'Christus rechnet mit euch!'

28. Juli 2009

 Seit dem 19. Juni richtet die Kirche mit ihrem weltweiten „Jahr des Priesters" den Blick auf die Bedeutung der priesterlichen Sendung und stellt sich den Herausforderungen, vor denen Priester heute stehen. Angesichts zurückgehender Berufungen haben sie ein stetig wachsendes Arbeitspensum zu bewältigen und immer weniger Zeit für die konkrete Seelsorge in der Gemeinde.



 „Trotz des Übels, das es in der Welt gibt, sind die Worte Christi an seine Apostel im Abendmahlsaal stets aktuell: „In der Welt seid ihr in Bedrängnis; aber habt Mut: Ich habe die Welt besiegt" (Joh 16,33)." Mit diesen Worten bestärkte Papst Benedikt XVI. die weltweit rund 404.000 katholischen Priester in ihrer Aufgabe zum Auftakt des internationalen Priesterjahres, das am 19. Juni 2009 begann. Er machte ihnen Mut für ihren Alltag: „Der Glaube an den göttlichen Meister gibt uns die Kraft, vertrauensvoll in die Zukunft zu schauen."



Dieses besondere „Jahr des Priesters" steht unter dem Motto: „Treue in Christus – Treue des Priesters" und endet mit dem Weltpriestertreffen am 19. Juni 2010 auf dem Petersplatz in Rom. Unmittelbarer Anlass ist der 150. Todestag des heiligen Pfarrers von Ars, Jean-Baptiste Marie Vianney, den Benedikt XVI. während des Jubiläumsjahres zum „Schutzpatron aller Priester der Welt" ausruft.



War es Zufall, war es Fügung, dass ich gerade in der Zeit der Ankündigung dieses Jubiläums, Mitte März, ein Gespräch mit einem etwa 40-jährigen Priester hatte, bei dem er mir sein Herz ausschüttete? Er ist Priester mit Leidenschaft. Seine Gottesdienste sind sehr gut besucht. Inzwischen hat er sechs selbständige Gemeinden. In einem Nebensatz äußerte er: „Ich weiß, dass ich meinen Altersruhestand nicht erleben werde." Ich meinte, er denke wohl daran, dass in Zukunft Priester auch über das 70. Lebensjahr hinaus im Amt bleiben sollten. „Nein", klärte er auf, „wir werden verheizt." Mehr als 240 Abende des Jahres seien im Voraus durch Sitzungen verplant. Inzwischen habe er vier Hörstürze und einige Koliken erlitten. „Ich rechne damit, dass ich zwischen meinem 50. und 55. Lebensjahr einen Herzinfarkt haben werde", so seine bittere Prognose. Offensichtlich ist er persönlich für diese Opfer bereit. Was ihn traurig mache, sei die Tatsache, dass sein Leben auf einen jungen Mann, der sich für den Priesterberuf interessiert, eher abstoßend wirke. Er sagt: „Ich kann nach keinem Gottesdienst oder einer kirchlichen Veranstaltung bei den Gläubigen bleiben, ich muss schon wieder wegeilen und den nächsten Termin wahrnehmen."



Wertvolle Initiative



Wie wichtig es ist, in unseren Zeiten mit diesem Jubiläumsjahr den Priestern Mut für den Alltag machen, hat auch Erzbischof Zollitsch, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, betont. Er begrüßte die Initiative des Papstes: „Ich danke dem Heiligen Vater …, denn wir brauchen eine Zeit, in der wir uns ganz besonders mit dem Amt des Priesters beschäftigen." Es sei wichtig, Auftrag und Sendung des priesterlichen Dienstes zu reflektieren. „Es wird eine Chance sein, den Priesterberuf in all seiner Schönheit wieder neu ins Bewusstsein zu bringen und damit auch junge Menschen zu ermutigen, sich dem Anruf Gottes zu stellen und ihre eigene Berufung zum Priester zu entdecken."



