Wie das Evangelium nach Korea kam

30. Juni 2014 | von

Papst Franziskus besucht vom 14. bis 18. August die Katholiken in Korea und spricht 124 Männer und Frauen selig, die wegen ihres christlichen Glaubens umgebracht wurden. Unser Autor schildert den ungewöhnlichen Weg, auf dem das Christentum nach Korea kam, und wie es sich entwickelt hat.



Von Korea kann man nur voller Bewunderung sprechen. Das Land hat es geschafft, sich aus der Asche des Krieges der Jahre 1950-1953 emporzuarbeiten. Noch in den 1960er Jahren hatte der Rivale Nord-Korea ein höheres Bruttoinlandsprodukt. General Douglas MacArthur prognostizierte damals: „Dieses Land hat keine Zukunft. Auch in hundert Jahren kommt es nicht wieder auf die Beine.“ Heute steht Südkorea beim Bruttoinlandsprodukt weltweit an 15. Stelle.



ERFINDUNG EINFACHER SCHRIFTZEICHEN

Korea hat sich wirtschaftlich sozusagen neu erfunden. Dies gilt auch für den kulturellen Sektor. Das kleine Land lag schon immer im Einflussbereich des großen chinesischen Reiches und wurde von ihm politisch und kulturell beeinflusst. Trotzdem entwickelte es im Laufe der Geschichte eine eigene Schrift, das Hangul. Das koreanische Alphabet wurde buchstäblich am Schreibtisch erfunden, zwischen 1443 und 1444, von einer Gruppe Gelehrter, auf Anweisung von Sejong dem Großen. Diese einfache Schrift begünstigte dreihundert Jahre später die Ausbreitung des Christentums unter den Einwohnern mit niedrigem Einkommen und geringer Bildung.

König Sejong beklagte es, dass das einfache Volk die komplizierten chinesischen Schriftzeichen, die bei der gebildeten Klasse in Gebrauch waren, nicht erlernen konnte. So blieb den einfachen Leuten nur die Möglichkeit, ihre Eingaben und Beschwerden bei den Behörden mündlich vorzutragen. Zudem konnten sie den Nachfahren ihre Erfahrungen im landwirtschaftlichen Bereich und ihr Wissen, das sich im Laufe von Jahren harter Arbeit angesammelt hatte, nicht schriftlich hinterlassen. Aus diesen Gründen, auch um eine eigene Schrift zu haben und nicht auf das komplizierte chinesische Zeichensystem zurückgreifen zu müssen, wurde das noch heute verwendete Alphabet geschaffen.



DRUCKERPRESSE UND SCHWIMMENDE PANZER

China war in der Tat kulturell dominant gegenüber den angrenzenden Ländern. Alle wichtigen Bücher und Dokumente waren auf Chinesisch geschrieben. Dabei musste China seine Hegemonie nie mit Gewalt aufzwingen, weil die chinesische Kultur seit alters in hohem Ansehen stand. Die Satelliten-Staaten – dazu gehörten Vietnam, Korea, die Ryukyu-Inseln (Okinawa) und sogar Japan – waren nur zu Gesten der Loyalität gegenüber dem Reich der Mitte verpflichtet. Dies geschah durch Delegationen, die Tributgaben überbrachten, wobei ein Gabentausch erfolgte. Der chinesische Kaiser anerkannte auf diese Weise die Legitimität der Herrscher seiner abhängigen Staaten (eine Art Investitur wie im mittelalterlichen Europa). Sobald dieser Akt formaler Unterwerfung vollzogen war, konnten diese Herrscher das politisch-kulturelle Leben ihres Landes in völliger Autonomie leiten.

Das koreanische Volk hat immer bewiesen, welche Charakterstärke und große Erfindungsgabe in ihm steckt. Dies bezeugt, neben der Erfindung der Hangul-Schrift, auch die Entdeckung des Drucks mit beweglichen Lettern, und zwar bereits zwei Jahrhunderte vor der Druckerpresse des Johannes Gensfleisch, genannt Gutenberg. Erwähnen könnte man auch Erfindungen im militärischen Bereich. Bereits zweieinhalb Jahrhunderte vor dem Bau des ersten Panzerschiffs der US-Marine, USS Monitor, bezwang Korea 1592 im Imjin-Krieg seinen Nachbarn Japan: General Yi Sun-Shin hatte die Schildkröten-Schiffe erfunden (eine Art schwimmende Panzer), denen jedes andere Kriegsgerät unterlegen war. Doch auch in einem sehr friedlichen Bereich zeigten sich die Koreaner besonders erfinderisch: Das Christentum gelangte auf einem sehr originellen Weg zu ihnen.



