Aufgefrischte Pracht al fresco

21. Oktober 2003

Vor genau 700 Jahren begann Giotto in Padua für den Bankier Enrico Scrovegni eine Kapelle auszumalen. Er schuf damit ein Schlüsselwerk der abendländischen Kunst. In den vergangenen Jahrzehnten wurde der Freskenzyklus durch Umwelteinflüsse bedroht, doch eine aufwendige Restaurierung rüstete ihn für die Zukunft  – was auch für den Besucher nicht ohne Folgen blieb...

Nur ein paar Bushaltestellen trennen den Santo, die Basilika des heiligen Antonius, von der weltberühmten Scrovegnikapelle mit den Fresken Giottos, die als dessen bedeutendstes Werk gelten. Trotzdem: mal eben mit dem Bus hinübergefahren und geguckt - das geht nicht mehr. Eine Besichtigung ist nicht mehr so schnell und einfach zu bewerkstelligen wie noch vor wenigen Jahren. Damals löste man am angrenzenden Eremitani-Museum die Eintrittskarte und hatte unmittelbar Zutritt zur Kapelle.

Himmlischer Raum. Es ist jedes Mal wie eine Verzauberung. Gleich ist man wie von einem himmlischen Raum umfangen: tiefes Azurblau als Grundstimmung. Es füllt das mit goldenen Sternen übersäte Gewölbe aus und zieht sich durch die Bilder. Man kann dem göttlichen Weltenherrscher ins Gesicht sehen, der über dem Triumphbogen vor dem Altarraum thront. An den Wänden entlang in vierzig Bildern das Marien- und Christusleben, an der Eingangswand das Jüngste Gericht. Giotto hatte hier eine ganz neue Malweise und eine neue Räumlichkeit entfaltet. Die Körper und Formen sind nicht durch Linien herausgearbeitet, sondern durch Farben und deren helle und dunkle Abstufungen. Das alles hatte man früher in Ruhe betrachten und bestaunen können. Allerdings hatte es in den Jahren vor der aufwendigen Restaurierung, als man das Ausmaß der Schäden endlich ernst nahm, schon eine zeitliche Begrenzung für den Besuch gegeben, was aber nicht so streng gehandhabt wurde.
Gemäß dem unerbittlichen Stundenplan ist die Organisation rund um die Scrovegnikapelle ungewohnt straff für Italien. Der Schutz der Fresken gebietet es. Was ihnen besonders zu schaffen gemacht hatte, waren nicht die 700 Jahre seit ihrer Entstehung, auch nicht die Bomben des Zweiten Weltkriegs, die nur wenige Meter weiter in die Eremitanikirche einschlugen und dort die Fresken Mantegnas zerstörten, sondern die letzten Jahrzehnte: die Massen an Besuchern, die durch Atem und Haut Feuchtigkeit verströmten, und natürlich der Verkehr. Der braust nämlich unermüdlich neben der kleinen Grünanlage, die das Kapellchen umgibt, und umnebelt es mit giftigen Abgaswolken.

Zutritt durch atmosphärische Schleuse. Eine Journalistin beschrieb es so: “Die Zerstörung kam leise. Jahre vergingen. Wasser drang in die Farbschichten. Darin gelöst giftige Salze aus den Auspuffen der Autos. Kristalle erblühten an der Oberfläche oder - noch schlimmer - im Inneren des Putzes und sprengten wie kleine Bomben die Farbschichten. An einigen Stellen hatten die Salze den Kalk schon zu Gips verwandelt. Die Farben hatten keinen Halt mehr, ganze Platten lösten sich von der Wand.“ Diese fortschreitende Zerstörung wurde nun endlich aufgehalten.
Schon vor der Restaurierung wurde die Kapelle vor der Außenwelt luftdicht abgeschlossen. Der vordere Zugang ist nun gesperrt, stattdessen kommt man durch die Sakristei ins Innere, was natürlich den ersten Eindruck verändert. Der Sakristei ist ein gläserner Anbau vorgelagert, ausgerüstet mit einem ausgeklügelten Schleusensystem, so dass keine Luft ungefiltert von außen nach innen gelangt. Bevor man die eigentliche Kapelle betritt, muss man sich erst in einem Vorraum dem künstlich erzeugten Raumklima anpassen, unter dem die Fresken möglichst lange am Leben gehalten werden sollen.

Behutsam ergänzt. Mit der Restaurierung waren diejenigen betraut, die schon die vom Erdbeben heimgesuchten Fresken in Assisi gerettet hatten. Mit Kunstharzen zogen sie die Salze aus dem Putz. Durch Einspritzungen verbanden sie die Farben wieder mit dem Untergrund. Verlorenes suchten sie weder gemäß dem Ursprungszustand herzustellen, noch ließen sie hässliche Lücken. Vielmehr ergänzten sie durch unauffällige Farbfelder in schraffierender Malweise. So entstand ein wohltuender Gesamteindruck, der aber nicht die nachträglichen Arbeiten vertuscht.
Das alles ist nun seit März vergangenen Jahres in frischem, kühlen Licht zu bewundern, das vom Boden her den Raum durchflutet, jedoch so, dass es nicht blendet. Man konnte lesen, mit der Restaurierung sei die sakrale Aura des Ortes verloren gegangen. Doch schon früher diente die Kappelle nur noch als Museumsraum und nicht mehr dem Gebet. Mit der neuen Besuchsordnung ist dem Ort eine Art säkulare Weihe gegeben, die eine säkulare Form von Andacht hervorbringt: die Zeit in Sammlung zu nutzen.

Überwältigend detailreich. Sie reicht kaum, alles überhaupt nur zu erfassen. Da sind ja neben den augenfälligen Bildfolgen noch so viele Beigaben. Die Bilder sind eingefasst von Ornamentrahmen. Diese Rahmen und das Himmelsgewölbe sind geziert von Halbbüsten, darauf Propheten, Apostel und Heilige. Auf längs verlaufenden Bändern sind Episoden des Alten Testamentes den nebenstehenden Bildern aus den Evangelien zugeordnet. Am Sockel finden sich zwischen Marmortafeln in Marmornischen Marmorfiguren – gemalter Stein - die Tugenden und Laster, paarweise gegenüberstellt.
Um die Fresken einfach zu genießen, muss man nicht allzu viel wissen. Aber um die wertvollen Besuchsminuten, die immerhin elf Euro kosten, nicht darauf zu verschwenden, erst den Inhalt der Bilder mühsam zu entziffern, ist es gut, das Bildprogramm in den Grundzügen zu kennen. Vorbereiten kann man sich zuhause anhand von Büchern oder vor Ort in einem Mulitimediaraum.
An der Kapelle sollte man pünktlich zur auf der Eintrittskarte angegebenen Zeit sein. Denn die Schleusen öffnen sich viertelstündlich für jeden Besucherschub nur einmal. Wer das verpasst, dessen Eintrittskarte verfällt...

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016