Der Präsident von „Kirche in Not", Pater Joaquín Alliende, dankte ebenfalls dem Papst. Er drückte den Wunsch aus, dass dieses Priesterjahr „ein Jahr großer Dankbarkeit für die Priester und ihre Berufung und eine neue Entdeckung der priesterlichen Identität für die Priester selbst, aber auch für die ganze Kirche" sein möge. Der Priester sei „nie allein", heißt es in seinem Schreiben weiter, sondern er lebe „in einer wesentlichen Bindung an Christus, der mit ihm alles teilt, alle seine Schätze, aber auch seine Einsamkeit und sein Opfer für die Erlösung der Welt". Auch die argenti-

nischen Bischöfe wünschen sich, dass das Priesterjahr der Erneuerung der Glaubensfreude dient. Sie erinnern die Seelsorger daran, dass „das Priesteramt ein Amt der Liebe ist – einer Liebe, die wir empfangen haben und weitergeben sollen –, das jeden Tag durch die Feier der Eucharistie und die Hingabe des eigenen Lebens bis zum Äußersten erneuert wird".



Das Zweite Vatikanische Konzil hat ein eigenes Dekret über den Dienst und das Leben der Priester (Presbyterorum Ordinis) verabschiedet. In diesem Dekret steht in Art. 9 eine grundlegende Aussage: „Mit allen, die wiedergeboren sind im Quell der Taufe, sind die Priester Brüder unter Brüdern, da sie ja Glieder ein- und desselben Leibes Christi sind, dessen Auferbauung allen anvertraut ist." Das besondere Priestertum hat also seinen Wurzelgrund im allgemeinen Priestertum aller Gläubigen, es steht in der Kirche, nicht über der Kirche. Jahrhundertelang stand der Priester als geweihter Mann Gottes über dem Volk, war vielfach vom Volk isoliert. Von allgemeinem Priestertum also keine Spur.



Das priesterliche Dienstamt wird im Zweiten Vatikanischen Konzil von der Sendung Jesu Christi her begründet. Die Priesterweihe stattet den Priester mit jener Vollmacht aus, mit der Christus selbst seinen Leib, die Kirche, auferbaut, heiligt und leitet. Der Priesteramtskandidat wird in diesem Sakrament durch die Salbung des Heiligen Geistes mit einem besonderen Prägemal gezeichnet und er wird auf diese Weise dem Priester Christus gleichförmig, so dass er in der Person des Hauptes Christus zu handeln vermag (Art. 2). Der Priester handelt nicht an Christi statt, so als sei Christus abwesend. Nein, im Amtshandeln des Priesters ist der erhöhte Herr Jesus vielmehr selbst anwesend und am Werk. Wir sagen: Der Priester handelt „in der Person Christi".



Brüder unter Brüdern



Das bedeutet, der Priester macht durch die Ausübung seines Amtes Jesus Christus selbst stellvertretend sichtbar und erinnert dadurch die Gemeinde daran, dass sie nur in der Begegnung und Verbindung mit Jesus Christus gemäß der Heilsordnung vor Gott steht. Der Priester ist der Erlösung bedürftig wie das Volk Gottes selbst und steht somit mitten im Volk Gottes; als Repräsentant Christi steht er der Gemeinde gegenüber; aber niemals über ihr. Der Priester muss also nach zwei Seiten ganz offen sein: Offen für Gott, damit er Gottes Geist in die Welt bringt, und offen für die Welt, damit er sie zu Gott zurückführt.



„Man könnte an dieser Stelle weiter schwelgen", schreibt der Vatikanjournalist Guido Horst, „Stoff gibt es genug, um Bedeutung, Glanz und Tiefe dieses Priesterjahrs mit den schönsten Worten herauszustreifen... Aber einmal ehrlich: Sind es nicht ganz andere Töne, die gerade aus dem deutschsprachigen Raum zu hören sind, wenn es um Priester geht? Der Papst selber sprach vom ‚Beißen und Zerreißen’ innerhalb der Kirche, als er im März dieses Jahres an die Bischöfe der Weltkirche schrieb." Wie viele Krisen gibt es? Glaubenskrise, Familienkrise, die Krise zwischen Jugend und Kirche und die vielen Probleme der Kirche und Priester selbst. Da ist der Mangel an Hoffnung und der Mangel an Disziplin.



