Dankbarkeit macht glücklich

20. September 2013 | von

Jeder Dank ist eine Wahrnehmung und Anerkennung unseres Gegenübers. Wer freut sich da nicht? Unsere Mitmenschen sind sichtbar empfänglich für ein „Danke“. Plädoyer zur Entdeckung der Dankbarkeit!



„Du musst Dich doch nicht immer bedanken“, meint ein holländischer Bekannter, als er meine schweren Einkaufstüten zum wiederholten Mal in die Küche schleppt. „Danke“, sage ich und freue mich, wenn mir jemand die Tür aufhält, mir ein Kompliment über den neuen Mantel macht oder wieder einmal meinen Computer vor dem Absturz bewahrt hat. Ich bin hingegen überrascht und etwas verletzt, wenn ich kein „Danke“ höre, nachdem ich nachts jemanden vom Bahnhof abgeholt habe und er wortlos im Dunkel verschwindet, weil er es wohl einfach für selbstverständlich hält.



BEISPIEL AUS DER BIBEL

Im Alten Testament bezieht sich Jahwes Kritik am Menschen auf die Verstocktheit und Undankbarkeit seiner Geschöpfe. Im Neuen Testament findet sich bei Lukas 17,12-18 folgende Episode:

«Als Jesus in ein Dorf kam, begegneten ihm zehn aussatzkranke Männer, die in einiger Entfernung stehen blieben und ihm zuriefen: „Jesus! Meister! Hab Erbarmen mit uns!“ Er sah sie stehen und rief ihnen zu: „Geht und zeigt euch den Priestern!“ Während sie noch auf dem Wege waren, wurden sie gesund. Einer unter ihnen jedoch, der sah, dass er gesund war, kehrte um und pries Gott mit lauter Stimme. Er warf sich vor Jesus nieder und dankte ihm. Und das war ausgerechnet ein Samariter (also nach jüdischer Auffassung ein Ungläubiger). „Sind nicht zehn gesund geworden?“, fragte Jesus. „Wo sind die neun anderen? Hatten sie es nicht nötig umzukehren, Gott zu ehren und ihm zu danken wie dieser Fremde?“ Zu dem Samariter gewandt, fügte er hinzu: „Steh auf und geh! Dein Glaube hat dich gerettet.“» [Übersetzung nach Jörg Zink]

Jesus erwartet Dank. In seiner Frage „Wo sind die neun anderen?“ schwingt Enttäuschung mit. Danken ist Zeichen für die Mündigkeit, die der Glaube schenkt. Man sagt „Not lehrt beten“, Freude und Fülle sollten es aber auch.



KRAFTQUELLE DANKBARKEIT

Bereits Cicero war zu der Erkenntnis gekommen, dass Dankbarkeit die Mutter aller Tugenden ist. Moderne Untersuchungen zeigen, dass dankbare Menschen zufriedener, glücklicher und großzügiger sind als jene, die das Negative registrieren und das Positive oft übersehen.

Wer die Dankbarkeit noch nicht als Kraftquelle entdeckt hat, konzentriert sich häufig auf das, was ihm nicht gelingt, was er noch nicht hat, und ist damit leidensanfällig. Wer dagegen zu schätzen weiß, was er hat und erlebt, bewältigt die negativen Ereignisse in seinem Leben eher und besser, wie Krankheit,

Altersarmut, Ressentiments und Depression.

Von Kindheit an lernten mein Bruder und ich, die Kraft des kleinen Wortes „Danke“ zu erfahren. Zu Hause benutzten wir es (meistens) so ungezwungen wie im Kindergarten und in der Schule. Auch unsere Eltern dankten uns, wenn wir einen Brief zur Post brachten oder den Mittagstisch deckten. Erst später wurde mir bewusst, dass in vielen Familien andere Regeln galten: „Du musst Dich nicht immer bedanken. Das ist doch normal.“



GOTT SEI DANK

Normal war es bei uns auch. Und dennoch: Ich war elf Jahre alt, als meine Mutter mich mit dem Auto von einer nachmittäglichen Sportstunde abholte. Beim Aussteigen kam – fast automatisch – ein Danke über meine Lippen. Dabei verspürte ich plötzlich eine große Freude. Heute erkläre ich es mir so, dass durch mein kleines Danke etwas Selbstverständliches für mich beglückend geworden war.

Als mein Großvater gestorben war, wählten meine Eltern damals als ungewöhnlichen Leitspruch für die Todesanzeige diese Aussage: „Wir danken Gott, dass er unser war.“ Vielleicht verhält es sich ja wirklich so: Oft bitten wir zu viel und danken zu wenig.

Chiara Lubich, eine der herausragenden charismatischen Persönlichkeiten des letzten Jahrhunderts, pflegte ihre Lebenserfahrung im Blick auf die endgültige Begegnung mit Gott so zu resümieren: Sono grazie – Ich bin ein fortwährendes Danke an Dich, Gott. Ich möchte Dir nicht meinen Namen sagen, sondern nur jenes eine Wort, nämlich Danke für alle Gaben, mit denen Du mein Leben reich gemacht hast.



BRIEF AN MEIN LEBEN

In „dankbarkeitsarmen“ Zeiten schreibe ich abends drei Erlebnisse auf, bei denen mir während des Tages Gutes widerfahren ist. Und siehe da, es hilft, um die positiven Anteile im Leben wahrzunehmen. Nicht selten entdecke ich dabei dankbar, wie die Hand Gottes in der einen oder anderen Situation eingegriffen hat.

In einer echten Krise, in der das bisherige Leben mit all seinen (Selbst-) Sicherheiten gescheitert schien, empfahl ein Psychologe einer jungen Frau aus Italien, meiner Freundin, einen „Brief an ihr Leben“ zu schreiben. Darin dankte sie verschiedenen Bezugspersonen (Gott und vielen anderen) für all das, was sie von ihnen empfangen hatte.

Mit diesem Zeichen einer tiefen Dankbarkeit begann sich das Dunkel in ihrem Leben zu lichten. Ich stehe weiterhin mit ihr im Kontakt und spüre die Verheißung, die für sie in diesem neuen Blick auf ihr Leben liegt.

Wer dankt, dem wird auch gedankt. Vielleicht nicht immer mit Worten, sondern mit Taten. Im Dank füreinander gewinnt das Leben seine tiefste Dimension der Gegenseitigkeit und damit neue Fülle.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016