Stilles Temperament voll künstlerischer Kraft

01. Januar 1900 | von

Sie war die Begleiterin eines Genies in der bedeutendsten Phase seiner Entwicklung. Ein bedeutsamer Satz (einem renommierten Kunstlexikon entnommen) und zugleich doch so lapidar in seiner Erklärung einer – mit Sicherheit nicht einfachen - Künstlerbeziehung. Er also der strahlende Held, sie an seiner Seite – oder ihm den Rücken freihaltend, Ratgeberin, Muse, Ideengeberin? Zahllose solcher Künstlerbeziehungen haben die Kunstgeschichte geprägt – und nicht immer stehen die gloriosen Namen zu Recht im Vordergrund. Trifft das nun auf unser exemplarisches (zeitweiliges) Künstlerpaar Gabriele Münter – Wassily Kandinsky auch zu?
Die bessere Malerin war sie, die wichtigsten theoretischen Grundlagen für die Kunstgeschichte des 20. Jahrhundert und das erste abstrakte Bild überhaupt stammen natürlich von ihm. Ob das nun seine solitäre Leistung war, lassen wir mal dahingestellt sein, aber ein längeres Verweilen bei dieser Gabriele Münter ist mehr als gerechtfertigt.

Erste Schritte. Geboren wurde sie 1877 in Berlin – als Spross und Nesthäkchen einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie. Wie in diesen Kreisen üblich, widmet frau sich auch gerne den schönen Dingen und die heranwachsende Gabriele besucht die Damenkunstschule in Düsseldorf, um im akademischsten aller Sinne Charakterköpfe zu zeichnen. Während eines zweijährigen Aufenthaltes zusammen mit ihrer Schwester bei Verwandten in Amerika ruht die liebe Kunst komplett und fast wäre der Biograph schon am Ende seiner (kurzen) Bemühungen angelangt, wenn sich da nicht schon wieder so eine schicksalhafte Begegnung ereignet hätte. Eher unwillig lässt sich die Münter von einer Freundin zum Kunststudium in München überreden. Sie belegt einen Kurs in Aktzeichnen und hört 1900 von einer neu gegründeten Kunstschule namens „Phalanx. Deren charismatischer Leiter, ein Russe namens Kandinsky, der dort unter anderem Gewandstudien betreibt, zieht sie alsbald in seinen Bann. Münter folgt ihm 1902 für einen Malkurs nach Kochel und ein Jahr später ins oberpfälzische Kallmünz.

Wetteiferndes Künstlerpaar. Sie werden ein Paar und, reiselustig wie sie sind, wird von 1904 bis 1908 halb Europa bereist. Kandinsky verspricht ihr die Ehe, obwohl er noch mit Nina verheiratet ist (erst 1911 erfolgt die Scheidung). Eine gemeinsame Wohnung in München ist nur Zwischenstation, einer rastlosen Zeit folgt ein ruhiges Zusammenleben im oberbayrischen Murnau, wo sie sich niederlassen, nachdem Gabriele Münter 1909 dort ein Haus für sie gekauft hat. Im Volksmund heute immer noch als Russenhaus tituliert und nach umfassender Restaurierung mittlerweile wieder mit originalem, smalteblauem Außenanstrich und vielerlei künstlerischen Innendekorationen zu besichtigen. Die Ursprünglichkeit des Landlebens inmitten einer zauberhaften (Moor-) Landschaft begeistert beide und spornt sie zu regelrechtem Wettmalen an. Dabei ist Münter jede Systematik suspekt, in kühnen Farbverfremdungen geht sie mit einer frappierenden Unbekümmertheit zu Werke – und ist in der sensiblen Feinheit ihrer Farbabstufungen ihrem Meister durchaus ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen. Aber sie vollzieht niemals den Weg in die Abstraktion, sondern sucht zeit ihres Lebens ihre bildnerische Wahrheit zwischen oder mit den realen Dingen, beziehungsweise den Figuren, die sie voller Leuchtkraft breit hingestrichen und einfach schwarz konturiert in ihre Bilder bannt.

Der blaue Reiter. Ein stilles Temperament ist hier am Werk, das voll (kindlichen?) Staunens irgendwann auch beginnt, Volkskunst zu sammeln. Gerade die Hinterglasbilder in ihrer reduzierten formalen Geschlossenheit und ihrer oft anrührenden Inhaltlichkeit haben es dem Künstlerpaar besonders angetan. Beide engagieren sich in der Neuen Künstlervereinigung München, einem eher konservativen Zirkel, der den radikalen künstlerischen Neuerungsversuchen Kandinskys wenig Verständnis entgegenbringt. Er tritt konsequenterweise aus – gefolgt von Gabriele Münter. Eine Vereinigung von Künstlern unterschiedlicher Strömungen schwebt ihnen vor, um gemeinsam die Grenzen des künstlerischen Ausdrucksvermögens zu erweitern. Ein hehrer Gedanke von einer Künstlergruppe, die anfangs, als sie Gestalt annahm, von der Kritik als bunt zusammengewürfelter Haufen und als eine Ansammlung von Schwarmgeistern verspottet wurde. Ein Bild Kandinskys aus dem Jahre 1903 gibt der Gruppe ihren Namen: Der Blaue Reiter: zuerst aus einer Laune heraus am Kaffeetisch erfunden – heute natürlich ein feststehender Begriff in der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts.

Flucht und Trennung. Das übergeordnete Ideengebäude wird Kandinskys Traktat Über das Geistige in der Kunst, in dem er seinen künstlerischer Schritt zum rein abstrakten Bild regelrecht seziert. Die Mitglieder sind denn auch meist gebildete Intellektuelle, Künstler mit philosophischen Ambitionen – allen voran Franz Marc, der schon sehr jung sein Leben im 1. Weltkrieg lassen muss. Letzterer bringt auch die Zäsur für unser Künstlerpaar. Münter und Kandinsky (der ja Russe ist) müssen in die Schweiz fliehen. Sie trennen sich, Kandinsky wird zum Fluchthelfer für viele seiner Landsleute, Gabriele reist über Umwege nach Stockholm. Dort verbringen sie noch vier gemeinsame Monate vom Dezember 1915 bis März 1916 – bis sich ihre Wege endgültig trennen. Während Kandinsky zu einer der Überfiguren für die Malerei des 20. Jahrhunderts wird, wird es um Gabriele Münter, die bis zu ihrem Tod 1962 zurückgezogen in Murnau lebt und malt, sehr still.

Voll künstlerischer Kraft. Die Bilder ihres Spätwerks sind zwar vor allem sehr dekorativ, aber ihre Portraitzeichnungen bestechen nach wie vor durch ihre Ursprünglichkeit und künstlerische Kraft - die Markenzeichen einer großen Künstlerin. Die geschlossenste Sammlung von Bildern der Gruppe Der Blaue Reiter ist im Lenbach-Haus in München zu sehen, der Großteil davon stammt aus einer Stiftung Gabriele Münters.

 

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016