Berge - Orte der Gottes-Erfahrung

29. Januar 2013 | von

Mit diesem Heft startet eine neue Serie über Berge, die in der biblischen Botschaft eine besondere Bedeutung haben. Im einführenden Beitrag sensibilisiert der Autor für die Faszination, die von Bergen ausgeht, gerade auch für religiös empfängliche Menschen. Eigentlich alle Religionen kennen „heilige Berge“, die zu Kultorten wurden. Das Christentum hat manche heidnische Kultstätte umgewidmet. Um die für die Bibel wichtigen Berge lokalisieren zu können, macht der Autor mit der Geographie Palästinas vertraut.



Zwei Psalmverse geben den Grundton an, der uns hilft, in das Thema „Berge in der biblischen Botschaft“ einzusteigen: „Warum blickt ihr voll Neid, ihr hohen Gipfel, auf den Berg, den Gott sich zum Wohnsitz erwählt hat?“ (Ps 68,17).

„Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen: Woher kommt mir Hilfe? Meine Hilfe kommt vom HERRN, der Himmel und Erde gemacht hat“ (Ps 121,1-2). Hat sich der Schöpfer des Himmels und der Erde, zu dem sich die Bibel bekennt, tatsächlich einen Berg als Wohnsitz ausgewählt, wo er den Menschen besonders nahe ist und seine schöpferische Macht erfahren werden kann?



ERFAHRUNG VON GOTTES GEGENWART

Wir dürfen nicht vergessen, dass die Mythen der antiken Völker, die aus den Sehnsüchten der Menschen aufgebrochen sind, auch das Denken Israels stark beeinflusst haben. Gottes Gegenwart wurde besonders an Orten erfahren, die aus der alltäglichen Erfahrung der Menschen herausragten. So wurden Berge zu Orten und Symbolen der Begegnung von Himmel und Erde. Die Völker der Antike hatten ihre „heiligen Berge“ und dort ihre Kultstätten, an denen Opfer dargebracht wurden. Die in den Himmel ragenden Berge übten seit unvordenklichen Zeiten eine große Faszination aus.

Bergmassive, denen wir uns nähern und die wir besteigen, können auch eine Beklommenheit auslösen. Selbst erfahrene Bergwanderer und Alpinisten fragen sich, ob sie den oft beschwerlichen Aufstieg bis zum Gipfelkreuz schaffen werden. Und wer auf einem Berggipfel steht, den überkommt das Gefühl der Freiheit. Er spürt die besondere Nähe zu einer Macht, der er auch den Namen Schöpfer und Herr-Gott geben kann. So können uns auch unsere Bergerlebnisse und unser Staunen das mythologische Denken der alten Kulturen leichter verstehen lassen.



GEISTIGER AUFSTIEG UND WALLFAHRTEN

Auch heute noch werden Berge weltweit als Orte der Nähe zu Gott erlebt. Berge erheben sich über das alltägliche Leben der Menschen, sie bringen uns den „Himmel“ näher. Wenn wir ehrlich sind, ist auch uns dieses Gefühl, das letztlich dem Mythos ähnlich ist, nicht so fremd.

Wenden wir uns weiter dem Mythos zu. Der von Wolken verhüllte Gipfel regt die Phantasie an. Vor allem Vulkane werden als unheimliche Verbindungsstellen zu einer übermenschlichen Welt erlebt. Und „Götterberge“ in Alt-Mesopotamien, die sogenannten Zikkurat-Bauten, ersetzten die hochaufragenden Berge, die es im Flachland nicht gab. Die Geschichte vom Turmbau zu Babel erinnert an einen von Menschen errichteten „Götterberg“. Pilgerfahrten zu „heiligen Bergen“ symbolisieren das Hintersichlassen der Alltagsebene und einen geistigen Aufstieg. So nennt der spanische Mystiker Juan de la Cruz (1542 - 1591) den Weg zu Gott „Aufstieg zum Berge Karmel“.

