmotoren. Das in Kiel gebaute Schiff wurde im November 1998 vom ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker getauft. Die „Deutschland“ ist das einzige Hochseekreuzfahrtschiff, das unter deutscher Flagge fährt.



SCHWIMMENDES GRAND HOTEL

Bis zu 480 Gäste werden auf dem schwimmenden Grand Hotel („5 Sterne superieur“) von einer 280 Mann und Frau starken Crew umsorgt. Das prachtvolle Interieur des Schiffes ist beeindruckend und im Stil der Zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts gehalten – mit Stilelementen des Klassizismus, des Jugendstils und des Art Déco. Ich fühlte mich ein wenig in die Welt des berühmten Orient-Expresses versetzt, und es hätte mich nicht gewundert, wenn mir auf dem Gang Agatha Christie´s belgischer Meisterdetektiv Hercule Poirot begegnet wäre.

Wer die Abenteuer der „MS Deutschland“ auf dem Bildschirm verfolgt hat und nun auf dem „Traumschiff“ mitreist, wird vieles wiedererkennen: die Häfen, in denen das Schiff anlegt oder vor Anker geht, das besondere Ambiente des Kreuzers und den exzellenten Service an Bord.



KLANGVOLLE NAMEN

Auch so mancher berühmte Gast ist auf dem Schiff auszumachen – entweder weil er selber ein wenig vom Alltag ausspannen möchte oder weil er gebeten worden ist, die übrigen Gäste zu unterhalten. Kapriolen und Dramen, wie sie die Fernsehserie dem Zuschauer präsentiert, wird man jedoch vergeblich suchen. 

Für zwei Kreuzfahrten im September dieses Jahres gehöre ich zum Kreis der Künstler und Lektoren der „MS Deutschland“. Ich muss zugeben, dass mich die klangvollen Namen meiner Kollegen etwas eingeschüchtert haben. Mit mir sind Dunja Raiter, Gabriel Barylli, Sylvia Leifheit und Starkoch Mirco Reeh an Bord.

Zunächst hielt ich mich für einen Exoten, bis mich der Kreuzfahrtdirektor über das breite Spektrum der auf dem Schiff tätig gewesenen Lektoren aufklärt. Zu Referenten früherer Fahrten gehörten der Monarchie-Experte der ARD, Rolf Seelmann-Eggebert, der Chef-Historiker des ZDF, Prof. Dr. Guido Knopp, und Politiker wie der ehemalige Bundesminister Norbert Blüm. Beruhigt hat mich diese Mitteilung nicht – ich bin erneut eingeschüchtert.



PÄPSTE, NAPOLEON UND DOLCE VITA

Sind Lesungen mit kirchlichem oder religiösem Hintergrund auf Kreuzfahrten überhaupt angesagt? Sie sind es! Die beiden Reiseetappen, die ich begleite, stehen unter den Mottos „Auf den Spuren alter Kulturen“ und „Päpste, Napoleon und Dolce Vita“. Auf dem Mittelmeer waren die Päpste weit über tausend Jahre präsent, mit ihrer Handels-, Staats- und Kriegsflotte. Ihre Schiffe transportierten die Nachfolger Petri zu anderen Ländern, brachen zu Expeditionen auf, kamen zu bedeutenden wissenschaftlichen Erkenntnissen und waren in Gefechte mit Korsaren- und Piratenschiffen verwickelt.

Die Fahrtroute ging von den Inseln der Balearen nach Tunesien und von dort nach Palermo an Capri vorbei über Neapel/Pozzuoli nach Civitavecchia. Von der letzten Hafenstadt des 1870 untergegangenen Kirchenstaates führte die zweite Reise nach Elba, Korsika und Sardinien und wieder zurück nach Civitavecchia. Was also lag näher, als über die Flotte der Päpste zu referieren, unter anderem über ihre Begegnung mit Napoleon, der sie 1798 für seinen Ägyptenfeldzug requiriert hatte. Gewünscht war auch ein Blick auf Aktuelles, so auf die „Geheimnisse“ des Vatikans und das Pontifikat von Papst Franziskus.



RELIGION AUF SEE KEIN TABU

Religion ist auf dem Kreuzfahrtschiff kein Tabu. Der 2003 verstorbene Peter Deilmann, dem die „MS Deutschland“ ihre Existenz zu verdanken hat, sah sich als bekennender evangelischer Christ. In jeder Kabine des Schiffes steht dem Fahrgast eine deutsch-englische Fassung des Neuen Testamentes zur Verfügung. Immer befindet sich ein Geistlicher, mal evangelischer, mal katholischer Konfession, an Bord, der ökumenische Morgenandachten anbietet.

Toleranz und Respekt vor jeglicher Religion der Kreuzfahrtgäste sind für die Crew der „Deutschland“ ein absolutes Muss. Über die Zahl der Teilnehmer an meinen Lesungen darf ich mich nicht beschweren, zudem bin ich über die Aufmerksamkeit der Hörer und ihr interessiertes Nachfragen erstaunt. Kreuzfahrtdirektor Peter Jurgilewitsch warnte mich jedoch, dass besondere Anlässe auf dem Schiff ein schnelles Verlassen des Vortragssaales zur Folge haben könnten. Und genau so ein Anlass tritt gegen Ende meiner letzten Lesung ein. Als die „MS Deutschland“ im Hafen von Pozzuoli einläuft, wird sie von einem prachtvollen Feuerwerk begrüßt. Doch ich habe Glück, nur drei, vier Personen schleichen sich auf leisen Sohlen aus dem Saal.



MIT NAMENSSCHILD GESPRÄCHSBEREIT

Die Lektoren sind gebeten, während der Kreuzfahrt ein Namensschild zu tragen. Denn auch wer nicht an den Lesungen teilnimmt, soll die Gelegenheit haben, sich in einem persönlichen Gespräch über die Themen zu informieren. Davon wird rege Gebrauch gemacht. Ich war nicht nur für das Interesse der Hörer dankbar, sondern auch für die Ablenkung, die manchmal sehr hilfreich sein kann. Bei Capri konnte die „Deutschland“ nicht in einem Hafen anlegen, sie musste vor der Insel vor Anker gehen. In kleinen Tenderboten wurden die Gäste an Land gebracht. Das für mich ungewohnte Schaukeln der Boote vergaß und „überlebte“ ich, weil ich mich mit einem Ehepaar über die Vatikanbank angeregt unterhielt – und daher nicht an ein Seemannsgrab dachte.

Nach zwölf Tagen ging ich in der ehemaligen päpstlichen Hafenstadt Civitavecchia zufrieden von Bord. Ich hoffe nur, dass es auch die Zuhörer meiner Vorträge taten.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016