LAIEN BRINGEN DAS CHRISTENTUM

Korea ist das einzige Beispiel für eine Evangelisierung, die nicht von professionellen Missionaren ausging, sondern von einfachen, kulturell interessierten Menschen. Dies ist einmalig in der Geschichte. Für die Rolle, welche koreanische Laien hier gespielt haben, gibt es keinen Vergleich auf der Welt. Bereits Jahre vor der ersten Ankunft christlicher Missionare in Korea hatten gebildete Laien durch Studium von der Existenz dieser unbekannten fremden Religion erfahren und deren Prinzipien im eigenen Land verbreitet.

Zwar kamen christliche Missionare nach Korea hunderte Jahre später als nach Japan; dafür war die Ankunft der Jesuiten in China entscheidend für die Entstehung der ersten christlichen Gemeinschaften im Königreich Choson, so der alte Name für Korea. Die Jesuiten kamen bereits Ende des 16. Jahrhunderts nach China; am bekanntesten ist wohl Matteo Ricci. Er übersetzte als einer der ersten Teile des Katechismus ins Chinesische, darüber hinaus aber auch viele wissenschaftliche und literarische Werke, welche wiederum das Interesse an der Religion dieser Missionare aus dem Westen weckten. Bald folgten die ersten Taufen. Im Jahr 1608 gab es dreihundert Christen allein in Peking und zweitausend im gesamten chinesischen Kaiserreich.



ÜBERSETZUNGEN WECKEN NEUGIER

Diese wissenschaftlichen und literarischen Texte der Jesuiten wurden 1603 auch ins Koreanische übersetzt, von Yi Gwang Jeong, einem koreanischen Diplomaten an der Botschaft in Peking. Er brachte die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse in die auf Konfuzius ausgerichtete Kultur Koreas. Sie galten als „westliche Weisheiten, übersetzt ins Chinesische“.

Wie zuvor in China, weckten diese übersetzten Texte auch bei den Eliten der Gelehrten in Korea Neugier auf den Katholizismus. Man beschäftigte sich eingehender damit und schon bald diskutierte man in den literarischen Zirkeln, etwa im Tempel Jueo von Seoul, über die Existenz Gottes, die Unsterblichkeit der Seele und die göttliche Vorsehung. Doch dauerte es seine Zeit, bis der Katholizismus nicht nur akademischen Diskussionsstoff bot, sondern zur religiösen Wirklichkeit wurde, mit allen Konsequenzen. Das war im Jahr 1784. Fünf Jahre später brach die Französische Revolution aus. Im anderen Teil der Welt erfolgte eine Revolution anderer Art, die länger anhalten sollte als jene in Frankreich. 1784 ist das offizielle Jahr der Gründung der Kirche in Korea.

Eine neuere Befragung hat gezeigt, dass der Katholizismus heutzutage jene Religion ist, welche die Koreaner für die glaubwürdigste halten, sogar mehr als den Buddhismus. Erstaunlich ist dabei, dass der Protestantismus als die weniger vertrauenswürdige Religion gilt. Dafür gibt es natürlich Gründe. Mit Sicherheit spielt die aggressive Art der Evangelisierung eine Rolle und das zweifelhafte ‚Marketing‘. Die weithin sichtbaren rot erleuchteten Kreuze an der Skyline von Seoul oder Pusan sind bestimmt kein Ausdruck von Bescheidenheit. Sie erinnern eher an ein Handelsunternehmen als an eine Institution, die von authentischem Glauben beseelt ist. Der Gründer der größten Gemeinde von Seoul (die Yoido Church), der 78-jährige David Yonggy Cho, wurde vor kurzem zu drei Jahren Gefängnis verurteilt wegen unrechtmäßiger Aneignung (es ging um zwölf Millionen Dollar) und Steuerhinterziehung.



SOZIALE HILFE UND MÄRTYRER

Die Katholiken dagegen sind bestens angesehen, vor allem wegen ihres sozialen Einsatzes; die Zahl der Gläubigen wächst. Ende des 19. Jahrhunderts waren es wenige Tausende, jetzt sind es mehr als fünf Millionen. Die Phase des großen Anstiegs der Bekehrungen und Taufen war nach dem Krieg (in Korea meint man damit die Kriegsjahre 1950-1953). Damals erlebten die Koreaner Unsicherheit, Not und Vergänglichkeit; sie waren tief in ihrer Existenz getroffen. Angesichts dieser Tragödie fanden die Menschen Trost in der Lehre der Kirche, die aufzeigt, dass Schmerz und Leid nie vergeblich sind, und dass es ein höheres Gut gibt, das uns verheißen ist.

Heute versucht man, ein neues spirituelles Ferment wirken zu lassen, ausgehend vom Blick auf die Geschichte der vielen Märtyrer des Landes. Sie gelten als Spiegel und als Modell eines christlichen Lebens. Die Seligsprechung von 124 Männern und Frauen, die wegen ihres Glaubens umgebracht wurden, jetzt im August durch Papst Franziskus, ist eine besonders wertvolle Gelegenheit zur Erneuerung des Glaubens.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016