Würzburg international

28. Februar 2006 | von

Vor genau dreißig Jahren war ich dabei, als 17jähriger „Pälzer Krischer“. 1975 versammelten sich junge Menschen an der deutsch-französischen Grenze im Ort Schweigen in der Südpfalz; auf der anderen Seite, im Elsass, liegt Weißenburg. Unsere friedlich, doch vehement vorgetragene Forderung: „Weg mit den Grenzen!“
Heute sitzt einer jener „Schreihälse“ vor Euch und denkt gerne und mit Staunen an unsere Vorbilder von damals zurück. Wir Schüler ließen uns von den engagierten „Nachachtundsechziger“- Studenten mit ihrer Begeisterung anstecken. Auf unsere Weise übernahmen wir das Erbe der christlichen Väter Europas: Konrad Adenauer (1876-1967), Alcide De Gasperi (1881-1954) und Robert Schuman (1886-1963).
Christliche Mütter der Europa-Idee gab es wohl auch.

Festung Europa? Von jener Grenze zwischen Pfalz und Elsass spürt heute, im Jahr 2005, niemand mehr etwas. Wir alle haben das „Wunder“ des 9. November 1989 hinter uns, den Fall der Mauer in Berlin. Inzwischen merken wir, dass andere, unsichtbare Mauern schwerer niederzureißen sind: die Mauern in unseren Gedanken, Vorstellungen und Einbildungen. Die europäische Gemeinschaft wächst in rasantem Tempo, mit Fortschritten und Stagnation: Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sind strittig, der Ratifizierungsprozess des Verfassungsentwurfs stockt. In jüngster Zeit dringt offenkundige Gewalt bis ins Innere Europas ein: Terroranschläge in Madrid und London, Ausschreitungen Jugendlicher in Frankreich.
Die Frage nach der Sicherheit ist auch die Frage nach der Integrationskraft Europas. Gewalt zeigt sich auch von außen: Menschen überklettern die Zäune entlang der spanischen Enklaven in Nordafrika – ein Symptom für den sich verschärfenden Arm-Reich-
Konflikt und die modernen Völkerwanderungen, die nicht nur durch Naturkatastrophen bedingt sind. In welchem Ausmaß ist eine „Festung Europa“ erstrebenswert?

Minoriten global. Wie immer, sind wir Franziskaner-Minoriten mitten drin. Als Junioratsleiter in den Jahren 1989 bis 1994 und 2000 bis 2004 erlebte ich die globale „Baustelle Juniorat“ hautnah, unter Junioren verschiedenster Nationalität und Herkunft. Wenn ich die Doktoranden und Sprachstudenten in den Sommermonaten dazurechne, ergibt sich von damals bis heute eine ansehnliche Länderliste: China, Costa Rica, Deutschland, Großbritannien, Indien, Indonesien, Italien, Kamerun, Kongo, Kroatien, Nigeria, Österreich, Peru, Philippinen, Polen, Rumänien, Russland, Schweiz, Slowakei, Slowenien, Taiwan, Tansania, Tschechien, Ukraine, Ungarn, Venezuela, Vereinigte Staaten von Amerika und Weißrussland.
Diese Vielfalt an Sprachen, Mentalitäten, sozialer Herkunft, wirtschaftlichem Status des Heimatlandes bedeutete eine echte Herausforderung, eine Chance und Aufgabe. Zu erbauen und zu leben war eine internationale Gemeinschaft. Wir konnten es und wir wollten es im franziskanischen Geist, der ja gekennzeichnet ist durch Tiefe und Weite. Wir als Franziskaner sind gerufen, Sucher von Wegen nach mehr als für uns selbst zu sein. Unser Orden ist von Anfang an international, entgrenzend.

In guter Tradition. Es besteht eine internationale Tradition des Ortes, wie ein Blick auf drei Geschichtsdaten unserer deutschen Ordensprovinz zeigt. Seit dem Jahr 1221 (Franziskus lebte noch) sind Minderbrüder ununterbrochen in Würzburg präsent. An Nachwuchs mangelte es in der ersten Phase nicht: Bereits nach einem Monat meldeten sich drei Interessenten bei den aus Italien gekommenen Minderbrüdern. Infolge der Säkularisation (Reichsdeputationshauptschluss vom Jahre 1802) war das Würzburger Franziskanerkloster zum Aussterben verurteilt. Mitte des 19. Jahrhunderts erfolgte eine Wiederbelebung durch Minoriten aus Padua. Seit 1955 gibt es in der Universitätsstadt Würzburg ein internationales Juniorat der Franziskaner-Minoriten. Ständig wohnen bei uns Promovenden aus anderen Ordensprovinzen, anderen Ordensgemeinschaften und auch Diözesanpriester.

Feld der Einübung. Eine Junioratsgemeinschaft verlangt lernfähige und lernwillige Mitbrüder, die sich zur Eigenverantwortlichkeit erziehen lassen. Verfeinert ein Junior seine Deutschkenntnisse, ohne Druck durch Examina und Junioratsleiter; bringt ein Junior sein Universitätsprogramm mit der geistlichen Ordnung hier im Haus in Einklang; „surft“ er in seinem Zimmer verantwortungsvoll (die Klausur ist durchlässiger geworden!) – all dies setzt die Bereitschaft zu „Umkehrarbeit“ an sich selbst voraus. Wir sind ein apostolischer Orden, also bedarf es eines Eros zur Evangelisierung. Unsere Ausbildungsdokumente sprechen von der Leidenschaft für das Reich Gottes.
Zu einer internationalen Junioratsgemeinschaft passen keine Mauern aus Gleichgültigkeit und Schweigen, keine Stolperdrähte spitzer Bemerkungen, keine Wassergräben kühler Distanzierung, keine Clübchenwirtschaft. Beharrliches persönliches und gemeinschaftliches Gebet und einfühlsame Hinwendung zum Bruder, zur Schwester sind uns immer aufgetragen. Am schwersten ist die Bereitschaft, zu verzeihen und Verzeihung anzunehmen. Ein bescheidener Lebensstil allemal!


 

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016