Bilder, die man hören kann

22. November 2004

Weil sie für ein Bild von Paul Klee 1919 stolze 300 Schweizer Franken bezahlt hatte, erwog die Familie, Hanni Bürgi unter Vormundschaft zu stellen. Doch die Bernerin setzte sich durch und infizierte sogar ihren Sohn mit dem Sammelvirus. Auf Initiative Rolf Bürgis wurde 1947 die Paul-Klee-Stiftung in Bern gegründet. Und nun soll im Juni 2005, wenige Monate nach dem 125. Geburtstag des Künstlers, in Bern das vom Stararchitekten Renzo Piano entworfene Paul-Klee-Zentrum eröffnet werden. Rund 400 Arbeiten aus der Stiftung und aus Familienbesitz erhalten darin den würdigen Rahmen.

Musiker oder Maler. Klee, dessen Oeuvre  zu den komplexesten des 20. Jahrhunderts zählt, arbeitete als  Graphiker, Glasmaler, Zeichner, Aquarellist und Maler. Er experimentierte mit den unterschiedlichsten Trägermaterialien und Bildtechniken, liebte das Spiel mit Zeichen und Chiffren. Sein Stil ist keiner Kategorie zuzuordnen. Wer seine Arbeiten etwa mit dem Etikett “Konstruktive Kunst“, mit den Attributen “lyrisch“ oder “analytisch“ versieht, trifft nur Teilaspekte seines künstlerischen Universums.
Paul Klee kam am 18. Dezember 1879 in Münchenbuchsee unweit von Bern zur Welt. Die Mutter Ida Klee war Sängerin, Vater Hans Klee unterrichtete Musik am Lehrerseminar. Auch der Sohn war hochmusikalisch. Auf der Städtischen Literarschule in Bern war Paul wegen seiner Karikaturen bei den Mitschülern beliebt, für sein Geigenspiel aber wurde er bewundert. Obwohl der vielseitig Begabte sich schließlich für eine Karriere als bildender Künstler entschied, blieb Musik ein Teil seines Lebens.
Das Kunststudium führte ihn von Bern nach München, und in Deutschland sollte er auch den größten Teil seines Lebens verbringen. Im Herbst 1900 trat er in die Münchener Akademie ein. Eine Italienreise machte ihn mit Gotik und Frührenaissance vertraut. Ihn beeindruckte die byzantinische und mittelalterliche Malerei ebenso wie die Architektur, die ihm als eine Inkarnation “verborgener Zahlenverhältnisse und Kompositionsgesetze“ erschien.

Tunesiens starke Farben. 1906 heiratete er die Münchener Pianistin Lily Stumpf, Sohn Felix wurde im November 1907 geboren. 1911 machte Klee die Bekanntschaft von Wassily Kandinsky und dem Kreis des “Blauen Reiters“. Schon ein Jahr später beteiligte er sich an einer Ausstellung der Künstlergruppe. Im April 1914 reiste er dann mit August Macke und Louis Moilliet nach Tunis und Kairouan. Paul Klee, inzwischen ein Meister der rhythmisch bewegten und aussagekräftigen Linien, trafen die Farben des Morgenlandes ins Innerste. Vor den Toren Kairouans notierte er in sein Tagebuch: “Die Farbe hat mich. Ich brauche nicht nach ihr zu haschen, sie hat mich für immer, ich weiß das.“
Die Beziehung der natürlichen Welt zum Kosmischen beschäftigte ihn zunehmend. Werke wie die “Lachende Gotik“ (1915) oder die “Himmelssäule“ (1917), wo Sonne, Mond und Sterne die Weite des Alls bewohnen und unter den Augen des Schöpfers geborgen scheinen, entstanden. Diese Flucht in die Innerlichkeit vermochte nicht von der Realität des Ersten Weltkrieges abzulenken, obwohl Klee als Bemaler in der Flugwerft Schleißheim und später als Kassenverwalter einer Fliegerschule fern der Front lebte. Der Tod seines Freundes Franz Marc, der am 4. März 1915 in Verdun fiel, erschüttert ihn tief. Ein Selbstporträt aus dem Jahr 1919 zeigt ein nach innen gerichtetes Antlitz mit geschlossenen Augen, verkniffenem Mund.

Vibrierende Formen. Doch dann begann sein Werk wieder aufzublühen. Neben dem Aquarell widmete er sich meist kleinformatigen Ölbildern. Ihre Farbigkeit, losgelöst von der Realität, weckt Emotionen. Nächtliche Häuser glühen, Städte schweben, Farbe und Form vibrieren, besitzen eine zarte Musikalität. 1920 wurde Paul Klee von Walter Gropius als “Formmeister“ für Glasmalerei an das Bauhaus von Weimar berufen. In Kasimir Edschmids Anthologie “Schöpferische Confession“ erschien ein erster kunsttheoretischer Essay Paul Klees. “Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar“, ist wohl der daraus meistzitierte Satz.
Und noch einmal zog es Klee in den Orient, 1928/29. Nach den starken Farben Tunesiens waren es in Ägypten nun die Weite des Raums, das Licht der Wüste, die Proportionen der gewaltigen steinernen Monumente, die ihn faszinierten.
1931 verließ Paul Klee das nach Dessau verlegte Bauhaus, um an der Düsseldorfer Kunstakademie zu lehren. Doch die Nazidiktatur warf bald ihre Schatten auf die moderne Kunst. 1933 musste er die Stadt verlassen. Mit Unterstützung von Rolf Bürgi konnte er in die Schweiz ausreisen. Vier Jahre später wurden 102 Klee-Werke in deutschen Museen beschlagnahmt, 17 davon in der Ausstellung “Entartete Kunst“ 1937 in München gezeigt.
 
Diesseitig nicht fassbar. Wieder in Bern, blieben ihm, dessen Gesundheit durch Sclerodermie, eine schwere Autoimmunkrankheit, beeinträchtigt wurde, noch sieben Schaffensjahre. Neben monumentalen Flächen, beseelt mit Farbe und Form in rhythmischer Gliederung, tauchten bekannte Motive wie Inseln, Häfen, Pflanzen und menschliche Gestalten auf, aber auch geisterhafte Masken und lächelnde Engel. Am 21. Juni 1940 starb Paul Klee in Locarno-Muralto im Tessin. Auf seinem Grabstein ein Gedicht aus eigener Feder: “Diesseitig bin ich gar nicht fassbar. Denn ich wohne gerade so gut bei den Toten, wie bei den Ungeborenen. Etwas näher dem Herzen der Schöpfung als üblich. Und noch lange nicht nahe genug.“

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016