Wallfahrten zu Heiligtümern auf Bergeshöhen sind in der christlichen Tradition weit verbreitet. In Kärnten ist die anstrengende „Vierbergewallfahrt“ üblich und bei manchen Pilgern auch mit dem Ansporn zu einer gewissen sportlichen Leistung verbunden. Der Anna-Berg bei Maria Zell hat seine jahrhundertealte Wallfahrtstradition bewahrt, ebenso der Sonntagsberg, der Hafnerberg, Maria Taferl und der Mariahilf-Berg bei Gutenstein, um nur einige zu nennen. Auch die Gipfelkreuze der Neuzeit sind Ausdruck des Gefühls der Nähe zu Gott auf Bergeshöhen.



BERGE DES ERZENGELS MICHAEL

Es ist nicht verwunderlich, dass nach der Missionierung Mitteleuropas heidnische Höhenheiligtümer als Sammelplätze böser Geister angesehen wurden. Die Verkünder der christlichen Botschaft haben es verstanden, heidnische Kultstätten in christliche Wallfahrtsorte umzuwandeln. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel dafür ist das Heiligtum des Erzengels Michael auf dem Monte Gargano in Apulien, das seit dem 6. Jahrhundert einer der ältesten Wallfahrtsorte des Christentums ist. Michaelsheiligtümer wurden bevorzugt an ehemaligen heidnischen Kultstätten errichtet. Der Name des Engels, der übersetzt heißt „Wer ist wie Gott“, und seine Ausrüstung zum Kampf wider alles Gottfeindliche mögen dazu beigetragen haben.

Die gotische, dem heiligen Erzengel geweihte Kirche in Oberrauchenödt (Oberösterreich) wurde im 15. Jahrhundert in einsamer Gegend auf einer Urgesteinskuppe, der Wasserscheide zwischen der Feldaist (Schwarzes Meer) und der Maltsch (Nordsee), gebaut. Sie ist ein eindrucksvolles Zeugnis für die christliche Deutung und Wandlung alter Bergkulte.



BEDROHLICHE EINSAMKEIT DER BERGE

Dazu zwei Beispiele: Franz von Assisi hat die Einsamkeit der Bergwelt und das raue, unwirtliche Leben dort aufgesucht und geliebt. Denken wir an sein Fasten zur Vorbereitung auf das Fest des Erzengels Michael auf La Verna. In der Zeit des ausgehenden Mittelalters hatte man Angst vor der Bergwelt, vor ihren vielfältigen Gefahren und den dort lauernden Dämonen.

Erst in der Renaissancezeit hat man das Interesse für die Natur auch auf die schwer zugängliche Bergwelt erweitert. Kein geringerer als Äneas Silvius Piccolomini, der spätere Papst Pius II., ist in das Gebirge rund um Steinach-Irdning (Österreich) aufgestiegen und hat eingehende Berichte über die Gebirgswelt niedergeschrieben.



ISRAEL ALS LAND DER BERGE

„Maria machte sich auf den Weg und eilte in eine Stadt im Bergland von Judäa“ (Lk 1,39). Vom Sinai abgesehen, dem eine besondere Bedeutung zukommt, werden uns die Berge im Land Israel interessieren. Deshalb sind vorweg einige Informationen zur Geographie nützlich. Das Gebirge, das Palästina von Norden nach Süden durchzieht, heißt ha-har, einfach „der Berg“. Ha-har, das Wort, dem wir im Ersten Testament 520 Mal begegnen, steht sowohl für ein geschlossenes Bergland, als auch für eine Einzel-erhebung von einer geringen, aber auch beträchtlichen Höhe. Das Bergland in einer bestimmten Abgrenzung wird auch nach dem Namen eines der zwölf Stämme Israels genannt.

Das galiläische Bergland, begrenzt durch die Ebene Jesreel, setzt das Libanongebirge fort. Die Berge von Obergaliläa werden dem Stamm Naphtali zugeordnet. Galiläa besitzt die höchste Erhebung des Westjordanlandes, den har-meron mit einer Höhe von 1199 Metern. Das obergaliläische Bergland war in biblischer Zeit, wie der Libanon, stark bewaldet und wenig besiedelt. In den biblischen Berichten spielt es eine blasse Rolle. Die Berge von Samaria werden mit dem Stamm Ephraim in Verbindung gebracht. Zwei markante und in der Bibel öfters genannte Berge sind das nördliche Ebal (938 Meter) und der südliche Garizim (868 Meter).



