Bilder einer Freundschaft

23. September 2010

 Zwischen Franziskus und Klara bestand eine große Anziehung, die aber nicht erotischer Natur war. Man könnte ihre besondere Beziehung eher als Wahlverwandtschaft bezeichnen. Beide hatten die gleiche Wahl getroffen: Gott. Zu ihm führte sie der Weg des Evangeliums – und sie gingen ihn gemeinsam, sich gegenseitig stützend.



 

Als die 18-jährige Clara di Offreduccio am Palmsonntag 1212 den elterlichen Palast verließ, um zu Franziskus und seinen Brüdern nach Portiunkula zu gehen, gehorchte sie nicht einem plötzlichen Einfall, sondern einem inneren Ruf, der sich im Laufe der Zeit verstärkt hatte. Sie hatte den Predigten des Franziskus im Dom San Rufino gelauscht und fühlte sich von seinem Leben angezogen. Zusammen mit ihrer Freundin Bona traf sie sich heimlich mit Franziskus und dessen Mitbruder Phi-lippus, um mit ihm über ihre Berufung zu sprechen. Dies müssen Begegnungen gewesen sein, in denen der Geist des Herrn, der Heilige Geist, der Geist der Liebe, anwesend war. Nur so ist es zu erklären, dass diese beiden jungen Menschen (Klara 18 Jahre alt, Franziskus etwa 27 Jahre alt), die sich auch menschlich gerne hatten, nicht aneinander hängen blieben, sondern den Ruf des Herrn klärten und ihre Sendung fanden. Franziskus war schon ganz von Jesus ergriffen. Das können wir aus der Nichtbullierten Regel herauslesen: „Nichts anderes wollen wir darum ersehnen, nichts anderes wollen, nichts anderes soll uns gefallen und erfreuen als unser Schöpfer und Erlöser und Retter, der allein wahre Gott, der ist die Fülle des Guten, alles Gute, das gesamte Gut, das wahre und höchste Gut, der allein gut ist, gnädig, milde, süß und freundlich, der allein heilig ist ..." (NbReg 23,9).



Seelenverwandt



Klara hatte auch schon eine persönliche Beziehung zu Jesus Christus gefunden. Die Begeisterung des Franziskus fiel bei ihr auf fruchtbaren Boden. Sie wollte Christus gehören und ihren Leib zu seinem Heiligtum machen. Klara vertraut sich ganz dem Franziskus an und „bestellte ihn nächst Gott zum Lenker des von ihr eingeschlagenen Kurses. Seitdem hing ihre Seele an seinen Ermahnungen, und was immer er von Jesus vorbrachte, nahm sie mit glühender Seele auf" (Celano, Leben der heiligen Klara, 6).

„Kleine Pflanze des seligen Vaters Franziskus" nennt Klara von Assisi sich selbst. Sie ist ohne Franziskus nicht zu verstehen. Als Klara am Ende ihres Lebens zurückschaut und in ihrem Testament ihren geistlichen Weg betrachtet, schreibt sie: „Als Franziskus bemerkte, dass wir körperlich gebrechlich und schwach seien, dennoch aber vor keiner Not, Armut, Beschwernis, Mühsal oder Niedrigkeit und Geringschätzung der Welt zurückscheuten, ja, dass wir dies für eine große Wonne hielten, wie er selbst nach dem Beispiel der Heiligen und ihrer Brüder häufig festgestellt hatte, da empfand er darüber große Freude im Herrn. Und von Liebe zu uns bewegt, verpflichtete er sich, immer um uns wie für seine Brüder fleißig Sorge zu tragen und auf besondere Weise um uns besorgt zu sein … (Klara, Testament 27-29).



Beziehungsbilder



Freundschaftliche Bande kennzeichnen die Beziehung zwischen Klara und Franziskus. Wir dürfen sie nicht einseitig sehen, so, als sei Franziskus der große Meister gewesen und Klara die kleine Schülerin. Als Klara den Weg zu Franziskus beziehungsweise zur Lebensform nach dem Evangelium gefunden hatte, galt es, dieses Leben konkret auszugestalten. In wiederholten Unterredungen fanden sie gemeinsam, schrittweise die neue Lebensform. Beide Heilige haben eine tiefe, intensive, unvergessliche Anziehung aufeinander ausgeübt. Wer die Beziehung zwischen Franziskus und Klara anhand von Bildern kennenlernen will, wird auf verschiedene Motive stoßen.

