Cidade maravilhosa - wunderschöne Stadt

25. Februar 2015 | von

„Cidade Maravilhosa“ ist der Spitzname Rio de Janeiros und ein beliebtes Lied, das gerne zur Karnevals-Saison die Schönheit der Stadt besingt. Seit ihrer Gründung am 1. März 1565 liegen 450 Jahre bewegter Geschichte hinter der „Schönen“, von der portugiesischen Kolonialherrschaft bis zur heutigen Millionenmetropole. Doch abseits des Luxus prägen Kriminalität, Armut und Ungerechtigkeit den Alltag vieler Bewohner. Auch dies gehört zum Stadtbild der südamerikanischen Perle am Atlantik.



„Das Licht, das von Cristo del Corcovado Redentore ausstrahlt, erleuchte die Herzen aller Brasilianer!“, so die guten Wünsche von Papst Franziskus zum Jubiläumsjahr 2015 in einer Videobotschaft an die Bewohner von Rio de Janeiro anlässlich des 450-jährigen Bestehens der Stadt. Gemeint ist das Wahrzeichen Rios, die 30 Meter hohe Statue des Cristo Redentor, der vom 710 Meter hohen Berg Corcovado (der Bucklige) die Arme ausbreitet. Mit paradiesischen Stränden, allen voran die Copacabana, und landschaftlichen Attraktionen wie dem Zuckerhut, lockt Rio Touristen in die südamerikanische Metropole. 



AM FLUSS DES JANUAR

Die Statue Christus Erlöser war zum Anlass des 100-jährigen Jubiläums der Unabhängigkeit in Auftrag gegeben worden. 1822 war der portugiesische Hof in seine Heimat Europa zurückgekehrt, und Brasilien wurde zum unabhängigen Kaiserreich erklärt, mit Rio de Janeiro als Hauptstadt. Den Hauptstadtstatus musste Rio 1960 zwar an Brasília abtreten, dennoch bleibt die Stadt seit ihrer Gründung ein wichtiges Zentrum des brasilianischen Handels.

Schon um 1500 hatten die portugiesischen Kolonialherren das heutige Brasilien in Besitz genommen. Doch Frankreich ignorierte die vertraglichen Vorrechte seines europäischen Nachbarn und gründete 1555 vor der Küste des heutigen Rio de Janeiro auf der Insel Sergipe das Fort Coligny, von wo aus die neue Kolonie hugenottischer Siedler, benannt France Antarctique, kontrolliert werden sollte. Nach zehn Jahren vertrieben die Portugiesen die Franzosen wieder und legten am 1. März 1565 am Morro do Castelo den Grundstein für die Stadt São Sebastião do Rio de Janeiro. Der Name, „Fluss des Januar“, geht auf den Seefahrer Gaspar de Lemos zurück, der schon 1502 die Guanabara-Bucht entdeckte und sie irrtümlich für eine Flussmündung hielt. Die Stämme Tamoios und Tupinambás der Tupi-Indianer lebten damals in dieser Region. Noch heute sind verschiedene Worte erhalten, die ihren Ursprung aus der Tupi-Guarani-Sprache herleiten; so werden die Bewohner Rios „Cariocas“ genannt. Zwar ist die genaue Bedeutung umstritten, vieles spricht jedoch dafür, dass damit „Haus des weißen Mannes“ gemeint ist.



VOM STÜTZPUNKT ZUR METROPOLE

Bereits 1680 war Rio de Janeiro Hauptstadt der südlichen Regionen Brasiliens und ein bedeutender portugiesischer Stützpunkt. Goldfunde im benachbarten Minas Gerais förderten ab 1700 die Entwicklung zur wichtigsten Hafenstadt des Landes. Nachdem 1710 ein erster Versuch scheiterte, setzten die Franzosen 1711 erneut zum Angriff an. In der Schlacht um Rio de Janeiro eroberten und brandschatzten sie die Stadt. Unter anderem konnte eine große Summe Lösegeld jedoch bald die Aggressoren zum Abzug verleiten. Als 1808 Napoleon in Frankreich einfiel, flüchtete der portugiesische Hof in den sicheren Hafen am Atlantik und beförderte damit Rios internationale Stellung. In der Folge wurden koloniale Einschränkungen gelockert, die wirtschaftliche Vorzüge mit sich brachten. Innerhalb von 100 Jahren sollte die Stadt einen Bevölkerungsboom erleben. Die Einwohnerzahl stieg bis 1891 auf über 500.000 an und erreichte 1980 schon rund 5 Millionen. Heute ist Rio mit etwa 6,4 Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt des Landes.

