Lasst uns Hoffnung pflanzen!

28. Mai 2015

Das Besondere am Sendboten: Er ist nicht nur eine weltweit erscheinende Zeitschrift mit interessanten Artikeln, sondern auch ein Weg, anderen Menschen zu helfen. Die Caritas Antoniana unterstützt während des ganzen Jahres Projekte für Menschen in Not. Für den Antonius-Monat Juni hat sich der Sendbote ein großes Projekt vorgenommen.




Ein chinesisches Sprichwort sagt: „Ein Baum, der umstürzt, macht mehr Lärm, als ein Wald, der wächst.“ – Eine schlechte Nachricht erregt mehr Aufsehen als eine gute. Aber, so stellt das Sprichwort klar, „der Wald, der wächst“ ist die bescheidene Kraft, die die Welt am Leben hält. Warum denke ich ausgerechnet über diese Dinge nach? Ich sitze im Flugzeug auf dem Weg nach Indonesien. Mein Ziel ist Tiga Juhar, ein abgelegenes Plätzchen Erde auf der Insel Sumatra. Hierher werden wir anlässlich des Festes des heiligen Antonius unsere Aufmerksamkeit richten. Das Projekt, das wir Ihnen dieses Mal vorstellen, gilt Kindern und Jugendlichen; es ist ein Projekt, im wahrsten Sinn des Wortes, mit der Kraft eines Waldes, der wächst. Es hat etwas mit Schule zu tun, aber auch mit Samen und Bäumen, verlassenen Kindern und den Träumen von einer Zukunft. Auf meinen Schultern lastet die Verantwortung Ihnen gegenüber, liebe Wohltäter: Wird es mir gelingen, Ihnen zu beweisen, dass der Wald, der wächst, doch mehr Lärm macht, dass er stärker ist?







FÜR ARME: NUR KRÜMEL



Der Samen für unser Projekt liegt in Bandar Baru, einer kleinen Stadt in einem Gebiet, das durchzogen ist von Reisfeldern, Plantagen und Wäldern. Der Boden ist fruchtbar, auch das feucht-warme Klima ist günstig. Doch gehört alles den Reichen und dem Großgrundbesitzer mit seinen Plantagen von Ölpalmen und Kautschukbäumen. Für die Armen bleiben nur die Krümel: kleine Felder, die gerade mal zum Überleben reichen. Da reicht auch nur der kleinste Schicksalsschlag wie die Krankheit eines Elternteils, und die Familie bricht auseinander. Hier gibt es weder medizinische noch soziale Hilfe. Alle sind auf sich gestellt. 







DER SAMEN IST LÄNGST GESÄT



Doch im Jahr 1971 säte ein Bruder hier in Bandar Baru einen Samen. Der Bruder hieß Ferdinando Severi. Er lebt nicht mehr, aber für seine Mitbrüder und die Menschen vor Ort ist er eine Legende. Er war einer der ersten katholischen Missionare hier und wurde wegen seiner originellen und interessierten Art, den Ärmsten nahe zu sein, auch von den Moslems geschätzt. Ferdinando sah, dass das dringendste Problem hier die Waisenkinder oder von ihren Familien verlassenen Kinder waren und eröffnete ein erstes Haus, um diese Kinder aufzunehmen. Im Jahr 1992 entstand das Waisenhaus „Betlehem“, das mit der Unterstützung der Caritas Antoniana gebaut wurde und das ich nun besuchen werde. Empfangen werde ich von Bruder Thomas, einem jungen, indonesischen Bruder. Er ist der Verantwortliche für unser Projekt und mein Reiseleiter. 





