Anglikaner willkommen in Rom

22. April 2010 | von

Im vergangenen November hat Papst Benedikt XVI. mit der Konstitution „Anglicanorum Coetibus" eine Tür Richtung Einheit aufgestoßen: Er bot übertrittswilligen anglikanischen Gruppen, also Bischöfen, Pfarrern und ihren Gemeinden, an, zur katholischen Kirche zurückzukehren und reagierte damit auf die zahlreichen Anfragen von Ang-

likanern aus verschiedenen Teilen der Welt. Sie dürfen auch nach der Konversion Elemente ihres geistlichen,

liturgischen und pastoralen Erbes beibehalten, und verheiratete Priester können als Katholiken Ordinarius werden. Für zukünftige Priesteramtskandidaten jedoch bleibt der Zölibat verpflichtend.
 





Ein selbstbewusst-kräftiger Satz eröffnet die Apostolische Konstitution „Anglicanorum Coetibus", die am

20. Oktober 2009 bei einer Pressekonferenz im Vatikan vorgestellt wurde: „In jüngster Zeit hat der Heilige Geist Gruppen von

Anglikanern gedrängt, wiederholt und inständig darum zu bitten, auch als Gruppen in die volle katholische Gemeinschaft aufgenommen zu werden. Der Apostolische Stuhl hat diese Bitten wohlwollend aufgenommen." Ungewöhnlich an der Pressekonferenz war, dass nicht Kardinal Walter Kasper eingeladen hatte, der Präsident des Päpstlichen Rats zur Förderung der Einheit der Christen, sondern der Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal William Levada. Die Journalisten erhielten als Handreichung lediglich eine umfangreiche „Nota informativa", eine übersichtliche Zusammenfassung, da der Text der Konstitution zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal vollständig ausgearbeitet war, sondern erst am 9. November veröffentlicht wurde.



Rückkehr nach Rom



Nicht einzelne Anglikaner wollen sich als Konvertiten der katholischen Kirche anschließen, sondern zwanzig oder dreißig anglikanische Bischöfe sowie Hunderte von Gruppen von Gläubigen suchen nach um Aufnahme in die katholische Kirche, so Kardinal Levada. „Die Initiative ging von verschiedenen anglikanischen Gruppen aus, die erklärten, dass sie den gemeinsamen katholischen Glauben teilen, wie er im Katechismus der Katholischen Kirche zum Ausdruck kommt, und dass sie das Petrusamt als ein von Christus für die Kirche gewolltes Element annehmen." Die Apostolische Konstitution antwortet auf dieses legitime Streben von anglikanischen Gruppen aus allen Teilen der Welt nach voller und sichtbarer Einheit mit dem Bischof von Rom, dem Nachfolger des heiligen Petrus. Wie drängend dieses anglikanische Anliegen war, zeigen die Übertrittserklärungen kanadischer und amerikanischer Gemeinden, die bereits im März geäußert wurden: Insgesamt 140 Pfarreien wollen geschlossen den Schritt nach Rom hin vollziehen.



Wir Katholiken in den deutschsprachigen Ländern haben bezüglich der Anglikaner meist nur vage Vorstellungen. Aus dem Geschichtsunterricht erinnern wir uns an den englischen König Heinrich VIII. (1509-1547) aus dem Hause Tudor, der seine Ehe mit Katharina von Aragón für ungültig erklären lassen wollte, um seine Geliebte, die Hofdame Anna Boleyn, heiraten zu können, worauf Papst Clemens VII. aber nicht einging.



