Sehnsucht nach Stille

01. Januar 1900 | von

Lärm und Hektik, Termine ohne Ende, Freizeitstreß - die Flut der äußeren Reize, selbstauferlegte und erzwungene Aktionen zerren und zehren an uns. Bisweilen kommt der Zusammenbruch, das Ich-kann-nicht-mehr des ausgebrannten Menschen. Das Bedürfnis nach Ruhe und Stille wächst in Zeiten wie diesen. Einfach den Alltag vergessen, Atem holen - immer mehr Menschen ziehen die seelische Notbremse und gehen den Weg in die Stille.
Doch wo kann man noch echte Stille erfahren? Kirchliche Einrichtungen und Ordensgemeinschaften stellen in Häusern der Stille, Klöstern und Abteien solche Rückzugsmöglichkeiten zur Verfügung. Ein Angebot, das in den vergangenen Jahren zunehmend wahrgenommen wird. Dies hat auch Schwester Diethelma Conze erfahren. Die Franziskanerin begleitet seit 1991, als Ansprechpartnerin in der Würzburger Diözesanstelle Berufe der Kirche, junge Menschen, die auf der Suche nach ihrem Weg im Leben sind. Sie bietet ihnen Einzelgespräche an und die Möglichkeit, sich einige stille Tage im Würzburger Konvent Nazareth zu gönnen, um wieder klarer zu sehen.

Modeerscheinung. Die Sehnsucht nach Stille bezeichnet sie als Modeerscheinung, die durchaus ihren Sinn in unserer Zeit habe, denn unser Leben wird immer schneller, es wird immer mehr an Ablenkungen und Informationen geboten. Wie groß die Nachfrage nach Auszeiten vom Alltag ist, macht sie an einem Beispiel deutlich. Die Diözese Regensburg wollte einigen junge Leute die Erfahrung eines Klosterlebens auf Zeit ermögliche. Die Resonanz war überwältigend: auf die Ausschreibung meldeten sich mehr als tausend Interessenten.

Lebenswichtig und bedrohlich. Finden die Menschen tatsächlich Hilfe und Erleichterung in der Stille? Welchen Wert haben solche Atempausen in unserem Leben? Stille ist lebenswichtig, betont Schwester Diethelma. Wir sind so voll mit Informationen, daß wir uns Zeit nehmen müssen, wieder leer zu werden, um uns wieder neu orientieren zu können: welche Sehnsüchte habe ich, welchen Sinn hat mein Leben.
Doch Stille kann auch zur Bedrohung werden. Man ist sich selbst ausgesetzt und das kann manchmal hart sein, weiß die Sozialpädagogin. Begleitung sei deshalb unbedingt notwendig, sonst fällt man in ein Loch.
Deshalb lotet sie mit viel Fingerspitzengefühl aus, ob und wieviel Stille der Einzelne erträgt. In einem ersten Gespräch erspürt sie zusammen mit dem Suchenden, was im Moment das Lebensthema ist, fragt ihn, wie er seine stille Zeit gestalten will. Wir erstellen dann eine Leitfaden und strukturieren den Tag miteinander. Je nach Fragestellung und Problem gibt sie eine passende Stelle aus der Heiligen Schrift an die Hand, die dem zu Begleitenden hilft, die ihn aktuell umtreibende Themen, wie Entscheidungen oder Selbstwertprobleme, klarer zu formulieren. Nach einiger Zeit der Stille ergründet Sr. Diethelma mit dem Suchenden, was augenblicklich nötig ist und zeigt neue Möglichkeiten auf.
Jungen Menschen in der Orientierungsphase bietet sie regelmäßige Gespräche und stille Zeiten an. Manchmal kristallisiert sich dabei auch der Wunsch nach einem Ordensberuf heraus. Wenn man sich kontinuierlich solche Zeiten des Rückzugs und der Klärung nimmt, wächst viel, so die Franziskanerin.

Heilsame Wirkung. Es gibt einen Sinngewinn, der nur zu haben ist durch Zeitverlust, mit diesem Aphorismus resümiert Pater Leopold Mader seine langjährige Erfahrung mit der heilsamen Wirkung stiller Zeiten - nach den Maximen der gewinnorientierten time-is-money-Gesellschaft vergeudete Zeiten. Der Franziskanerminorit engagiert sich seit 15 Jahren als Referent und geistlicher Begleiter im Bildungshaus Kloster Schwarzenberg. Seit 1981 bietet der Konvent im Steigerwald mit seinem Elisabeth-Haus auch die Möglichkeit des Rückzugs in die Stille an.

