Wo schlägt das Herz von Rotterdam?

25. August 2014 | von

Ausländerfeindlichkeit, leere Kirchen, Brutalität in der Gesellschaft, das sind Schlagzeilen aus dem Alltag. Dass es auch anders geht, erfährt eine multi-konfessionelle Gruppe beim diesjährigen Miteinander für Rotterdam, organisiert von der ökumenischen Initiative Miteinander für Europa in den Niederlanden.



Was bringt 19 Menschen aus ganz Holland an einem frühen Samstagmorgen nach Rotterdam? Es muss ein starkes Motiv sein, das sie bei leichtem Regen und frischem Wind auf dem Plein 1940 um das Denkmal des Künstlers Zadkine „De verwoeste Stad“ versammelt. Die mehr als sechs Meter hohe Bronzeplastik schreit Verzweiflung und Schmerz.

Nach einem alles zerstörenden Angriff von Hitlers Luftwaffe 1940 auf das Zentrum von Rotterdam hatte die Stadt im wahrsten Sinne des Wortes ihr Herz verloren. Die Initiative „Miteinander für Europa“ hat zu einer Stadtführung durch Rotterdam eingeladen. Auf der Suche nach den Wurzeln Europas war man in den vergangenen Jahren bereits in Utrecht, Zwolle und Amsterdam zusammengekommen. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten der französische Politiker Robert Schuman, der Deutsche Konrad Adenauer und der Italiener Alcide De Gasperi sich für ein neues Europa eingesetzt, auf den christlichen Grundfesten von Versöhnung, Solidarität, Gleichheit und Friede.



SCOTS INTERNATIONAL CHURCH

Am Samstag, dem 14. Juni 2014, machten sich Mitglieder verschiedener katholischer und protestantischer Bewegungen und Organisationen auf, um Antwort auf die Frage zu bekommen: Wo finden wir Gott in Rotterdam?

Die erste Antwort erwartet unsere multi-konfessionelle Gruppe an der Scots International Church. Eine junge Frau von SKIN (Samen Kerk in Nederland/Zusammen Kirche in den Niederlanden sein), Madelon Grant, präsentiert die Situation der Migranten-Kirchen in Rotterdam. In der größten Hafenstadt Europas leben ca. 50 Prozent Ausländer, die häufig das Leben ihrer Glaubensgemeinschaften mitbringen. SKIN organisiert und synchronisiert das Zusammenleben. „Im Prinzip“, so Madelon Grant, „ist die Bibel eine einzige Migrantengeschichte: die Flucht des Volkes Israel nach Ägypten, die Geschichte von Josef und seinen Brüdern, die Flucht der Familie Jesu nach Ägypten, die Aussendung der Apostel nach Pfingsten, um nur einige Episoden zu nennen. Wir arbeiten dafür, dass die Menschen, die durch oft tragische Umstände in unser Land gekommen sind, die Einheit mit anderen Menschen und Kirchen entdecken können. Und wir dürfen nicht vergessen: Bereits in der Bibel brachten Migranten neue Ideen mit sich und konnten so mehr als einmal die Geschichte der Menschheit zum Guten wenden.“



KONINGSKERK

Weiter geht es über die Erasmusbrücke zur Koningskerk, fast unsichtbar in einer Häuserzeile verborgen. Joris van de Spek und seine Frau von der PKN (Protestante Kerken Nederland) begrüßen herzlich jeden von uns mit Handschlag. „Wir sind eine Kirche von/im Wohnviertel. Wir interessieren uns für das Schicksal eines jeden Einzelnen und helfen, wo wir können: Lebensmittelpakete, Unterstützung bei der Suche nach Arbeit, nach Wohnraum für eine obdachlose Familie. Wir wollen unsere Nächsten mit den Augen Jesu sehen. Wir nennen uns nicht Kirchenmitglieder, sondern Jünger, disciples.“ Joris erklärt uns noch die Aktion KerKado. In der zweien Augusthälfte werden 5.000 Freiwillige je eine Stunde arbeiten, um Projekte im Wohnviertel Feijenoord zu realisieren: Aktivitäten in Altenheimen, mit Kindern und Jugendlichen, einen Park säubern, gemeinsam essen, alles was das Leben im Viertel schöner macht. Die Kirchen von Rotterdam vereinigen sich in diesem Projekt und bieten der Stadt ein Geschenk an, das ihre Verbundenheit mit ihr und den Bewohnern zeigen will. Ein richtiges City-Fest! Joris steckt uns mit seiner Begeisterung an. Beim Weiterlaufen zum nächsten Ziel sprechen wir untereinander angeregt darüber, wie wir eine ähnliche Idee in unseren Gemeinschaften verwirklichen können.



BORGO D‘ANETO

Das Restaurant mit dem italienischen Namen Borgo d’Aneto liegt am Hafen von Feijenoord mit einem prächtigen Ausblick auf die vorbeiziehenden Schiffe. Der Belgier marokkanischen Ursprungs Faouzi Chihabi hat Unternehmergeist und will die Arbeitsbedingungen von ausländischen Jugendlichen, die eine zweite Chance im Leben benötigen, verbessern. In seiner Trattoria bildet er sie im Gaststättengewerbe aus. Das Einfühlungsvermögen dafür und die nötige Geduld nimmt Faouzi aus seinem schier unerschöpflichen Glauben an Gott.

NetzwERK gegen Frauenhandel

Im Borgo d’Aneto treffen wir auch Gusta Bouwman. Mit ihrem Mann, einem Rotterdamer Architekten, hat sie das Netzwerk 2BFREE gegen Frauenhandel in der Stadt aufgebaut. Menschenhandel gehöre zur lukrativsten Form von Verbrechen, erzählt Gusta. Die Bouwmans wollen dazu beitragen, den traumatisierten Frauen die Erfahrung zu ermöglichen, dass Gott auch sie unendlich liebt. Gusta beeindruckt durch ihren unerschütterlichen Glauben. Gott zeige immer wieder neue Wege, um diese nicht ungefährliche Mission weiterzubringen, sagt sie.



ES IST WIE PFINGSTEN

Unsere Gruppe ist sich einig: Wir haben das lebendige Herz von Rotterdam gefunden! Die heutigen Begegnungen haben etwas in uns verändert. Ich habe den Eindruck, dass jeder von ihnen ein eigenes Charisma hat, eine Gabe des Geistes, das sie Kirche und Gesellschaft zur Verfügung stellen wollen. Das diesjährige Miteinander hat meine Erwartungen bei weitem übertroffen. Viele Gaben, ein Geist! Es ist wie Pfingsten. Eine Teilnehmerin des Miteinander drückt mit ihren abschließenden Worten das Wesentliche dieses Tages aus: „Heute sind wir Christen des 21. Jahrhunderts begegnet. Sie leben wie die ersten Christen. Äußerlich unterscheiden sie sich nicht von ihrer Umwelt. Aber sie sind deutlich sichtbar durch ihre Taten. Das ‚Seht, wie sie einander lieben‘ gilt für die Zeit des Tertullian, es gilt heute und morgen. Ihr Beispiel kann uns Vorbild sein.“

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016