Universalgenie an der Schwelle zur Neuzeit

01. Januar 1900 | von

An einer der schönsten Stellen des Moseltales, umgeben von Weinbergen mit klangvollen Reblagen, liegt anmutig das St. Nikolaus-Hospital. Kernstück der mehr als 500 Jahre alten Anlage ist die gotische Kapelle samt Kreuzgang, mit anschließenden Zellen und Refektorium. Das Hospital wird umringt von den Wirtschaftsgebäuden, die zur Versorgung der Bewohner notwendig waren. Diese soziale Einrichtung, die Nikolaus von Kues seinem Heimatort als Erbe hinterlassen hat, hat seit ihrer Eröffnung im Jahr 1465 ohne Unterbrechung ihrer Bestimmung gedient.

Weltkulturerbe mit Weingut. Es ist ein kulturgeschichtliches Juwel, das die Unesco zum Weltkulturerbe zählt und das eine der bedeutendsten Privatbibliotheken der Welt in seinen Mauern birgt. Darunter sind vor allem Werke des Stifters, aber auch kostbare Handschriften und frühe Druckerzeugnisse. Und nicht zuletzt gehört dazu ein Weingut, das zu den renommiertesten Weinhospitälern Europas zählt. In die einstigen Kelter- und Kellerräume sind mittlerweile ein hübsches Weinmuseum und eine opulente Vinothek samt Bistro eingezogen, die außer den eigenen Produkten Kreszenzen des gesamten Moselgebietes bis hin nach Luxemburg offeriert.
Was war das für ein außergewöhnlicher Mann an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit, der durch kluge Planung und juristisches Geschick dieser Stiftung durch alle Stürme der Zeit Bestand verlieh?

Auftritt auf der Weltbühne. Geboren wurde er 1401 in Kues als Sohn des Schiffseigners, Fischers und Kaufmannes Hennen Cryffz und dessen Ehefrau Katharina Römer. Kryffz ist die moselländische Bezeichnung für Krebs, weshalb sich der Sohn zunächst Nikolaus Cancer de Coeße nennt und später den roten Krebs im Wappen führt. Unter diesem Namen immatrikuliert er sich 1416 an der Heidelberger Universität. Schon ein Jahr später wechselt er nach Padua, wo er Kirchenrecht studiert und 1423 promoviert wird. 1425 bis 1428 schließt sich ein Studium der Philosophie und Theologie in Köln an. Einkünfte aus seiner ersten Pfründe, der Kirche von Altrich, ermöglichen ihm zu forschen. Als Kirchenrechtler wird er zunehmend mit Aufgaben bedacht, die intensives Quellenstudium verlangen.
1430 beauftragt Ulrich von Manderscheid, der Bischof von Trier werden wollte, den jungen Nikolaus von Kues mit der Vertretung seiner Interessen beim Konzil von Basel. Obwohl der das Verfahren nicht zugunsten seines Auftraggebers entscheiden konnte, war er bald eine der bedeutendsten Persönlichkeiten des Konzils. Nikolaus hatte die Bühne betreten, auf der sich die Geschicke des Abendlandes entschieden, und er sollte diese praktisch bis an sein Lebensende nicht mehr verlassen. Er machte auf dem Konzil die wichtigsten Vorschläge zur Reichsreform. Darunter war die Konsenslehre, die besagt, dass eine rechtmäßige Herrschaft in Staat und Kirche auf der Zustimmung der Regierten beruhen müsse: Was alle angeht, muss von allen gebilligt werden. Demokratische Ideen von der Legitimation der Macht, die erst 300 Jahre später in Frankreich und Amerika Grundlage liberaler Verfassungen werden sollten.