15 anheimelnd eingerichtete Zimmer, freilich ohne Radio und Fernsehgerät, und zwei lichte Aufenthaltsräume mit Kamin und Kachelofen lassen Distanz zum Alltag aufkommen. 510 Personen haben im vergangenen Jahr dieses Angebot angenommen. Wie sie ihre Auszeit gestalten wollen, bleibt ihnen dabei vollkommen überlassen. Diese Freiheit schätzen unsere Gäste sehr, erfährt Pater Leopold immer wieder.

Kostbare Begleitung. Da gibt es Menschen, die wollen acht Tage lang ihre Probleme mit einem der Patres besprechen. Andere wieder lassen sich in Gesprächseinheiten neue Impulse für ihren Glauben geben. Dann gibt es aber auch Leute die sagen: Ich möchte momentan nur eines: Ruhe, Ruhe, Ruhe. Ganz egal, wonach den Gästen im Haus der Stille ist, an den Gebetszeiten der Ordensgemeinschaft können sie alle teilnehmen.
Der meistgegangene Weg in die Stille ist die Einzelbegleitung. Die Gäste wählen einen der Patres als Ansprechpartner. Die Anliegen? Es geht um die Problematik Ehe, Glaubensleben und Findung. Wie kostbar und dringlich solche Einzelgespräche mit den Geistlichen sind, macht Pater Leopold an einem Beispiel anschaulich. Ein junger Mann, dessen Frau beim ICE -Unglück bei Eschede ums Leben kam, war nach Schwarzenberg gekommen, um wieder Halt zu finden. Rückschauend erklärte der Trauernde: Ich bin so froh, daß es Schwarzenberg gibt, nur so konnte ich überleben.

Das Tempo ändern. Eine persönliche Definition der Stille? Seltsam, daß Pater Leopold das Bild des schnell dahinfliegenden Zuges wählt. Wenn ich mit dem ICE fahre, kann ich keine Blumen sehen. Ich nehme sie vielleicht noch wahr, aber wenn ich darauf aus bin, Blumen und Käfer zu sehen, muß ich zu Fuß gehen. Das gleiche gelte auch für unsere inneren Tempi: Wer immer auf dem Laufenden bleiben müsse, nehme gerade noch wahr. Sollte mir aber der Mensch, die Welt und ich mir zum Anliegen sein, muß ich ein anderes Tempo wählen. Es gibt einen Zeitverlust, der Sinngewinn ist.

 

Angebote der Franziskaner-Minoriten

- Kloster Schwarzenberg im Steigerwald
Die landschaftlich ansprechende Lage im Naturpark Steigerwald macht das Kloster mit Wallfahrtskirche zum idealen Rückzugsort. 15 Zimmer stehen Ruhesuchenden zur Verfügung. Einzelbegleitungen sind möglich. Die Gäste können aber auch bei Exerzitien des Bildungshauses neue Impulse für ihren Alltag erhalten.
Kloster Schwarzenberg, Klosterdorf 1, 91443 Schweinfeld Tel.: 09162/928890

- Kloster Maria Eck
Idyllisch gelegenes Kloster mit barocker Wallfahrtskirche im Chiemgau. Durch seine Lage in den Bergen ideal für Einzelgäste und Familien, die sich an Körper und Geist erholen wollen, wie Pater Franz, der Guardian des Klosters erklärt. Wer will, kann an den Gebetszeiten teilnehmen. Einzelbegleitung möglich.
Übernachtungsmöglichkeiten für 28 Gäste. Auch für Gruppen geeignet.
Minoritenkloster Maria Eck, Maria-Eck-Straße 3, 83313 Siegsdorf, Tel.: 08662/12466

- Kloster Schönau
Die idyllische Lage zwischen Spessart und Rhön macht das Kloster zur idealen Station für Menschen, die in der Stille neue Energie tanken wollen. Einzelgäste (max. 3) können an den Gebetszeiten und Gottesdiensten teilnehmen. Gespräche möglich.
Minoritenkloster, Schönau 28, 97737 Gemünden, Tel.: 09351/3301

- Juvenat der Franziskaner in Flüeli/Schweiz
Die Franziskaner-Minoriten bieten an dem Wohnort des hl. Nikolaus von der Flüe in der Zentralschweiz Einzelgästen (4 Zimmer) die Möglichkeit, Stille in herrlicher Berglandschaft zu genießen. Gespräche mit den Patres sind möglich.
Juvenat der Franziskaner, CH-6073 Flüeli-Ranft, Tel.: 0041/41/660 53 23

Auszeit vom Alltag

Zwei Tage im Kloster. Von einem Versuch, sich auf die Stille einzulassen.

Stille. Endlich Stille. Stille - wozu? Eine Stunde erst und schon bereitet mir das Fehlen von Geräuschen und anderer Ablenkungen Unbehagen. Was mit den träge tropfenden Minuten anfangen? Gut, daß ich wohlweislich den angefangenen Kriminalroman zuhause ließ, die Tageszeitung nicht aus dem Briefkasten pulte - ich wäre jetzt sehr versucht, mich in fremde Gedanken zu flüchten. Und genau das sollte ja nicht sein.