Aufreibende Strukturen



Mit der Zusammenlegung von Pfarreien zu Seelsorgeeinheiten beziehungsweise Pfarrgemeinschaften ist die Situation des einzelnen Priesters nochmals schwieriger geworden. Anonymisierung, Entpersönlichung der Seelsorge, Verschwimmen der persönlichen Verantwortung, Verlust eines dauerhaften Ansprechpartners sind die Folgen einer solchen Strukturreform in zahlreichen Diözesen.



Hören wir Pfarrer, die Pfarrgemeinschaften vorstehen: „Die Gefahr liegt darin, dass der Priester als eigener Hirte mit seiner Verantwortung immer mehr zurücktritt hinter Entscheidungen des Gesamtteams. Der Pfarrer zum Anfassen, mit dem man über seine Sorgen sprechen kann, verschwindet immer mehr. Er muss fragen, ‚wie ist es im Team’, und kann oft keine selbständige Entscheidung treffen." Ein anderer Seelsorger betont: „In einer Zeit, in der die Pluralisierung und Entpersönlichung in allen Bereichen der Gesellschaft recht groß ist, möchten die Gläubigen heute einen konkreten Hirten haben, nicht nur einen Glauben, ein Christentum, sondern einen Hirten, in dem das in Person zusammenkommt. Die Strukturreformen zielen eher darauf ab, dass das eigentliche Charisma und die Aufgabe des Priesters immer mehr verschwinden."



„Es ist sicherlich gerade heute eine enorme Chance, dass in einer Person Repräsentation Gottes (dass Gott durch eine Person sichtbar wird) möglich ist", meint ein anderer Priester. „Das spüren die Menschen, gerade diejenigen, die der Kirche eigentlich fern stehen, aber ein geistliches Anliegen haben, dass sie im Priester einer Person begegnen, durch die Gott handelt. Das ist das Charisma des Priesters, nach dem heute viele Menschen suchen, und das sie auch ganz gerne in Anspruch nehmen."



Immer weniger berufen



Nach dem sogenannten Papstjahr 2005 und dem Weltjugendtag in Köln haben manche Christen auf ein neues Interesse am Glauben und auf mehr Kandidaten für den priesterlichen Dienst in der katholischen Kirche gehofft. Wie das Freiburger Zentrum für Berufungspastoral im Mai 2009 mitteilte, haben sich die Erwartungen nicht erfüllt. Ein weiterer „massiver Rückgang" sowohl bei Priesterweihen als auch bei Neueintritten in die Seminare muss registriert werden. Hierbei handelt es sich keineswegs nur um deutsche oder westeuropäische Probleme. Das sind ernüchternde Erkenntnisse, die im „Priesterjahr" reflektiert werden müssen. Ein Lösungsansatz ist die verstärkte Einbindung gläubiger Laien in die Gemeindearbeit. Papst Benedikt XVI. betont in seinem Brief zum Priesterjahr, dass die Zusammenarbeit zwischen Laien und Priestern wichtig sei und dass sie immer mehr auf die „gläubigen Laien auszudehnen ist, mit denen die Priester das eine priesterliche Volk bilden und in deren Mitte sie leben …"

