Pionier der Ökumene

28. April 2015

Die Ökumene war das große Lebensziel von Roger Schutz. Im Dienste der Einheit gründete er die ökumenische Bruderschaft von Taizé. Auch zehn Jahre nach seiner Ermordung treffen sich Jugendliche aus allen Erdteilen, um nach seinem Vorbild lebendige Gemeinschaft zu erfahren und andere daran teilhaben zu lassen.



Minoritenkirche Köln, 16. August 2005: Junge Mitbrüder gestalten während des Weltjugendtages einen meditativen Tagesausklang. Die Nachricht vom Tod des Gründers von Taizé, Frère Roger Schutz, trifft uns hart. Der Prior der Communauté war gerade der Messerattacke einer psychisch kranken Frau in „seiner“ Versöhnungskirche erlegen. Ich spüre tiefe Dankbarkeit, denn vor meinem Klostereintritt konnte ich dort vor einem Palmsonntag in einer Baracke frohe geistliche Gemeinschaft erfahren.



Lebendige Gemeinschaft

Nach vier Tagen Bibelteilen und Singen mit dem schwungvollen Bruder Jacques Berthier folgten das Gebet vor dem Kreuz, die Auferstehungsfeier nachts und die sonntägliche Eucharistie – ein kleines vorgezogenes österliches Triduum. Unvergessen bleibt jener Augen-Blick, wo mir Frère Roger nach dem Abendgebet einfach auf die Schulter tippte. Damals brauchte ich wohl noch einen Schubs in meiner Suche nach lebendiger Gemeinschaft; heute bedarf es eines kräftigen Impulses, damit die ökumenische Leidenschaft nicht ausgeht! Am 12. Mai 1915 wird Roger Louis Schutz-Marsauche in Provence (Schweiz) geboren. Seine Mutter Amélie Henriette stammt aus Burgund, sein Vater Karl Ulrich – ein reformierter Pfarrer – aus dem Züricher Unterland. Roger ist der Jüngste von neun Geschwistern.



Vorbild Versöhnung

Seinen Glaubensweg prägt besonders seine Großmutter, die sich als Witwe während des Ersten Weltkrieges mit drei Söhnen an der Front um misshandelte Menschen kümmerte. Sie schmerzte, dass sich gerade getrennte Christen in Europa gegenseitig getötet hatten, und wollte, dass sie sich wenigstens versöhnen, um einen neuen Krieg zu verhindern. Als reformierte Christin ging sie oft in die katholische Kirche. „Geprägt vom Lebenszeugnis meiner Großmutter fand ich, wie sie, meine Identität als Christ darin, in mir den Glauben meiner Ursprünge mit dem Geheimnis des katholischen Glaubens zu versöhnen, ohne mit irgendjemandem zu brechen.“ Ein Schlüsselwort für sein Verständnis für GrenzgängerInnen zwischen den christlichen Konfessionen – seinem Kommunionempfang im Rollstuhl beim Requiem für Papst Johannes Paul II. um Jahre voraus?!



Der Anfang in Taizé

Während seiner theologischen Studien in Lausanne beziehungsweise in Straßburg und eines langen Krankenlagers wegen Lungentuberkulose (auch P. Maximilian M. Kolbe hatte eine ähnliche Krankengeschichte) reift in dem jungen Pfarrersohn die Vision „eines Gleichnisses in Gemeinschaft“, die Versöhnung lebt. Mit dem Fahrrad erreicht er 1940 ein abgelegenes Dorf in Burgund zwischen den Reformklöstern Cluny und Cîteaux. Er erwirbt in Taizé ein Anwesen für sein Gemeinschaftsprojekt. Eine alte Bauersfrau ermutigt ihn: „Bleiben Sie hier, wir sind so vereinsamt!“ Unweit der Demarkationslinie beherbergen er und seine Schwester politische Flüchtlinge und Juden. Drei Gebetszeiten im eigenen Zimmer gehören zu ihren Kraftquellen. Bis heute wird das Leben in Taizé so dreimal unterbrochen. Frère Roger entgeht knapp der Gestapo. Nach einem Zwischenaufenthalt in Genf kehrt er 1944 mit Freunden nach Taizé zurück und kümmert sich um Kriegswaisen, sowie deutsche Kriegsgefangene, gegen Widerstände der Bevölkerung.



Im Dienst der Einheit

Ostern 1949 gilt als der Gründungsmoment seiner Gemeinschaft, der Frère Roger lebenslang als Prior vorsteht. Den Anfang bilden sieben Brüder, die versprechen, nach den evangelischen Räten im Dienst der Einheit zu leben: materielle und geistige Gütergemeinschaft, Ehelosigkeit, „Gehorsam“ im Sinne eines Ja zum Mittragen kommunitärer Entscheidungen. Das Lebensengagement ist die innere Mitte von circa 100 Brüdern aus über 25 Nationen, verstreut in Fraternitäten vor allem in sozialen Brennpunkten, durchdrungen vom Geist der Seligpreisungen: Freude, Barmherzigkeit und Einfachheit.



Pilgerwege des Vertrauens

Im Winter 1952/53 verfasst der ökumenische Pionier eine Regel, die er letztlich als Provisorium ansieht. Papst Johannes XXIII. lädt Frère Roger zusammen mit Bruder Maximilian Thurian als Beobachter zum II. Vaticanum ein und deutet den Aufbruch als „kleinen Frühling der Kirche“. 1969 tritt erstmals ein katholischer Christ der Gemeinschaft bei, die bisher aus Mitgliedern der verschiedenen reformierten Kirchen und Anglikanern bestand.

Das „Konzil der Jugend“ verwandelt im Sommer 1974 Taizé in eine Zeltstadt mit circa 40.000 jungen Menschen. Hier liegt der Ursprung für die „europäischen Pilgerwege des Vertrauens“, die jährlich nach Weihnachten viele Jugendliche zusammenführen zu Gebet und solidarischen Aktionen. Wir erinnern an das letzte Treffen in Prag mit einer großen Präsenz von russischen und ukrainischen Jugendlichen, ein Hoffnungszeichen im Zwist gerade dieser Völker. Bruder Alois, Nachfolger von Frère Roger und ehemaliger Pfarrjugendführer von Stuttgart/St. Nikolaus, hat zum nächsten Treffen ins spanische Valencia eingeladen. Dahinter steht letztlich ein anderer, den Frère Roger bezeugt: Gott, der nur lieben kann.



Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016