BEGEGNUNG MIT DEN WAISEN



Ich betrete das rechteckige Gebäude. Und da sehe ich sie zum ersten Mal. Sie erwarten mich, in einem Raum voller Farben und Licht. Es sind ungefähr Hundert. Eine freudige, aber disziplinierte Menge, Kinder und Jugendliche zwischen vier und siebzehn Jahren. Sie tragen ihre besten Kleider. Die Größeren haben die Kleinen auf dem Arm. Ich bin gerührt, aber auch etwas steif. Ich setze mich auf den Boden, schnell werde ich umringt. Unsere „Unterhaltung“ beginnt mit vielen Gesten und viel Gelächter. Grace, 4 Jahre alt, ist die Kleinste und folgt mir wie ein Schatten. Mir wurde ihre Geschichte erzählt: Als sie gerade geboren war, hat ihr Vater die Familie verlassen und die Mutter hat das nicht verkraftet. Die Großmutter traute es sich nicht zu, auf die Kleine aufzupassen, und der Pfarrer hatte versucht, sie in einem Waisenhaus unterzubringen. Aber niemand wollte sie, weil sie erst ein Jahr alt war. Erst hier hat sie eine neue Heimat gefunden. Es tut gut zu sehen, wie sie hier in „Betlehem“ einmal auf dem Arm von einer oder an der Hand einer anderen ihrer „Schwestern“ ist. 



Hier lernen und arbeiten alle – mit einem strengen Zeitplan von morgens um 5 Uhr bis abends um 21.30 Uhr: Gebet, Arbeit, Schule, Essen, Lernen, Schlafen. Thomas scheint meine Gedanken angesichts des straffen Programms zu lesen und erklärt mir: „Außerhalb unserer Struktur herrscht Chaos, es locken Drogen, Alkohol und Glücksspiel. Es gibt keine Zukunftsaussichten, keine Arbeit. Die Kinder sind jeglicher Art von Abhängigkeit ausgesetzt, weil sie niemanden haben, der auf sie zählt. Wenn du aus diesem Kreislauf entfliehen willst, musst du deinen Platz haben im Leben, du musst wissen, wer du bist, musst Verantwortung übernehmen und teilen.“ 







GESPRÄCHE IM REGEN



Pünktlich um 16.30 Uhr holt Bruder Nicolas mich zusammen mit den älteren Jugendlichen ab. Er stammt aus Java, ist ruhig, ausgeglichen und friedliebend und liebt handwerkliche Tätigkeiten. Er arbeitet als Bauer, Schreiner, Viehzüchter. Wenn es nötig ist, kann er überall Hand anlegen. Er kündigt an: „Jetzt geht’s aufs Feld!“ Ich steige auf den Lieferwagen, zusammen mit den Jugendlichen und ihren Harken und Schaufeln und den Behältern für die Ernte. Alle sind gut drauf. Plötzlich regnet es. „Wo stellen wir uns unter?“ frage ich mich insgeheim. Jemand öffnet die Tür des Lieferwagens und die Jugendlichen rennen auf eine Hütte zu. Es bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als den Habit hochzuraffen und durch den Schlamm zu waten. 



Hier und da sickert Regen durch das Blechdach. Die Jugendlichen machen mir Platz und umringen mich. Irgendwann fangen sie an zu singen. Ich wundere mich über das erste Lied, es ist ein Kirchenlied, das man bei uns vor 50 Jahren sang. Welcher Missionar wird es ihnen wohl beigebracht haben? Ich antworte mit der italienischen Nationalhymne, „Fratelli d’Italia“. Doch dann gewinnt die Neugier und ich stelle einige Fragen. „Was kennt ihr von Italien?“ Die Antwort kommt prompt und einstimmig: „Balotelli!“ – den Fußballer! Und daran scheitern alle Gründe, wegen derer ich stolz auf mein Land bin….Rom, Venedig, der Papst…. Was soll’s. Aber dann wird die Unterhaltung ernst.