Die Höflinge Heinrichs suchten damals im Kirchenrecht und in der Bibel nach einer Lösung, die dem König entgegenkam. Dieser ernannte 1533 Thomas Cranmer (1489-1556), den Hauskaplan von Anna Boleyn, der 1532 in Deutschland heimlich geheiratet hatte, zum Erzbischof von Canterbury. Ziel war die Durchsetzung seiner Scheidung und die Übertragung der obersten Leitung der Kirche von England auf den König selbst. Und tatsächlich erklärte das Parlament mit der Suprematsakte vom 3. November 1534 den König als „das oberste Haupt der Kirche von England". Damit war der Bruch mit der Kirche von Rom vollzogen. Heinrich wurde exkommuniziert. Eine reformierte katholische Kirche war entstanden, losgelöst vom Papsttum. Es folgte eine skrupellose Plünderung der Klöster (alle 825 Klöster des Landes wurden konfisziert, womit 11.000 Ordensleute heimatlos wurden), die englischsprachige Bibel fand Verbreitung, und es entwickelte sich schrittweise eine englischsprachige Liturgie. Weil sie die Suprematsakte ablehnten, starben John Fisher, Bischof von Rochester, und Thomas Morus, aus Protest zurückgetretener Lordkanzler, als Märtyrer.



Kirchengrundlage Machtmißbrauch



Prälat Walter Brandmüller, ehemals Präsident des Päpstlichen Komitees für die Historischen Wissenschaften in Rom, fasst in einem Beitrag in VATICAN 1/2010 zusammen: „Zieht man aus alldem die Summe, drängen sich Fragen auf. Sind königlicher Machtmissbrauch zum Zweck des Ehebruchs, sind Justizmorde, Grausamkeit, Bruch mit der Glaubensüberlieferung der Kirche, Bruch des Zölibats und Erschleichung der Bischofsweihe – sind all dies Bausteine, aus denen man eine christliche Kirche baut? Kann ein Gebäude, das dank dem Untertanengeist einer charakterschwachen Hierarchie aus diesem Material errichtet wurde, Bestand haben?"



Nun, es war das Zeitalter der Reformation. Mehrere nationale und konfessionelle Gemeinschaften trennten sich damals vom Römischen Stuhl. „Unter denjenigen von ihnen, bei denen katholische Traditionen und Strukturen zum Teil fortbestehen, nimmt die Anglikanische Gemeinschaft einen besonderen Platz ein", so formuliert das Ökumenismus-Dekret des Zweiten Vatikanischen Konzils (Unitatis Redintegratio 13). Diese zum Teil fortbestehenden „katholischen Traditionen und Strukturen" erleichtern natürlich das ökumenische Gespräch zwischen der Römischen und der Anglikanischen Kirche.



Mit der Apostolischen Konstitution „Anglicanorum Coetibus" vom 9. November 2009 erfolgt fast auf den Tag genau 475 Jahre nach der Suprematsakte (3. November 1534) der „Lockruf aus Rom", wie die Sonntags-FAZ vom 25. Oktober 2009 titelte. Was hatte Rom zu diesem Schritt veranlasst?



Lockruf aus Rom



Wenn einzelne Anglikaner als Konvertiten sich der katholischen Kirche anschließen, übernehmen sie auch deren Liturgie und kirchenrechtliche Verfassung. Die Apostolische Konstitution „Anglicanorum Coetibus" hat ganze Gruppen von Anglikanern im Blick, die katholisch werden wollen. Für sie können Personalordinariate eingerichtet werden (juristisch vergleichbar mit den Militärbischöfen). Damit wird ein kirchenrechtliches Modell geschaffen, das global anwendbar ist und an verschiedene örtliche Situationen angepasst werden kann. „Der Heilige Vater Benedikt XVI. hofft", so Kardinal Levada, „dass die anglikanischen Geistlichen und Gläubigen, die sich die Einheit mit der katholischen Kirche wünschen, in dieser kirchenrechtlichen Struktur die Möglichkeit finden werden, jene anglikanischen Traditionen zu bewahren, die wertvoll sind und die mit dem katholischen Glauben übereinstimmen. Insofern diese Traditionen auf unterschiedliche Weise den gemeinsam bekannten Glauben zum Ausdruck bringen, sind sie ein Geschenk, an dem die universale Kirche teilhaben kann … Unsere Gemeinschaft wird durch solche erlaubten Unterschiede gestärkt …"



