Los geht's mit den Wundern

05. November 2017 | von

Dass Antonius doch noch eine letzte Ruhestätte gefunden hat, gleicht – nach den geschilderten Kämpfen um seinen Leichnam – fast schon selbst einem Wunder. Nach seiner feierlichen Beisetzung kennen die wundersamen Ereignisse nun kein Halten mehr.

An jenem Tag wurden viele Unglückselige zum Grab des Heiligen getragen, die unter verschiedenen Krankheiten litten. Durch die Verdienste des seligen Antonius erlangten sie bald ihre Gesundheit wieder. Kaum dass es nämlich einem Kranken gelang, das Grabmal zu berühren, freute er sich schon bald daran, sich frei von jeder Krankheit zu fühlen. Und diejenigen, die wegen der großen Zahl von Kranken, die gekommen waren, nicht bis zum Grab gelangen konnten, hielten sich vor dem Eingang der Kirche auf und wurden vor den Augen aller auf dem Platz geheilt. 
Dort öffneten sich die Augen der Blinden, die Ohren der Tauben taten sich auf; dort sprang der Lahme wie ein Hirsch; die Zunge der Stummen löste sich und stimmte fließend und klar verständlich in den Lobpreis Gottes ein; dort erlangten durch Lähmung missgebildete Körperteile ihre normale Bewegungsfähigkeit wieder; auch Buckeligkeit, Gicht, Fieber und jede andere Krankheit verschwand auf wundersame Weise. In einem Wort: Allen Gläubigen wurden die ersehnten Wohltaten gewährt. Männer und Frauen, die aus den unterschiedlichsten Teil der Welt herbei gekommen waren, erfreuten sich an der von ihnen erbetenen Heilung.

Innige Verehrung
Wie das strahlende Licht dieser Wunder sich verbreitete, so wuchs auch die Verehrung durch die Gläubigen. Und wie Gott ein neues Jerusalem erbaut, so steht dieses symbolisch für die Versammlung des zerstreuten Volkes Israel. Und in der Tat eilten die Leute aus dem Osten und Westen, aus dem Süden und Norden in geordneten Prozessionen herbei und als sie die Wunder sahen, die vor ihren Augen dank der Verdienste des heiligen Antonius geschahen, da lobten sie mit der geschuldeten Ehrerbietung die Tugend seiner Heiligkeit. 
Unter jenen, die in Prozessionen kamen, um den Herrn und seinen Diener Antonius zu preisen, sah man unter den ersten auch die Bürger von Capo di Ponte, genau jene also, die − um sich nicht den Leichnam des Heiligen wegnehmen zu lassen − die erbaute Brücke mit rücksichtsloser Kühnheit in Stücke zerschlagen hatten. Vom Klerus angeführt, der Kreuze und Fahnen trug, gingen sie unter Tränen und barfuß auf das Grab des seligen Antonius zu. Dabei erschienen sie von solch außergewöhnlicher Frömmigkeit und so von Reue erfüllt, dass es den Gläubigen, die sie sahen, das Herz brach und sie mit göttlicher Liebe entflammten.

Prozessionen im Stundentakt
Welches Herz − und wäre es aus Eisen − wäre nicht zu Tränen gerührt und würde sich nicht mit guten Vorsätzen bewaffnen beim Anblick von Rittern, Leuten, die ein forderndes Leben gewohnt sind, die nun aber über unwegsame Wege gehen − beim Anblick von adeligen Frauen, die wegen ihrer Beleibtheit kaum in der Lage sind, aufrecht zu stehen, die nun aber barfuß den Spuren derer, die ihnen vorausgehen, folgen? Auch die Brüder schlossen sich dieser Verehrung an. Vor allem weil sie im Streit um den Besitz des Körpers des Heiligen noch ihre Gegner gewesen waren, zogen sie ihnen im Chor singend entgegen, um sie zum Frieden des Herzens zu führen und um sie zu ehren.
Aber nicht nur diese, sondern die ganze Bürgerschaft kam an festgelegten Tagen und eingeteilt nach Stadtvierteln barfuß zu Prozessionen herbei. Auch die Ordensleute, die in Padua so zahlreich vertreten sind, kamen gemeinsam mit den Bewohnern des Viertels, in dem sie wohnten, barfuß in Prozessionen herbei, als sie an der Reihe waren. Auch der Bischof selbst kam in Begleitung seines Klerus barfuß herbei und erwies dem Grab seine Ehrerbietung. Auch der Bürgermeister kam barfuß mit Scharen von Rittern und zahllosem Volk hinzu.

