Johannes Calvin

05. Mai 2014

Wenige Monate nach dem Abschluss des Konzils von Trient stirbt am 27. Mai 1564 in Genf einer der führenden Köpfe der Reformation, Johannes Calvin, noch keine 55 Jahre alt. Die Wirkungsgeschichte des „Calvinismus“ reicht über Frankreich, die Niederlande, Deutschland, Ungarn, Schottland und England bis nach Nordamerika, wohin die puritanischen

„Pilgerväter“ auswanderten.




Ohne Trauerfeier und Grabstein, so hatte Johannes Calvin seinen Abschied verfügt. Zuvor bittet er als „elendes Geschöpf“ um Vergebung und hinterlässt 59 Bände mit Kommentaren zur Heiligen Schrift, ca. zweitausend Briefe und theologische Grundlagenwerke. Ohne seine geistlich-markante Persönlichkeit gäbe es keine Verbreitung des „neuen“ Gedankenguts im osteuropäischen Adel; ohne ihn keinen Weg nach Holland, auf die Britischen Inseln und von dort in die Neue Welt (Puritaner). Ohne ihn versteht man einen Karl Barth und die Bekennende Kirche nicht. Ohne ihn stünden auch keine reformierten Kirchen in meiner Pfälzer Heimat. Beim Betreten dieser Gotteshäuser – nüchtern und bilderarm – halte ich inne und frage nach dem Wesentlichen meines christlichen Glaubens.

Die Gemeinden, die sich zu Calvins Lehren bekennen, nennen sich „Die nach Gottes Wort reformierte Kirche“. Ihr Zusammenschluss umfasst heute 170 Gliedkirchen, denen weltweit mehr als sechzig Millionen Mitglieder angehören.



BEKEHRUNG ZUR GELEHRIGKEIT

Es ist spannend, die Rede eines Menschen von Gott aus seiner Biographie heraus zu deuten. Johannes Calvin wird am 10. Juli 1509 im nordfranzösischen Noyon geboren. Sein Vater, Vermögensverwalter des Domkapitels, stirbt 1531 im Kirchenbann. Seine Mutter und einige Geschwister verliert Calvin mit jungen Jahren. Später nimmt ‚Bruder Tod‘ nach nur kurzer Ehe seine Frau Idelette und ihren einzigen Sohn nach der Geburt mit.

Zunächst bringt der Vater den 14-Jährigen auf die klerikale Ausbildungsschiene nach Paris. Durch den Bruch mit der Institution Kirche ändert sein Vater das Ziel des Sohnes: Jurastudium in Orléans und Bourges.

Das Jahr 1533 wird zum Wendepunkt in der geistlichen Entwicklung; es kommt zu „einer plötzlichen Bekehrung zur Gelehrigkeit“ mit dem Ziel der „Wiederherstellung der zerfallenen Religion“. Im Zuge der Protestantenverfolgung in Frankreich flieht er nach Basel und verfasst die „Unterweisung in die christliche Religion“. Wilhelm Farel nötigt ihn auf einer Durchreise in Genf, als Lektor der Heiligen Schrift und Organisator von Gemeindeleben zu bleiben. Wegen seiner strengen Handhabung der Kirchenzucht wird er aus der Stadt vertrieben und in Straßburg Flüchtlingsseelsorger. Er nimmt zwischen 1539-41 an den Religionsgesprächen in Hagenau, Worms und Regensburg teil und trifft auf Philipp Melanchthon. Die Begegnungen bleiben erfolglos, denn die Gräben zwischen den christlichen Konfessionen sind tief, auch politisch bedingt.



VIER-ÄMTER-LEHRE

Im Jahr 1541 kehrt der Reformator nach Genf zurück und schafft mit seiner biblischen Vierämterlehre die Grundlage für die Verfassung der reformierten Gemeinden bis heute. Getragen von einem hohen Selbstbestimmungsrecht, leiten Pastoren, Lehrer, Älteste und Diakone im Miteinander die christliche Gemeinde. Zu einem dunklen Kapitel gehört der Prozess gegen einen theologischen Gegner, Miguel Servet, der auf dem Scheiterhaufen landet.

Die letzten Jahre in Genf sind für den unermüdlich (bis zu 18 Stunden täglich) arbeitenden Calvin überschattet vom Ringen um ein gemeinsames Abendmahl mit anderen Refombewegungen. Er glaubt an eine Spiritualpräsenz Christi im Unterschied zur katholischen Glaubenslehre von der Transsubstantiation und Realpräsenz nach der Wandlung über die Eucharistiefeier hinaus.



DOPPELTE PRÄDESTINATION

Mit dem Namen Calvin verbinden viele die Lehre von der doppelten Prädestination: Gott bestimmt einen zum ewigen Heil oder zur Verdammnis: „Den einen ist das ewige Leben, den anderen die ewige Verdammung im voraus zugeordnet.“ Warum soll ich mich um das Gute mühen, wenn sowieso alles vorherbestimmt ist? Wir berühren das Geheimnis vom Zusammenspiel göttlicher und menschlicher Freiheit. Christus ist für Calvin der „Spiegel“ zur Heilsgewissheit, tröstlicher Zufluchtspunkt in den ungesicherten Situationen von Flucht und Tod.

Der gemeinsame Blick auf Christus ist meines Erachtens der Brückenschlag zur katholischen Deutung: „Gott ist in der Freiheit seiner Liebe so unendlich groß, dass er die endliche menschliche Freiheit nicht nur zulässt, sondern sie ermöglicht, trägt, ermutigt, befreit und erfüllt. Dieses Verhältnis von Gott und Mensch ist uns in Jesus Christus ein für alle Mal erschlossen. Deshalb lässt sich das Problem der Vorherbestimmung nur von Jesus Christus her erhellen“ (Katholischer Erwachsenenkatechismus 1985, S. 229). Mir hilft ein Blick auf Straßenbahnschienen als Bilder für die zwei Freiheiten, die am Horizont in eins laufen, vor mir aber parallel und in zwei Strängen getrennt liegen.

Zu erwähnen bleibt die gesellschaftspolitische Wirkungsgeschichte des streitbaren Theologen. Die These von Max Weber von der „unbeabsichtigten Wahlverwandtschaft“ von Calvinismus und modernem Kapitalismus ist fragwürdig. Eine gründliche Sichtung seiner Aussagen zu Wucherzinsen, Spekulation und Habgier lohnt sich. „Wo Gott erkannt wird, wird auch Menschlichkeit gepflegt“ (nach seinem Jesaja-Kommentar).

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016