Reliquienfahndung in feuchten Grotten

01. Januar 1900 | von

Einer alten Überlieferung zufolge wurde der heilige Petrus während der letzten Regierungsjahre des Kaisers Nero, wohl zwischen 64 und 67, in Rom gekreuzigt, und zwar in einem Circus, den Kaiser Caligula links von der heutigen Peterskirche hatte errichten lassen. Dort fanden neben sportlichen Wettkämpfen auch die bei den Römern so beliebten Wagenrennen statt.

Gräberfeld beim Circus. Vor der Nordmauer des Circus zog sich damals eine Gräberstraße hin, an deren Seiten später, im 2. und 3. Jahrhundert, ein Friedhof angelegt wurde. Als Archäologen diese Nekropolis zwischen 1939 und 1949 erforschten, stießen sie auch auf die Überreste christlicher Begräbnisstätten, worüber sie sich nicht weiter wunderten.
Denn seit Menschengedenken erzählt man sich in Rom, dass auf diesem Friedhof auch der heilige Petrus begraben sei. Die christliche Gemeinde hatte dort schon zu Beginn des 2. Jahrhunderts eine Gedenkstätte errichtet, über der Kaiser Konstantin im Jahre 326 eine Grab-Ädikula und eine Basilika erbauen ließ.

Überliefertes Petrusgrab. Den einzigen Zugang zur Grabnische bildete damals ein Loch im Grabdenkmal, durch welches das Innere aber nicht zu sehen war. Im 6. Jahrhundert berichtet ein Dekan der Basilika, Agilulf, von dem damals verbreiteten Brauch, mittels Fäden metallbeschwerte Stofffetzen durch das Loch hinabzulassen. Manche glaubten, daß ihre Bitten erhört würden, wenn der Stofflappen beim Herausziehen schwerer wog als vorher.
Als Papst Julius II. 1506 die alte Peterskirche abreißen und an deren Stelle einen Neubau errichten ließ, wurde der Hauptaltar selbstverständlich wiederum über dem Petrusgrab errichtet.
Im Zug neuerer Ausgrabungen, welche 1939 begannen, stießen die Archäologen auf die Spuren eines Altars, den Kalixtus II. im Jahre 1123 über einem früheren Altar erbaut hatte.

Leere Nische. Unter diesem Altar wiederum fanden sich die Reste jener Ädikula, die Kaiser Konstantin zu Ehren des Apostels in Auftrag gegeben hatte. Außer zwei Säulenresten entdeckte man an der Wand gleich rechts von der Grabnische das Fragment einer griechischen Inschrift: PETR(OS) ENI – Hier drinnen (ist) Petrus (begraben); eni ist die Abkürzung für énesti (ist hier drinnen).
Diese Entdeckung bestätigte jene jahrhundertelange Überlieferung, nach welcher sich das Grab des Apostels genau unter dem Papstaltar der Peterskirche befindet. Dennoch überwog die Enttäuschung. Denn die Grabnische war leer. Von den Gebeinen des Apostels fehlte jede Spur. In Wirklichkeit jedoch hatte man sie bereits gefunden. Aber das ahnte nicht einmal der Entdecker selbst.
Der Entdecker – das war der deutsche Prälat Ludwig Kaas (1881-1952), dem als Leiter der Dombauhütte von Sankt Peter auch die Verantwortung für die archäologischen Belange oblag. Aber Kaas war kein Archäologe.

Graffiti legen Spur. Ludwig Kaas war bereits verstorben, als sich die italienische Archäologin Margherita Guarducci für die Graffiti in der Nähe des Petrusgrabes zu interessieren begann. Wie sie dabei völlig unerwartet auf die Gebeine des heiligen Petrus stieß, schildert sie selbst: Im September 1953 versuchte ich an einer Wand beim Petrusgrab einige Inschriften zu entziffern. Irgendwann sagte ich zu einem der Aufseher, Giovanni Segoni: Wenn ich bloß wüsste, was sich in dieser Nische befunden hat! Dann hätte ich gewiss einen Schlüssel zum Verständnis dieser Graffiti. Segoni entgegnete mit aller Selbstverständlichkeit: Da können wir ja mal nachsehen. Irgendetwas davon ist sicher noch vorhanden. Dann führte er mich in einen Teil der Grotten, den ich noch nie gesehen hatte, und dort in einen feuchten dunklen Raum voller Kisten, zeigte auf eine von ihnen und sagte: Das ist sie. Sie enthielt mehrere Knochen sowie Stücke vom Verputz einer Mauer und einige Stoffreste.
All diese Dinge hatte Segoni der Grabnische entnommen, die Kiste ordnungsgemäß beschriftet und diese bei den übrigen Funden deponiert, und zwar im Auftrag von Prälat Kaas, welcher der Meinung war, bei den Gebeinen würde es sich wahrscheinlich um Tierknochen handeln.

Offiziell bestätigt. Die Untersuchungen ergaben, daß die fraglichen Gebeine in der besagten Nische beigesetzt waren. Fest steht außerdem, daß die Knochen von jemandem stammen, der zur Zeit des Apostels gelebt hat. Am 28. Juni 1968, am Vorabend des Festes der beiden Apostelfürsten, bestätigte Papst Paul VI. offiziell, daß die Gebeine des heiligen Petrus aufgefunden worden seien.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016