Tonnenweise Kerzen
Auf ähnliche Weise liefen die Ordensgemeinschaften, die in großer Zahl in den Dörfern und Burgen der Umgebung wohnten, gekleidet in heilige Gewänder, aber barfuß über die holprigen Wege mit inbrünstiger Verehrung herbei. Genauso kamen auch Scharen von Universitätsstudenten, deren Zahl in Padua sehr hoch ist. Sie verstärkten ihren Gesang mit inbrünstigem Wehklagen und erinnerten so an die mit Jubel gemischten Klagen jener ausgewanderten Söhne, als diese den Tempel wieder aufbauten: Der Weinende stimmte den Hymnus an und mitten im Schmerz brach der Jubel hervor.
So, ja genau so kamen die geordneten Prozessionen der − soll ich sagen: Jubilierenden oder der Weinenden? − barfuß an. Sie wurden angeführt von einer Kerze von so ungewöhnlichem Ausmaß, dass sie unter dem Dach der Kirche der heiligen Gottesmutter nicht aufgerichtet werden konnte, wenn man ihr nicht den größeren Teil entfernt hätte. Und nicht nur die Studenten, sondern auch die anderen Scharen der Bürger kamen zu einem festgesetzten Tag und trugen derart große Kerzen, dass die meisten nur hineingetragen werden konnten, nachdem man sie gekürzt hatte.
Darunter waren Kerzen, die auf den Schultern einiger Männer getragen wurden – manche so groß, dass nur 16 Männer es schafften, sie zu tragen. Wo sie mit Karren befördert wurden, musste man zwei Paar Ochsen davor spannen. Es handelte sich um sehr hohe Kerzen mit „Armen“, die an beiden Seiten in der Art eines Kerzenständers herausragten. Und aus den Armen kamen kleine Kugeln mit Lilien, Ranken und verschiedene Arten von Blumen, die mit Sorgfalt von künstlerischer Hand ausgeführt waren.
Andere hatten die Form eines religiösen Gebäudes oder sogar einer schrecklichen Schlachtordnung. Die Wallfahrer, die die Prozession mit solch wunderbaren Wachsgaben ausgestattet hatten, trugen in ihren Händen eine brennende Fackel. Und als sie sich wegen des Gedränges nicht dem Eingang der Kirche nähern konnten, machten sie auf dem Platz vor der Kirche einen Haufen mit Wachs und Kerzen.
Andere hängten brennende Fackeln an die Mauern und verbrachten die Nacht wachend auf dem Platz und gaben auch angesichts der Sommerhitze nicht auf, was wirklich erstaunlich ist. Auch während der grimmigen Kälte in der eisigen Jahreszeit ließen sie nicht nach, sondern waren die ganze Zeit mit unüberwindlicher Beständigkeit Tag und Nacht, wobei sie sich gegenseitig abwechselten, mit göttlichem Lobpreis beschäftigt.

Heilung – nach Umkehr
Die Stadt erfreute sich an so herrlichem Glanz und da sie von so viel Licht erleuchtet war, schien sie alle nächtliche Dunkelheit verloren zu haben. Es eilten auch die Venezianer herbei, Leute aus Treviso, man sah Menschen aus Vicenza, Lombarden, Slaven, Aquileianer, Deutsche und Ungarn. Als sie mit ihren eigenen Augen sahen, wie sich die Wunder wiederholten und an Zahl noch zunahmen, da lobten und priesen sie die Allmacht des Schöpfers. 
Und alle, die hierher gepilgert kamen, konnten mit ihren eigenen Augen und ohne den Schatten eines Zweifels die Wunder, die sich dank der Verdienste des seligen Antonius ereigneten, sehen und mit ihren Händen berühren. Sie waren erfüllt von der Hoffnung, die ersehnte Gnade zu erlangen, und beichteten den Brüdern, deren Zahl für eine so große Menge Menschen kaum ausreichte, ihre Sünden. Jene aber, die auf der Suche nach Heil gekommen waren, ihre Schuld aber verbargen, sie konnten auf dem Weg der Heilung nicht voranschreiten. Wenn sie aber, dann doch gebeichtet habend, zu ihrem Glück alle Schlechtigkeit hinter sich gelassen hatten, wurde auch ihnen vor aller Augen Gnade zuteil.

Zuletzt aktualisiert: 22. November 2017
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