FLÜCHTLINGE UND GOTTSUCHER

Zwischen dem Bergland von Ephraim und dem von Naphtali liegt das Gebirge Gilboa. Das Judäische Bergland ist, wie schon der Name deutlich macht, eine Erinnerung an den Stammesbesitz von Juda, der mit dem Gebiet von Benjamin verbunden ist. Der Gebirgsabschnitt Benjamins endet mit dem Ölberg, der Jerusalem begrenzt. Bei Hebron steigt das judäische Gebirge mit 1028 Metern zu seiner höchsten Erhebung an. Nach Westen fällt es in Stufen zur Meeresebene ab. Die Steige von Bet-Horon (siehe Jos 10,10) war der traditionelle Weg von Jafo nach Jerusalem. Gegen Osten stürzt das Bergland in wuchtigen Wellen gegen den Jordangraben und das Westufer des Toten Meeres ab.

Da diese Seite der Berge im Regenschatten liegt, haben sie wüstenartigen Charakter. Es ist die lebensfeindliche Wüste Juda, in biblischer Zeit ein beliebter Zufluchtsort der politischen Flüchtlinge und auch der Gottessucher. Die wichtigste Verbindung zwischen dem judäischen Bergland und dem Jordangraben geht mitten durch die Wüste, von Jerusalem nach Jericho, durch das Wadi Kelt.



HÖHENKULTE UND GOTTESOFFENBARUNG

Berge sind in der Bibel nicht bloß aus der Landschaft aufragende Höhen, sondern Stätten, die eine symbolische und Gott offenbarende Bedeutung haben. Auf den Bergen wurden durch die gegebene Fernsicht Signale, Botschaften und auch Kulttermine weitergegeben (vgl. Jes 13,2; 30,17; Ri 9,7; Jes 40,9).

Die wichtigsten Bergwelten in Israel und auf der Sinaihalbinsel, die in der Offenbarungsgeschichte eine Rolle spielen, sind: Ebal und Garizim, Hermon, Horeb-Sinai, Nebo, Hor, Karmel, Libanon, Moria-Sion, Ölberg und Tabor. Der Sinai ist mit der Gottesoffenbarung und dem von JHWH gewährten Bund mit Israel, sowie mit der herausragenden Bedeutung des Mose verbunden.

Seit ältesten Zeiten sind Berge auch Zufluchtsstätten verfolgter Menschen (siehe Mt 24,16). Den Höhenkulturen und Opferstätten auf den Bergen haben die Propheten den Kampf angesagt, um den Monotheismus und den einzig legitimen Kultort JHWHs auf dem Sion zu verteidigen (vgl. Ri 5,5; Jer 51,25).



BERG ZION ALS GOTTES WOHNUNG

Der Hügel Zion, eine eigentlich unbedeutende Erhebung im Gebiet der alten Jebusiterstadt Jerusalem, wird durch den Bau des Tempels, der immer mehr zum Zentralheiligtum der Zwölfstämme wird, zur irdischen Wohnstatt JHWHs. Der Tempel auf dem Zion ist gleichsam eine Dependance des Himmels auf Erden, aber auch Mittelpunkt der Welt und die Weltachse!

In der Bibel des AT und NT werden immer wieder die Verheißungen von Gottes rettender Gegenwart verkündet, der den Zion zum Fußschemel seiner Herrlichkeit und zur Quelle des Segens für Israel und die Völker erwählt hat. Der Berg Zion wird immer mehr spiritualisiert, er bezeichnet Gottes erlösende Gegenwart inmitten seines Volkes. In der christlichen Ikonographie wird der Weltenrichter der Endzeit oft auf einem Wolkenberg sitzend dargestellt. Alle anderen Berge sind unbedeutend geworden (vgl. Mi 4,1).

Es wird uns immer mehr bewusst, und das ist wichtig für unser Bibelverständnis, dass die religiöse Sprache auf Bilder nicht verzichten kann. Die Symbole von Berg und Fels sprechen in vielen Texten der Bibel vom Schutz und der Geborgenheit bei JHWH, dem Gott Israels, zu dem wir, mit Jesus und von ihm gelehrt, „unser Vater im Himmel“ sagen dürfen.



Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016