ZUKUNFTSTRÄUME



„Was wollt ihr später einmal machen?“ „Ich möchte Fußballspieler werden“, antwortet Joannes, 9 Jahre alt. „Ich würde gerne Lehrerin werden“, sagt schüchtern die 17-jährige Rosa. „Er wird Bauer“, schreien die Kinder und deuten auf Denis, 12 Jahre alt. Ich schaue Matyu an, 13 Jahre, der einen Rosenkranz umhängen hat und sein Kruzifix in den Händen hält: Er möchte in den Orden eintreten. Und da sind auch Mari, 16, die Stickerin werden möchte, und Ira, die davon träumt, als Friseurin zu arbeiten. Aber: „Wenn sie 18 Jahre alt sind, können wir sie nicht mehr hierbehalten“, sagt mir Thomas, als ich zurückkomme. Und dabei legt sich ein Schatten über sein breites Lächeln. „Wir müssen etwas tun, denn ansonsten gehen die ganzen Anstrengungen und unser Einsatz schnell verloren. Einige sind wirklich gut in der Schule, andere haben großes handwerkliches Talent. Aber dort draußen, und noch dazu alleine auf sich gestellt, was haben sie dort schon für Aussichten?“ Ich habe dieses „dort draußen“, von dem Bruder Thomas spricht, gesehen: Ölpalmenplantagen, so weit das Auge reicht; Palmöl ist hier so gefragt wie Rohöl, verkauft wird es an internationale Konzerne für Lebensmittel und Kosmetik. Hier ist die „Zukunft“. Leider verdient ein ungelernter Arbeiter nur 5 Euro am Tag für 12 Stunden Arbeit. Das ist zu wenig, um einen Traum zu verwirklichen. 







BRACHES LAND VOLLER HOFFNUNG



Etwa zwei Stunden von Bandar Baru entfernt besitzen die indonesischen Brüder ein wenig Land. Hier wollen sie die jungen Pflänzchen voller Träume, die sie so behutsam in Bandar Baru herangezogen haben, Früchte tragen lassen. Auch deshalb ist Bruder Thomas hierher gezogen. „Mit eurer Hilfe möchten wir hier in Tiga Juhar eine Mittel- und eine weiterführende Schule einrichten und auf den 20 Hektar Land, die uns zur Verfügung stehen, eine Plantage anlegen“, erklärt mir Thomas mit seinem gewohnten Optimismus. Das Projekt hat mehrere Ziele: Das erste ist es, Arbeitsplätze für die Jugendlichen aus Bandar Baru zu schaffen. „Denen, die sehr gut sind in der Schule, möchten wir die Möglichkeit geben, als Lehrer oder Erzieher in der neuen Einrichtung zu arbeiten, und denjenigen, denen das Lernen nicht so liegt, einen Arbeitsplatz und ein Haus in der neuen Plantage.“ 



Die zukünftige Plantage der Brüder liegt 10 Kilometer von der neuen Mission entfernt. Der Boden wurde schon vorbereitet, ist bereit für einen neuen Traum. „Wenn wir diesen Boden sofort nutzen wollten, müssten wir Ölpalmen pflanzen, die einen großen Markt haben. Und es ist nicht sicher, ob uns unsere Armut nicht irgendwann dazu zwingen wird. Aber das ist der Boden für unsere Kinder, und wir Brüder hoffen auf Veränderung. Deshalb haben wir uns für Salak-Palmen entschieden, exotische Palmen, die reichlich Frucht tragen und deren Früchte sehr geschätzt werden.“ Das Projekt der Brüder ist ein Pilotprojekt, das von staatlichen Agronomen betreut wird; Ziel ist es, neue Arten von Plantagen anzulegen, die die Umwelt weniger belasten. Denn die Ölpalmen haben in bestimmten Gegenden schwerwiegende Umweltprobleme verursacht. Man kann nicht immer nur abwarten. Irgendjemand muss dann auch mal anfangen, Träume zu „pflanzen“.   







EIN GEMEINSAMES VERSPRECHEN



Ich bin geschafft, aber glücklich, hier zu sein, mitten im vermeintlichen Nichts. Ich bin glücklich, dass ich Sie mitgenommen habe zu diesen Erdschollen, die nur auf die neuen Pflänzchen warten. Alles, was wir als Antonianische Familie gemeinsam mit den Brüdern hier leisten können, ist ein Versprechen für Zukunft. Vielleicht träume ich selbst mit offenen Augen, aber irgendetwas sagt mir, dass dieser Wald aus Kindern und Pflanzen, aus Träumen und Früchten in Tiga Juhar beim Wachsen „einen riesigen Lärm machen wird“.


Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016