Sensationsfund im Tal der Könige

01. Januar 1900 | von

Das war der Tag aller Tage, schreibt Howard Carter überschwänglich in seinen Erinnerungen, der wundervollste Tag, den ich erlebt habe, ein Tag, wie ich ihn sicherlich nie wieder erleben werde. Der Tag, der ihn unsterblich macht.
Jener 25. November 1922 geht in die Geschichte ein, nicht nur in die der Archäologie: Zum ersten Mal entdecken Ausgräber ein unversehrtes Pharaonengrab.

Stolpersteine. Bis es jedoch soweit ist, muss Carter eine Menge Steine aus dem Weg räumen - im wörtlichen ebenso wie im übertragenen Sinn.
Der Engländer Howard Carter (1873 bis 1939) ist weder studierter Ägyptologe noch Archäologe, als er erst 17-jährig 1890 nach Ägypten kommt, um sich als Zeichner einer Ausgräbergruppe anzuschließen. Allerdings lernt der junge Mann schnell und gleichsam von der Pike auf sein späteres Handwerk, das ihm mit der Entdeckung des Grabes des Kinderpharaos berühmt werden lässt. Doch vor den Erfolg haben die Götter bekanntlich den Schweiß gesetzt.
Dies erfährt auch der schon gereifte Carter. Zwar haben der Amerikaner Theodore Davis und er bereits die Grabkammern der Königin Hatschepsut sowie der Pharaonen Amenophis I und Thutmosis III im Tal der Könige ausgegraben, doch diese hatten schon zuvor ungebetene Gäste in Gestalt von Grabräubern gesehen und waren folglich größtenteils geplündert. Davis hatte bereits 1907 eine leere Grabkammer gefunden und diese
Tutanchamun zugeschrieben. Carter jedoch teilt nicht die Auffassung des Amerikaners und sucht weiter nach der Wohnung der Ewigkeit des Hold an Leben ist Amun, wie Tutanchamun übersetzt heißt.
Carter ist ein Besessener, überzeugt, auf dem richtigen Weg zu sein. Im Frühjahr 1922 sucht er bereits im sechsten Jahr nach dem Grab des Tutanchamun, eines Pharaos der 18. Dynastie, der um 1350 vor unserer Zeitrechnung lebte. Mit acht Jahren gekrönt, verstarb er bereits neun oder zehn Jahre später. Da seine Mumie Schädelverletzungen aufweist, ist ein gewaltsamer Tod zumindest nicht auszuschließen.

Reicher Gönner. Bei der Suche nach dem Grab der Gräber wird Carter von einem reichen Gönner unterstützt: Lord George Edward Stanhope Molyneux Herbert Carnavon, ein wohlbetuchter englischer Aristokrat und Amateurarchäologe, verbringt aus gesundheitlichen Gründen seit dem Jahre 1903 jeden Winter in Ägypten. Dort lernt er Howard Carter kennen und schätzen. Dieser steckt den Lord mit seiner Euphorie an. Gemeinsam fahnden die beiden späteren Freunde nach dem Grab des Tutanchamun, von dessen Vorhandensein sie aus alten Quellen wissen.
Allerdings arbeitet die Zeit gegen die beiden Forscher. Als Folge des Ersten Weltkrieges verliert das englische Pfund ständig an Wert, Carnavons scheinbar unendlicher Reichtum schmilzt von Tag zu Tag dahin wie Schnee in der Märzensonne. Er bedeutet seinem Freund Carter, dass er ihn künftig nicht wird unterstützen können. Der Earl redet Klartext: Entweder finden Carter und er das Grab in der laufenden Ausgrabungsperiode, oder dieses wird zumindest nicht von ihnen beiden gefunden werden. Carter ist alarmiert. Er zerbricht sich den Kopf, an welcher Stelle im Tal der Könige bei Luxor er denn noch suchen könnte. Gegen den Rat der Experten lässt er an einer kleinen unerforschten Fläche unterhalb des Grabes Ramses´ VI den Schutt entfernen. Für Carter spricht lediglich, dass am Grabungsort Reste steinerner Bauarbeiterunterkünfte anzutreffen sind, die bereits vor rund 3000 Jahren errichtet worden waren.