Konkret ist die Möglichkeit vorgesehen, dass vormalig anglikanische verheiratete Geistliche zu katholischen Priestern geweiht werden können. „Der Papst lockt mit dem Weibe", so kommentiert Alexander Smoltczyk in seinem Beitrag „Benedikts Herbstoffensive" (Der Spiegel, 45/2009). Die Weihe verheirateter Männer zu Bischöfen dagegen ist aus historischen und ökumenischen Gründen in der katholischen und in den orthodoxen Kirchen nicht möglich. Ordinarius (also Leiter eines Personalordinariates) kann ein Priester oder ein nicht verheirateter Bischof sein.



Diese Regelungen sind nicht ganz neu. Auch bisher sind manchmal schon Gruppen von Anglikanern in die volle Gemeinschaft mit der katholischen Kirche eingetreten. Sie durften eine gewisse „korporative" Struktur beibehalten. So bei der anglikanischen Diözese Amritsar in Indien sowie bei einigen einzelnen Pfarreien in den USA. Sie behielten beim Eintritt in die katholische Kirche eine anglikanische Identität bei, im Rahmen einer sogenannten „Pastoralverfügung", die von der Glaubenskongregation angenommen und 1982 von Papst Johannes Paul II. genehmigt wurde.



Katholische Aspekte



Im Laufe der 475 Jahre hat die Kirche von England eigene Lehraussagen, eigene liturgische Bräuche und eine eigene pastorale Praxis geschaffen. Die Expansion des britischen Empires führte durch die anglikanische Missionsarbeit zum Entstehen einer Anglikanischen Gemeinschaft auf internationaler Ebene. Die Wiedervereinigung von Anglikanern und Katholiken ist niemals vergessen worden. Mitte des 19. Jahrhunderts hat die Oxford-Bewegung in England ein erneuertes Interesse für die katholischen Aspekte des Anglikanismus gezeigt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts führte Kardinal Mercier aus Belgien Gespräche mit den Anglikanern, um die Möglichkeit einer Gemeinschaft mit der katholischen Kirche in der Form eines „wiedervereinten, aber nicht absorbierten" Anglikanismus zu ergründen.



Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat sich das Klima des gegenseitigen Verständnisses weiter verbessert. Die „Anglican-Roman Catholic International Commission" (ARCIC) hat im Laufe der Jahre eine Reihe von Lehraussagen verfasst, in der Hoffnung, die Grundlage für eine volle und sichtbare Einheit zu schaffen.



Andererseits: Inzwischen werden auch Frauen zum Priester- und Bischofsamt berufen. Teile der anglikanischen Gemeinschaft weihen Geistliche, die sich öffentlich zu ihrer Homosexualität bekennen, zu Priestern und segnen Verbindungen zwischen Personen gleichen Geschlechts. „Seit Jahren schon machen sich Bischöfe und Priester der anglikanischen Weltgemeinschaft auf den Weg nach Rom. Frauenordination, Zulassung von bekennenden Homosexuellen zum Bischofsamt und die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare sind für sie nicht mehr zu übersehende Symptome einer Anpassung an den relativistischen Zeitgeist von heute, der auch tief in die Reihen der Anglikaner eingedrungen ist und diese in einen liberalen und einen der Tradition verbundenen Flügel gespalten hat", so Guido Horst.



Anerkennung statt Absorption



Am Tag der Pressekonferenz, dem 20. Oktober 2009, veröffentlichten der anglikanische Primas und Erzbischof von Canterbury, Rowan William, und der katholische Erzbischof von Westminster, Vincent Gerard Nichols, ein gemeinsames „Statement", in dem sie die vatikanische Maßnahme als notwendige Klärung bezeichnen: „Die Ankündigung dieser Apostolischen Konstitution beendet auch eine Phase der Unsicherheit für solche Gruppen, welche sich Hoffnungen auf neue Wege der allumfassenden Einheit mit der katholischen Kirche gemacht haben." – „Die Apostolische Konstitution ist weiterhin die Anerkennung der erheblichen Überschneidungen im Glauben, Lehre und Spiritualität zwischen der katholischen Kirche und der anglikanischen Tradition. Ohne die Dialoge der letzten vierzig Jahre wäre diese Erkenntnis nicht möglich gewesen …"