Die ältesten Franziskusdarstellungen sind Tafelbilder mit Szenen aus seinem Leben. Wir haben schon die Franziskusretabel aus der Bardi-Kapelle in Florenz kennengelernt. Das gleiche gilt für die heilige Klara. Das wohl älteste Tafelbild der Heiligen stammt aus dem Jahr 1283 und befindet sich in ihrer Grabeskirche in Assisi. Oft wird es dem Maler Cimabue zugeschrieben. Es stammt aber vom sogenannten Meister der heiligen Klara. Es zeigt die Heilige stehend; zu ihrer Rechten und Linken finden wir jeweils vier Szenen aus ihrem Leben. Auffällig an diesen Tafelbildern ist, dass die beiden Heiligen für sich allein dargestellt werden, ohne Bezug zueinander.

Bei näherem Hinsehen gibt es dann doch auch auf dem Tafelbild der Klara zwei Szenen, die eine Verbindung von Franziskus zu Klara darstellen. In der Nacht des Palmsonntags verlässt Klara heimlich ihr Elternhaus und eilt zu Franziskus, der sie mit seinen Brüdern in der Portiunkulakapelle erwartet. Die zweite Szene zeigt, wie Franziskus der 18-jährigen Klara ihr langes Haar abschneidet und sie mit dem grauen Gewand der Minderbrüder einkleidet. Auf diesem Bild stehen Franziskus und Klara nicht auf Augenhöhe hintereinander: Klara kniet in Orantenhaltung auf dem Boden, Franziskus steht aufrecht hinter ihr und wirkt wie ein geistlicher Vater und Meister. Später kommt die menschliche Beziehung zwischen Franziskus und Klara in der Kunst meisterhaft zum Ausdruck. In dem berühmten Freskenzyklus des Malers Giotto in der Oberkirche von San Francesco in Assisi, gemalt um 1300, beweinen die armen Frauen von San Damiano ihren Ordensvater und Bruder und nehmen Abschied von ihm. Wir wissen, dass am Tag nach dem Heimgang des Franziskus

(4. Oktober 1226), frühmorgens ein riesiger Trauerzug Portiunkula verließ und den Weg nach San Damiano nahm. Dort öffnete man das kleine Fenster, durch das Klara und ihre Schwestern gewöhnlich den Leib des Herrn im Sakrament empfingen, und man brachte den Leichnam des Franziskus dorthin.



eins in Christus



„Und siehe, es erschien die Herrin Klara, eine wirklich Strahlende durch ihre Heiligkeit und ihre Verdienste, die erste Mutter der übrigen Jungfrauen …" (1 Cel 116). Klara kam mit ihren Schwestern. In ihrem Leid seufzten und klagten sie. Sie fragten, was trägst du uns auf, was sollen wir tun, wer wird uns trösten, wer wird uns bestärken. Die Schwestern „waren zwischen Trauer und Freude geteilt und küssten die hellstrahlenden Hände des Vaters" (1 Cel 117). In diesem Bild Giottos liegt viel von der Herzensbeziehung der beiden Heiligen.

Die Dillinger Franziskanerin Animata Probst malte einen Franziskuszyklus, der die lebendige Beziehung zwischen Franziskus und Klara auch zum Ausdruck bringt. Franziskus reicht Klara das Ordenskleid wie einen kostbaren Schatz. Die beiden werden hier eine Einheit durch das Gewand. Es ist, wenn wir am Brief des Apostels Paulus an die Galater anknüpfen, ein Zeichen für Christus. Franziskus hat Christus schon angezogen. Er trägt das Ordensgewand. Und Klara, die noch in ihrem kräftig roten Gewand kniet, wird nun auch Jesus Christus als Gewand anziehen. Sie werden eins in Christus. Das wird auf unserem Bild noch verdeutlicht durch den Kreis, der sie umgibt. Sie bilden die Mitte einer herrlichen Blume. Ist es eine rote Rose, das Symbol der Liebe?

Eine solch große und selbstlose Liebe wird fruchtbar. Auch das wird an unserem Bild deutlich. Die Blume trägt Früchte. Es sind wohl die Brüder und Schwestern des Franziskus und der Klara.



Loslassen heißt empfangen



Sicher war die Beziehung zwischen Franziskus und Klara nicht von Anfang an fertig. Sie mussten einen Klärungs- und Wandlungsprozess durchlaufen. Es war ein Ringen, in dem nicht das persönliche Sehnen und Wünschen das letzte Wort hatte, sondern der Herr. Beider Ziel war ein glaubwürdiges Leben in seiner Nachfolge. Von dem Zeitpunkt an, an dem einer den anderen losgelassen und an den Herrn zurückgegeben hatte, durften sie erfahren: Der Herr lässt sie emotional nicht verhungern, sondern beschenkt sie großzügig. Sie klammern nicht ängstlich aneinander, sondern dürfen einander als Geschenk vom Herrn empfangen.



Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016