Verzweifelte Suche. Am 1. November 1922 stechen 50 ägyptische Arbeiter zum ersten Mal ihre Spaten in den Boden, um die Überreste der Hütten abzutragen und unter deren Fundamente vorzudringen. Die Zeit eilt. Während des Winters ist das Grab Ramses´ VI Ziel wohlhabender Weltenbummler, die es nicht gerne sehen, wenn ihr Reiseziel von Schuttbergen eingekreist ist
Die seelische Verfassung Carters ist in jenen Tagen alles andere als ausgeglichen. Er weiß, das dies seine letzte Chance ist, falls er keinen anderen Förderer findet. Und er ist sich nicht sicher, ob er an der richtigen Stelle mit seiner Suche ansetzt.
Der 4. November 1922 ist für den damals fast 50-Jährigen ein einschneidender Tag: Als er zum Grabungsplatz kommt, wundert er sich, dass sich keine Schaufel rührt. Die Arbeiter empfangen Carter mit eindrucksvollem Schweigen, wie er später in seinen Lebenserinnerungen anmerkt.

Am Ziel. Sie führen ihn zu einer in den Fels gehauenen Treppenstufe, die sie freigelegt haben. Im Beisein und unter der Aufsicht Carters legen die Ägypter weitere zehn Treppenstufen frei. An deren Ende entdecken sie eine vermauerte Türe. Bei genauer Untersuchung entdeckt Carter, dass diese schon einmal erbrochen worden war. Enttäuschung macht sich breit.

Bei näherer Betrachtung kommt Carter jedoch zu dem Schluss, dass die Öffnung der Grabkammer schon sehr frühzeitig erfolgt sein muss. Er entdeckt nämlich auf dem mit Nilschlamm wieder sorgfältig verschlossenen Einstiegsloch das Siegel der Friedhofsverwaltung aus der 18. Dynastie. Dies allein ist eine Sensation: Bis dato waren die Archäologen stets zu spät gekommen, weil Grabräuber immer schon vor ihnen gewühlt hatten.
Carter stellt die Grabung ein, will erst die Ankunft seines Freundes Carnavon abwarten, der sich zu der Zeit in England aufhält. Drei Wochen später, am 23. November 1922, treffen der Earl und seine Tochter Evelyn ein. Einen Tag später stehen Carter und Carnavon vor der vermauerten Öffnung. Sie entdecken weitere Siegel mit dem Königszeichen Tutanchamuns. Die beiden Freunde umarmen sich. Sie sind am Ziel ihrer Sehnsüchte angekommen.

Sensation ersten Ranges. Am 25. November reißen Arbeiter den vermauerten Zugang ein. Sie stoßen auf einen 7,60 Meter langen Flur, zum Schutz der Grabkammer aufgefüllt mit Schutt. Einen Tag lang räumen sie fieberhaft den Gang frei, dann stehen sie vor einer weiteren Steintüre. Mit einer Eisenstange schlägt Carter ein Loch in das Hindernis. Heiße Luft zischt ihm ins Gesicht. Mit einer Lampe leuchtet er in die entstandene Öffnung hinein. Was er erblickt, blendet zunächst seine an die Dunkelheit gewöhnten Augen, so dass er nichts erkennen kann. Erst allmählich unterscheidet er im Schein der Lampe ein Durcheinander von Gegenständen: goldene Liegen, Stühle, Statuen, Wagenräder, Truhen, Vasen und Salbgefäße. Angesichts der Pracht verschlägt es Carter die Stimme, ebenso geht es Lord Carnavan. Doch es gehen weitere zwei Monate ins Land, bis der Inhalt der Vorkammer wissenschaftlich aufgearbeitet ist. Dann erst machen sich die

Ausgräber daran, die eigentliche, von zwei lebensgroßen Wächtern aus schwarzem Holz bewachte Grabkammer zu öffnen. Hier erwartet eine Sensation ersten Ranges auf Carter und Carnavon: Ein gewaltiger, goldüberzogener Holzschrein, fünf Meter lang, 3,30 Meter breit und knapp 2,75 Meter hoch. Der Sarkophag des Tutanchamun.
Durch die Entdeckung seines unversehrten Grabes wird der vollkommen unbedeutende Pharao, ein Kind auf dem Thron, über Nacht zum bekanntesten Monarchen des alten Ägyptens.

 

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016