In päpstlicher Mission. Als Mitglied einer päpstlichen Delegation wird er nach Konstantinopel geschickt, um führende Vertreter der Ostkirche nach Italien einzuladen, wo 1438 in Ferrara die (vorübergehende) Einheit der griechischen und römischen Kirche beschlossen wurde. Nikolaus von Kues hatte an den Verhandlungen wesentlichen Anteil. Im Auftrag von Papst Eugen IV., den die Mehrheit des Baseler Konzils abgewählt hatte, reist er durch Deutschland, um für dessen Anerkennung zu werben. Nicht zuletzt dank seines diplomatischen Geschicks entscheiden sich die deutschen Fürsten auf dem Reichstag zu Aschaffenburg 1447 für den römischen Papst und setzen damit der Kirchenspaltung ein Ende.
1450 empfängt Nikolaus von Kues, der inzwischen Cusanus genannt wird, den Kardinalshut. Bald darauf wird er wieder vom Papst mit einer großen Aufgabe betraut: Er soll in den deutschen Landen den Jubiläumsablass des goldenen Jahres 1450 verkünden und zugleich die Kirche reformieren.

Reisen für Reform. Cusanus wendet sich nicht grundsätzlich gegen die Ablasspraxis, aber gegen rein äußerliche Religionsausübung ohne gelebten Inhalt. Glauben und Sakramente sind für ihn die Kernpunkte der Frömmigkeit. Er kämpft gegen betrügerischen Reliquienhandel ebenso wie gegen übertriebene Wundergläubigkeit. Er lässt in den Kirchen Tafeln mit Gebets-Texten aufhängen, eingeleitet mit der Erklärung: Als der deutsche Kardinal Nikolaus von Kues zur Zeit des Papstes Nikolaus V. in dem Jahr, das auf das goldene Jahr folgte, nach Deutschland gesandt wurde, da tadelte er vor allem das gemeine weltliche Volk, dass es das Vaterunser und das Glaubensbekenntnis nicht recht sprechen kann. Darum ordnete er an, dass es geschrieben und öffentlich in den Kirchen aufgehängt sein solle.
Cusanus reist durchs Land, predigt in Städten und Dörfern. Sein Einsatz wird als ein letzter Versuch zur grundlegenden Reform der Kirche in Deutschland vor der im nächsten Jahrhundert auftretenden Spaltung gewertet. Dass er bei all dieser aufreibenden Arbeit noch Kraft fand, abends in den Klöstern oder Herbergen, wo er untergebracht war, seine theologischen, philosophischen und mathematischen Werke niederzuschreiben, ist zu bewundern.

Stiftung mit Philosophie. Auf dieser großen Reise 1451/1452 besuchte er zum letzten mal seinen Heimatort an der Mosel, wahrscheinlich, als sein Vater im Sterben lag. Damals legte er die Grundsteine für seine Stiftung. Alle seine Einkünfte – er selbst lebte höchst bescheiden – steckte er in dieses Sozialwerk, das 33 abgearbeiteten Männern ein gesichertes Alter ermöglichen sollte. Auch der größte Teil des Familienvermögens floss hierein, mit Einverständnis seines Bruders, der Pfarrer in Bernkastel war, und seiner beiden wohlhabenden und kinderlos gebliebenen Schwestern.
Als Cusanus 1458 fern von Kues in Italien die Stiftungsurkunde abfasste, war der klosterähnliche Bau des Hospitals fast vollendet. Kreuzgang, Kapelle, Refektorium und Bibliothek, in der Cusanus seinen Lebensabend studierenderweise zu verbringen gehofft hatte, sind bis heute als Bauten der Hochgotik erhalten. Der größte Teil des Hospitals ist aber in der Barockzeit renoviert und durch Erweiterungsbauten ergänzt worden, die seither das Bild der Gesamtanlage prägen. Eindrucksvoll ist der Weg vom barocken Portal mit dem Krebswappen und der Figur des Namenspatrons Nikolaus (der ja auch der Patron der Flussschiffer war, zu denen Cusanus Vater gehörte) durch den Kreuzgang. Kein Schlussstein im gotischen Netzgewölbe, kein Maßwerk der gotischen Fenster zum Innenhof gleicht dem anderen: Hier ist die Philosophie des Stifters von der Einheit in der Vielfalt und der Vielfalt in der Einheit zu Stein geworden.