Zwei Tage im Kloster Schwarzenberg: Auszeit vom Alltag, Versuch, mich auf die Stille - wenn auch nur für kurze Zeit - einzulassen. Stille wozu? Abstand zu den Dingen, die mein Selbst überlagern, Freiraum, die wahren Bedürfnisse zu erspüren, Gott zu begegnen. Müdigkeit greift mit bleiernen Fingern nach Geist und Gliedern. Der Blick auf die Uhr - noch dreißig Minuten bis zum Mittagsgebet - ich habe ein Ziel vor Augen.

Zwei Patres, ein Novize und ein weiterer Gast haben sich im Halboval der Hauskapelle eingefunden. Die milchigen Glasfenster brechen das Licht in zarte Farbschattierungen. Der barocke Kruzifixus an der kahlen Betonwand zieht den Blick an, lädt ein, in Gott zu ruhen. Zwölfuhrläuten. Ein Pater stimmt mit kräftiger Stimme den Hymnus an. Dann die Psalmen zur 1. Woche der Fastenzeit im Wechsel vorgetragen. Ich lasse mich vom Sprach-Rhythmus tragen, von der bildreichen Sprache der Psalmverse berühren, spüre mich in die Haltung des Dichters zu Gott ein - Geborgenheit.

Mittagessen. Ich genieße das muntere Gespräch mit Schwester Antonie, die am Ende ihrer dreiwöchigen stillen Zeit steht und der netten Dame aus der Pfalz, die gemeinsam mit ihrer Tochter am Heilfasten-Kurs teilnimmt.

Zurück im Zimmer. Mein müder Blick saugt sich an Möbeln, Tonbildern, Kruzifix fest, begleitet die Holzbalken der Dachschräge bis zum lastenden Tragbalken - lastend, schwer... Ich werde jetzt einfach nachgeben, mich hinlegen und schlafen - Schlaf als Flucht aus der Stille?

Der Spaziergang durch die schneeverzauberte Landschaft des Steigerwaldes tut unendlich gut. Die frühlingshafte Sonne wärmt mein Gesicht, ich freue mich über die lockenden Rufe der Kohlmeisen, bestaune mit Eiskristallen überzogene Buchenäste, die sich wie Filigran vor den blauen Himmel schieben. Mein Gott, wie schön hast Du das alles gemacht! Ist ja ein mageres Repertoire an Dankesworten. Impulse von außen täten dir mal ganz gut. Vielleicht ein paar Psalmverse mit auf den nächsten Spaziergang nehmen?

Kaffeezeit. Ich lasse mich nur zu bereitwillig aus der eben entdeckten Stille reißen. Eine halbe Stunde später bedrängt mich diese von neuem. Ich werde später Pater Leopold nach Texten, Denkanstößen fragen. Doch er rät mir von zuviel Aktionismus ab. Schauen Sie doch einfach einmal, was kommt, was für Fragen Sie umtreiben. Gerade in den Unkonzentriertheiten seien die wichtigen Lebensthemen zu entdecken.

Unkonzentriertheiten - ich kann es nicht lassen, zurück im Zimmer vergrabe ich mich in die Bibel, die dort auf dem Tisch bereit liegt. Seinen Schnee streut er aus wie Vogelschwärme... Sein weißer Glanz blendet die Augen, bei seinem Rieseln bebt das Herz - der passende Psalm zu den winterlichen Schönheiten, die ich heute nachmittag erlebt habe.

6.45 Uhr in der eisigen Gnadenkapelle der Wallfahrtskirche. Laudes - wie schön den Tag so zu beginnen, seinem Schöpfer für alles zu danken...

Zurück im Zimmer reiße ich das Fenster auf, atme ganz bewußt die nach Winter duftende Luft und lasse die Bilder der verschneiten Landschaft in meinem Innern ankommen. Ich merke, wie ich mit wacheren Sinnen meine Umwelt wahrnehme, beginne, die Stille zu genießen. An Pater Leopolds Worte denkend, lasse ich bewußt los. Es gelingt mir für den Rest des Tages. Ich streife durch den verschneiten Wald, vorbei an den geheimnisvollen Dunkelheiten alter Fichten, an bizarr in den Weg greifenden Buchenzweigen - entdecke Formen, die für mich zu Metaphern für menschliche Stärke und Schwäche werden. Fragen zu dem eigenen Standpunkt im Leben werfen sich auf. Am Ende des Tages werde ich sie mit Pater Leopold besprechen.

Die stille Zeit ist um - ein kurze Begegnung, die mich aus dem Getriebe des Alltags herangenommen hat, freilich zu kurz, um sein Menschsein ganz vor Gott zu bringen. Das nächste Mal werde ich länger bleiben...

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016