Kein Kavaliersdelikt!

Der 25. November gilt als Gedenk- und Aktionstag zur Bekämpfung von Diskriminierung und Gewalt jeder Form gegenüber Frauen und Mädchen. Unser Autor weist auf erschreckende Beobachtungen hin und sucht nach Gründen der Gewalttätigkeit.
25. November 2016 | von

„Niemals Gewalt!“ So lautete der Aufruf der bekannten Kinder- und Jugendbuchautorin Astrid Lindgren anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises des deutschen Buchhandels in Frankfurt am Main im Jahr 1978. In ihrer Dankesrede schildert sie die Begegnung mit einer alten Dame, die sie nachhaltig beeindruckt hatte: Sie war eine junge Mutter gewesen zu der Zeit, als man noch an diesen Bibelspruch glaubte „Wer die Rute schont, verdirbt den Knaben.“ Eines Tages hatte ihr kleiner Sohn etwas getan, wofür er ihrer Meinung nach eine gehörige Tracht Prügel verdient hatte, die erste in seinem Leben. Sie trug ihm auf, in den Garten zu gehen und selber nach einem Stock zu suchen, den er ihr dann bringen sollte. Der kleine Junge ging und blieb lange fort. Schließlich kam er weinend zurück und sagte: „Ich habe keinen Stock finden können, aber hier hast du einen Stein, den kannst du ja nach mir werfen.“ Da fing auch die Mutter an zu weinen, denn plötzlich sah sie alles mit den Augen des Kindes. Sie nahm ihren Sohn in die Arme. Dann legte sie den Stein auf ein Bord in der Küche. Dort verblieb er als ständige Mahnung!

Von Tätern und Opfern
„Niemals Gewalt!“ Dieser Appell hat nichts an seiner Aktualität verloren. Im Gegenteil: Nach wie vor werden Frauen und Kinder von gewalttätigen (Ehe-)Männern und Vätern im eigentlich geschützten Raum der Familie geschlagen, missbraucht, bedroht, verbal attackiert und sexuell genötigt und schlimmstenfalls erwürgt, erstochen, erschlagen, erschossen. Allein im August dieses Jahres sind in Deutschland innerhalb einer Woche vier Frauen von ihren ehemaligen Partnern getötet worden. Die Schreckensnachrichten haben in der Regel das gleiche Muster: Männer sind die Täter, Frauen und Kinder die Opfer. Das betrifft sämtliche Kulturen und auch Religionen, Stadt wie Land, alle gesellschaftlichen Schichten, von oben bis unten. 
Der gefährlichste Ort, vor allem für Frauen, ist das eigene Heim, ein Ort, der eigentlich für Sicherheit und Geborgenheit steht. Nach Angaben von Weltgesundheitsorganisation und der Frauenorganisation der Vereinten Nationen wird jede dritte Frau (35 Prozent) im Laufe ihres Lebens Opfer von physischer oder sexueller häuslicher Gewalt. In manchen Ländern sind es gar bis zu 70 Prozent, in der Europäischen Union immerhin bis zu 43 Prozent. Häusliche Gewalt ist ein weltweites Problem – nicht nur weit entfernt, sondern ganz nah auch bei uns und unter uns!

Wurzeln der Gewalttätigkeit
Bei der Suche nach Hintergründen der Gewalttätigkeit stoßen wir zunächst auf alte, traditionelle Auffassungen einer „Machokultur“, wie die „Verfügungsgewalt“ des (Ehe-)Mannes über seine Frau oder die Macht des Stärkeren, der seinen Willen mit aller Gewalt durchzusetzen weiß. Erinnert sei nur an den frauenverachtenden Ausspruch Nietzsches: „Wenn du zum Weibe gehst, vergiss die Peitsche nicht!“ Ist das nicht längst überholt in einer emanzipierten Gesellschaft? Mitnichten: Die alten Rollenbilder werden anscheinend noch immer „vererbt“! Während Männer eher gewaltsam agieren, provozieren Frauen durch abwertende Worte und Gesten.
In der Regel reichen die Wurzeln solcher Gewaltausbrüche bis weit in die Lebensgeschichte der betroffenen Frauen und Männer zurück: in ihre Kindheit, in der sie selbst geschlagen, missbraucht, misshandelt worden sind – und in der Männer als Kinder keine Gefühle offen zeigen und schon gar nicht darüber reden durften. In späteren Freundschaften wollten sie immer als der starke Mann gegenüber dem „schwachen Geschlecht“ erscheinen. „Weiche“ Eigenschaften wie Emotionalität, Einfühlungsvermögen, Bescheidenheit wurden unterdrückt durch „härtere“ Eigenschaften wie Durchsetzungskraft, Aggressivität, Vorherrschaft. Diese Männer und ihre Frauen haben weder gelernt, Konflikte mit Worten zu lösen, noch Krisen konstruktiv zu besprechen. Sie werden mit Trinken und Schlagen im wahrsten Sinne des Wortes „bewältigt“.

Zufluchtsort Frauenhaus
Letzter Zufluchtsort vor möglichem Totschlag oder gar Mord – nach oft jahrelang erduldeter Erniedrigung und Entwertung der Person – sind die Frauenhäuser der Caritas, der Diakonie, der Arbeiterwohlfahrt oder privater Initiativen. Sie bieten zuallererst Schutz und Sicherheit. Längerfristig können sie den betroffenen Frauen und ihren Kindern helfen, zur menschlichen Würde und zu einem lebenswerten Leben zurückzufinden. Leider sind vor allem in den Großstädten die Plätze rar. Bundesweit müssen etwa genauso viele Frauen weitergeschickt wie aufgenommen werden. Im deutschen Grundgesetz Art. 2, Abs. 2 heißt es hingegen: „Jede/r hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“ Wer vom unbestrittenen Wert der Familie überzeugt ist, muss sich umso mehr um die Menschen sorgen, die in großer Not (und Nötigung) in Ehe und Familie leben.

Zuletzt aktualisiert: 01. Dezember 2016
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