Passion im Moseltal. In der Kapelle wird das Gewölbe über dem zweischiffigen Kirchenraum von einer einzigen Säule getragen, die zwölf Bögen stützt: Christus im Kreis der Apostel symbolisierend. Das spätmittelalterliche Altarbild verlegt das Passionsgeschehen in die reale Welt des Moseltales: Im Hintergrund sind zum Beispiel die Kirche von Altrich (seine erste Pfründe) und die Burg Manderscheid erkennbar. Unter der Kreuzigungsgruppe hat der Maler zwei Stifterfiguren darstellt: einen Mann im rotem Umhang mit einem Kardinalshut auf dem Rücken und einen Priester – Nikolaus von Kues und sein Bruder. Es ist wohl das einzige Porträt dieses wegweisenden Denkers zwischen Mittelalter und Moderne, da es Ähnlichkeit aufweist mit der wenige Jahre später in Italien geschaffenen Grabplastik für seine Titularkirche S. Pietro in vincoli in Rom. Dort liegt sein Leib begraben - das Herz ruht in der Kapelle des Hospitals in Kues, die zu sehen ihm nicht mehr vergönnt war.

Letzte Station Rom. Das Ende seines rastlosen Lebens kam für Cusanus nach einer von Auseinandersetzungen mit dem Herzog von Tirol belasteten Zeit als Bischof in Brixen und schließlich als Kurienkardinal und Generalvikar bei Papst Pius II. in Rom. Damals wurde er sich immer mehr der Vergeblichkeit seines reformatorischen Wirkens bewusst, die Macht der beharrenden Kräfte war zu groß. Eine Krankheit befiel Cusanus auf Reisen, er starb am 11. August 1464 in Todi in Umbrien. Seine kostbare Bibliothek, die astronomischen Geräte, Messgewänder und liturgische Gegenstände wurden nach Kues ins St. Nikolaus-Hospital gebracht.
Heute weiß man, dass Cusanus, der als Erster die Unendlichkeit der Welt lehrte, als größter Philosoph seines Jahrhunderts eine neue Epoche der Geistesgeschichte eingeleitet hat. Dennoch sind seine Leistungen den meisten nur bruchstückhaft bekannt. In seinem rekonstruierten Geburtshaus am Moselufer in Kues hat die Cusanus-Gesellschaft deshalb eine ständige Bildausstellung über Leben und Werk des großen Sohnes eingerichtet. Hier ist auch Raum für Gespräche zwischen Christen verschiedener Konfessionen – ganz im Sinne des Mannes, der sich immer um Einheit in der Vielfalt bemühte.

Ausstellung: Vom 18. Mai bis 30. September ist die dreiteilige Ausstellung Horizonte – Nikolaus von Kues in seiner Welt im Nikolaus-Hospital sowie im Cusanus-Geburtshaus in Bernkastel-Kues und im Dom- und Diözesan-Museum Trier zu sehen.

Literatur: Nikolaus von Kues – Leben und Werk im Bild von Helmut Gestrich (Vorsitzender der Cusanus-Gesellschaft), 1993 in Mainz erschienen (DM 45) ist eine reich bebilderte Dokumentation über den großen Denker an der Schwelle des Mittelalters zur Neuzeit.

Cusanus-Arrangements: Von Mai bis Oktober können Pauschalen mit fünf Übernachtungen plus Frühstück, Tagesausflug nach Luxemburg, Besuch des Cusanus-Geburtshauses, Führung durch das Cusanusstift, Besuch der Vinothek und des Moselweinmuseums sowie einer Mosel Card für 315 bis 819 DM pro Person im Doppelzimmer beziehungsweise für 365 bis 999 DM im Einzelzimmer (je nach Unterbringungskategorie) gebucht werden. Beratung und Buchung Telefon 06531/3075, Fax 06531/3077.

Informationen: Telefon 06531/3000, Fax 06531/3894,
E-Mail:
cusanus@bernkastel-kues.de
Internet: www.nikolaus-von-kues.de

 

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016