Sein großes Anliegen, die Einheit der Kirche, betont Papst Benedikt XVI. auch in der Apostolischen Konstitution „Anglicanorum Coetibus": „Jede Spaltung unter den in Jesus Christus Getauften verwundet die Kirche in dem, was sie ist und wofür sie existiert." Mit den Personalordinariaten schafft die Konstitution eine allgemeine rechtliche Grundlage dafür, wie anglikanische Gläubige als Gruppen (korporativ) in die volle Gemeinschaft mit der Katholischen Kirche treten können. Betroffen sind gläubige Laien, Kleriker und auch Ordensleute, also Mitglieder von Instituten des geweihten Lebens und Gesellschaften des apostolischen Lebens, die ursprünglich zur Anglikanischen Gemeinschaft gehörten.



Liturgie und Zölibat



Natürlich werden liturgische Feiern gemäß dem geltenden Römischen Ritus nicht ausgeschlossen. Das Personalordinariat hat aber die Befugnis, die Eucharistie, die anderen Sakramente, das Stundengebet und die übrigen liturgischen Handlungen gemäß den eigenen liturgischen Büchern aus der anglikanischen Tradition zu feiern, die vom Heiligen Stuhl approbiert worden sind. Damit sollen die geistlichen, liturgischen und pastoralen Traditionen der Anglikanischen Gemeinschaft lebendig erhalten werden als wertvolles Gut, das den Glauben der Mitglieder des Ordinariates nährt, als Reichtum, den es zu teilen gilt.



Wenn keine kanonischen Hindernisse vorliegen, können die ang-likanischen Diakone, Priester und Bischöfe für die heiligen Weihen in der Katholischen Kirche angenommen werden. Unverheiratete Amtsträger müssen die Verpflichtung des Klerikerzölibats befolgen. In Zukunft sollen in der Regel (pro regula) nur zölibatäre Männer zur Priesterweihe zugelassen werden. Allerdings kann der Ordinarius den Papst bitten, von Fall zu Fall auch verheiratete Männer zur Priesterweihe zuzulassen. Die Ausbildung der Weihekandidaten soll gemeinsam mit anderen Seminaristen erfolgen, besonders in den Bereichen der Lehre und der Seelsorge, wobei in eigenen Seminarprogrammen dem anglikanischen Erbe Rechnung getragen werden kann. Auch neue anglikanische Ordensgemeinschaften können errichtet werden.



Konservative Konvertiten



Wie sind diese Gruppen von Anglikanern, die sich der katholischen Kirche anschließen wollen, theologisch einzuordnen? Guido Horst beschreibt sie in VATICAN 11/2009 so: „Um es falsch, überspitzt und dennoch plakativ zu sagen: Was jetzt in die katholische Kirche strömt, sind die ‚Pius-Brüder‘ der anglikanischen Kirche: traditionsbewusst, der apostolischen Tradition verpflichtet, skeptisch gegenüber allem, was die Moderne an Relativismus und Liberalismus mit sich gebracht hat, Homo-‚Bischöfe‘ eingeschlossen … ihnen reicht Papst Benedikt XVI. jetzt die Hand." Sein Fazit: „Väterlich sammelt Papst Benedikt ein, was verloren oder abständig war. Genau das ist die Aufgabe eines Papstes und der Grund, warum dieses Pontifikat schon jetzt als historisch bezeichnet werden kann."



Die Aufregung über die Apostolische Konstitution „Anglicanorum Coetibus" hat sich inzwischen wieder gelegt, auch weil andere Schlagzeilen die katholische Kirche beschäftigen. Doch beim Papstbesuch in England im September wird dieses Thema wohl erneut aufgegriffen werden.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016