Wie in ganz Brasilien, ist auch hier die Mehrheit der Bevölkerung katholischen Glaubens. Ein auffallend modernes Bauwerk christlicher Architektur ist die Catedral de São Sebastião do Rio de Janeiro. Ihre Wände steigen konisch in den Himmel. Im Wechsel werden Wandteile, die durch viele Fensteröffnungen gelockert sind, von durchgängigen Streifen bunter Fensterbilder unterbrochen. Ende Juli 2013 versammelte sich die katholische Jugend der Welt zum Weltjugendtag in der Stadt. Wohl auch im Gedenken an die Eindrücke dieser Tage, mahnt Papst Franziskus in seiner Botschaft: „Nicht verschränkte Arme, sondern weit geöffnete, wie beim Erlöser Christus, bahnen den Weg zu einem konstruktiven Dialog. … Denn zwischen egoistischer Gleichgültigkeit und gewalttätigem Protest ist eine Option immer möglich: der Dialog.“



MARMOR UND BETONFASSADEN

1888 schaffte Kronprinzessin Isabelle offiziell die Sklaverei ab und versetzte damit Großgrundbesitzer und Armee in Aufruhr. Das Militär putschte sich an die Macht, vertrieb den Kaiser und formte Brasilien zur Republik. Die hohe Kaffee-Nachfrage sicherte zunächst die wirtschaftliche Lage des Landes. Es begann die kulturelle Blütezeit Rio de Janeiros. Eines der prachtvollsten Gebäude der Stadt, das Teatro Municipale (Stadttheater) erinnert daran. Inspiriert vom Gebäude der Pariser Oper, hat sein Architekt Francisco de Oliveira Passos nicht an Marmor und Kristall gespart, ebenso zieren Mosaiken und Deckengemälde den imposanten Bau im Inneren.

Filmstars und Sternchen der internationalen High Society tummeln sich nun in den Straßen und an den Stränden. Sie bringen einen modernen Wind in die Stadt. Ein Produkt des gesellschaftlichen Wandels ist die Bewegung Bossa Nova (Neue Welle), die in den späten 1950er Jahren bald weltweit aus den Radiogeräten tönt und die neue brasilianische Musik- und Tanzrichtung

berühmt macht. Rio ist noch heute kulturelles Zentrum des Landes, doch hat sich sein Stadtbild inzwischen stark verändert. Die historischen Gebäude verschwanden ab den 1930er Jahren in den wohlhabenden Stadtteilen Leblon und Ipanema hinter ersten Wolkenkratzern. Auch das heutige Finanzzentrum ist geprägt von den endlos hohen Glas- und Betonfassaden der Bürogebäude.

Neben dem Bankwesen gilt der Tourismus als wirtschaftlicher Motor der Stadt. Besonderer Anziehungspunkt ist der Karneval. Dekoriert mit ausschweifenden Federn, sowie den kleinsten Hosen und Bikinis der Welt, tanzen die verschiedenen Sambaschulen alljährlich um die Wette. Schillernd, bunt und ausgelassen – dieses Bild vom lockeren Lebensgefühl unter der Sonne Brasiliens führt die Menschen an Rios kilometerlange Strände. „Simpático“, liebenswert, sei für die Bevölkerung hier eine wichtige Eigenschaft, und entsprechend freundlich bemühten sich die Cariocas um ihre Besucher, so heißt es. Derer werden sie bald wieder Tausende mehr begrüßen können. Denn trotz finanzieller Schwierigkeiten, die in den letzten Jahren immer wieder zu Demonstrationen in weiten Teilen der Bevölkerung führten, will und muss die Metropole nach dem Weltjugendtag und der Fußball WM das nächste internationale Großprojekt stemmen: 2016 kommen die Olympischen Spiele in die Stadt. Doch die dramatischen sozialen Unterschiede innerhalb der Stadtbevölkerung bleiben nach wie vor eines der größten Probleme Rio de Janeiros. Während die Reichen vor allem die Viertel nahe den Stränden im Süden bewohnen, vegetieren die Ärmsten der Armen in illegalen Siedlungen an den Hängen der Peripherie.



FAVELAS AM RANDE DER STADT

Die Stadtplanung konnte mit der um 1950 einsetzenden Einwohnerexplosion nicht Schritt halten, es entstanden die Favelas. Hier präsentiert die dunkle Kehrseite der sonnigen Medaille ihr tragisches Gesicht. Berühmt-berüchtigt wurden die harten Lebensbedingungen 2002 durch den Film City of God, der ungeschönt die tödlichen Drogenkriege thematisiert, denen alle, vor allem die Kinder, zum Opfer fallen. Noch heute werden ganze Siedlungen von Mafiabanden terrorisiert und überwacht, die schwer bewaffnet ihre Herrschaft verteidigen. Zur Fußball WM 2014 war die Hilflosigkeit der Polizeitruppen durch ihr unglaublich brutales, jedoch unwirksames Vorgehen im Kampf gegen die extrem hohe Kriminalität im Fokus der medialen Berichterstattung. Leider, so hält auch Papst Franziskus fest, spiele sich unter den Augen der großen Statue der Kontrast großer sozialer Ungleichheiten ab: Reichtum und Armut, Unrecht und Gewalt. Dennoch dürfe man niemals die Hoffnung verlieren. Und er versichert den Cariocas: „Gott wohnt in der Stadt.“

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016