Allgemein bekannt ist, dass verschiedene Vorschläge für eine Reform des Priestertums im lateinischen Teil der katholischen Weltkirche vorliegen, um mehr Berufungen zu haben. Dazu gehört auch die Frage der Ehe oder Ehelosigkeit des Gemeindepriesters, ähnlich wie in den orthodoxen oder denen mit Rom verbundenen Ostkirchen. Im Volk Gottes scheint die Möglichkeit der Eheschließung von Priestern längst akzeptiert, vielleicht sogar gewünscht zu sein. Doch die oberste Kirchenleitung sträubt sich weiter, das überhaupt einmal intensiv zu diskutieren. Man weist auf neue Probleme hin, die dann auftauchen könnten, wie zum Beispiel Ehescheidungen unter Pfarrern. Ein Abwägen der Risiken ist sicher notwendig. Am größten allerdings ist das Risiko, in einen Strudel zu geraten, der die Gemeinden durch Gläubigenmangel und Priestermangel spirituell aushungert.



Die Zusammenlegung von Pfarrgemeinden zu größeren Einheiten führt schon jetzt zu einem massiven Einbruch der Glaubens-praxis. Doch inzwischen ist auch die Substanz in Frage gestellt, das wertvollste unseres katholischen Glaubens: die Sonntagsmesse in der Gemeinde. Die Eucharistie, unsere Lebensquelle und Wegzehrung, steht auf dem Spiel. Das Problem hat viele Seiten. Nur ein Beispiel: Wird das zentrale Geheimnis unseres Glaubens und die Glaubensentwicklung blockiert durch ein Festhalten an einem Priesterbild, das veränderbar ist? Oder konkret gefragt: Darf man, um den Zölibat der Diözesanpriester zu erhalten, vielen Gemeinden die sonntägliche Eucharistiefeier vorenthalten? Manche Modelle, wie zum Beispiel die „viri probati" (verheiratete Männer, die sich aufgrund ihrer Lebensweise bewährt haben und zum Diakon geweiht werden können), sind lange bekannt. Die katholische Zeitschrift „Christ in der Gegenwart" schreibt: „Die Kirche – wir alle sind Kirche – hat jedoch ihre eigenen Hausaufgaben zu machen: In der Eucharistiekrise manifestiert sich die Gotteskrise. Nirgendwo sonst braucht das Volk die Autorität wie die Entschlusskraft des obersten Lehramts für Reformen momentan so dringend, wie hier, beim Geheimnis des Glaubens."



Prioritäten setzen



Was muss sich ändern, damit die Priester trotz erhöhten Arbeits-pensums und weniger Zeit für persönliche Seelsorge ihr Zeugnis für das Evangelium in der Welt wirksamer leben können? Zunächst gilt: Wie der Priester lebt, ist wichtiger als das, was er als Priester tut. Der Priester braucht also auch Zeit zum Gebet, zur Umkehr und Beichte, deshalb sollte er die Termine reduzieren und Arbeit an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter delegieren. Um überzeugend Zeugnis ablegen zu können, ist es wichtiger, an wenigen Punkten ganz und ausstrahlend da zu sein, als an allen Punkten eilig und halb. Verletzt der Priester so nicht das Prinzip der Gleichheit? Haben nicht alle einen Anspruch auf ihn? Es erfordert ein Umdenken, die Präsenz der Kirche nicht mit der Präsenz des Pfarrers gleichzusetzen. Priesterliche Allgegenwart im Gemeindeleben ist nicht möglich. Peter Birkhofer, Leiter des Berufungszentrums der Deutschen Bischofskonferenz, erhofft sich vom Aktionsjahr, dass sich die Kirche wieder darauf konzentriert, was die zentralen Charakteristika des Priesteramtes sind. „Bin ich Gemeindemanager, oder geht es darum, mit meinem ganzen Leben und brennender Leidenschaft für die Nachfolge Jesu einzutreten?"



Papst Benedikt XVI. bekräftigte die Priester anlässlich des Jubiläumsjahres in ihrer eigentlichen Sendung: „Liebe Priester, Christus rechnet mit euch. Nach dem Beispiel des heiligen Pfarrers von Ars lasst euch von ihm vereinnahmen, dann seid in der Welt von heute auch ihr Boten der Hoffnung, der Versöhnung und des Friedens!"



 

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016