Fleischerbude mit Heiliger Familie

16. November 2011 | von




Pieter Aertsen, der um 1509 in Amsterdam zur Welt kam und dort am 3. Juni 1575 begraben wurde, zählt zu den Meistern des Manierismus. Von 1535 bis 1555 lebte und arbeitete er in Antwerpen. Sein Gemälde „Metzger-Verkaufsstand mit der Heiligen Familie auf der Flucht nach Ägypten, Almosen verteilend“ aus dem Jahr 1551 ist das früheste bekannte Beispiel einer Marktszene. Mit seiner komplizierten Tiefenkonstruktion, in der sich eine Genreszene, ein Landschaftsbild mit Kirche und eine biblische Szene verstecken, und mit dem großräumigen Stillleben im Vordergrund, lässt es in seiner manieristischen Darstellung beim kompositorischen Aufbau eine echte Beziehung vermissen.



Doch auch bei diesem „invertierten“ Kompositionstyp geht es nicht nur um den sinnlichen Reiz der vordergründig präsentierten Genüsse. Die Tatsache, dass 50 Jahre vor der Entstehung dieses Bildes das Gildehaus der Antwerpener Fleischer gegründet wurde, lässt vermuten, dass diese anlässlich des Jubiläums das Gemälde bei Aertsen in Auftrag gaben, um ihre Leistung bei der Versorgung der Antwerpener Bürger wie auch ihre christliche Grundhaltung zu dokumentieren.    

Das 115,5 x 169,5 Zentimeter große Gemälde zeigt eine schier unübersehbare Fülle an Viktualien: Naturalistisch gemalt und großvolumig präsentiert sind Schweinskopf und -füße, Fleischstücke, Pansen, Wurstketten, in Kreuzform gelegte Fische, Pasteten, frisch geschlachtetes Geflügel – alles aufgetürmt zum Verkauf oder Verzehr. Der enthäutete Ochsenkopf, links von der Bildmitte in lebensgroßem Maßstab dargestellt, blickt aus eben erst gebrochenen Augen den Betrachter an, ihn ebenso schockierend wie berührend.



Unter dem schindelgedeckten Dach des scheunenartigen Gebäudes sieht man rechts einen Mann, der aus dem Brunnen geschöpftes Wasser in einen großen Krug gießt, auf dem Boden liegen Muschelschalen – als leeres Gehäuse verzehrter Tiere ein typisches Vanitas-Symbol. Im Hintergrund ist eine Wirtshausszene mit lebhaften Gästen zu sehen, vor dem Eingang hängt ein frisch geschlachteter Ochse (Kalb?). Nach Meinung mancher Kunstwissenschaftler ist darin eine Anspielung auf die Parabel vom verlorenen Sohn zu sehen, auf sein Lotter-leben wie auf das Festmahl nach der Reue des Sünders.

Durch die rückwärtige Öffnung in der Mitte des Gebäudes blickt man in eine Landschaft mit einer Reihe von Personen. Ein Mann führt einen Esel die Straße entlang, auf dem Tier sitzt eine Frau, die im rechten Arm ein kleines Kind hält – die Heilige Familie auf der Flucht nach Ägypten. Maria überreicht mit der linken Hand einem Knaben ein Brot. Symbolisch wird durch das Jesuskind und die Gottesmutter die Nahrung für den Körper mit der für die Seele vereint. Dass Maria armen Menschen am Wegesrand ein Almosen gibt, kann man als Aufforderung an den Betrachter verstehen, die christlichen Tugenden der caritas und misericordia zu beherzigen.



Beobachtet wird diese Szene von Menschen, die in einer langen Reihe auf dem Weg sind – wohl zu der durch die Fensteröffnung links im Bild erkennbaren Kirche. Die über der Kirche links im Bild gezeigten Hände sind das Wappen von Antwerpen, die Zeichen auf dem roten Balken daneben sind christlich zu deuten: das X als Zeichen des Kreuzes, die Messschelle und die Buchstaben g b (gens bona) stehen für die Gemeinschaft der Gläubigen, in die sich die Fleischergilde als Auftraggeber des Gemäldes eingebettet sehen möchte. 

Obwohl diese drei kleinen umrahmten Öffnungen im Bildhintergrund – mit der Genreszene in der Gaststube rechts, der Flucht nach Ägypten in der Mitte und links dem Landschaftsbild mit Kirche – von dem üppigen Stillleben nahezu erdrückt werden, ist ihre Aussage bedeutsam. Und nicht zuletzt suggeriert die Fleischerbudenszene trotz der unterschiedlichen Gewichtung der Bildfelder den zeitgenössischen Betrachtern die Kontinuität des Heilsgeschehens.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016