Das Pestvotivbild aus Assisi

21. September 2020 | von

Br. Thomas Freidel aus Assisi hat uns den Text eines Mitbruders übersetzt, der ausführlich das ursprünglich aus Assisi stammende „Pestvotivbild“ des Nicolò Alunno erläutert. Vor allem für die, denen die umbrische Stadt vertraut ist, dürfte der geschilderte Stadtrundgang von großem Interesse sein. 

Die derzeitige Coronaviruspandemie, die auch die Stadt Assisi getroffen hat, ist kein völlig neues Phänomen, denn die Stadt hat im Laufe der Geschichte bereits andere ähnliche Erfahrungen gemacht. Genau aus einem solchen Anlass entstand im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts das Pestvotivbild „Gonfalone della peste“ des umbrischen Malers Nicolò Alunno (ca. 1430-1502).
Das Bild wurde bei diesen traurigen Anlässen bei Prozessionen mitgeführt und danach zurück in die Basilika San Francesco gebracht, wo es bis zum Jahre 1835 auf dem Altar der Stephanuskapelle seinen Platz hatte. In jenem Jahr wurde es von den Brüdern des Sacro Convento an den deutschen Maler und Kunsthändler Johann Anton Ramboux (1790-1866) verkauft, der es nach Köln in seine dortige Kunstsammlung brachte. Ramboux war zwischen 1816 und 1842 mehrmals in Italien und hatte hier auch Kontakt zum Malerkreis der Nazarener, dessen führender Vertreter Friedrich Overbeck 1830 das Fresko an der Fassade der Portiunkula-Kapelle in Assisi malte. Von Köln, wo Ramboux ab 1843 als Konservator für die Wallraffsche Kunstsammlung tätig war, kam das Gemälde 1880 in den niederrheinischen Wallfahrtsort Kevelaer, wo es im Speisesaal des Oratorianerkonvents (dem heutigen Priesterhaus) hing. Es befindet sich auch heute noch im Besitz des Hauses.

Christus im Zentrum
Das in Temperafarben gemalte Votivbild Alunnos ist 180 cm hoch und 130 cm breit. Nach Angaben des Kunsthistorikers Umberto Gnoli liegt die Entstehungszeit zwischen 1468 und 1470. Das Werk unterscheidet sich allerdings von ähnlichen zeitgleichen Exemplaren in der Region Umbrien. So steht im Zentrum nicht wie üblich die Jungfrau Maria, sondern Christus, flankiert von Engeln, zu dessen Füßen die fürbittende Gottesmutter kniet. Darunter knien die Stadtpatrone Assisis, die Bischöfe Rufinus und Viktorinus, Franziskus und Klara, sowie die Pestpatrone Rochus und Sebastian. Anders als sonst üblich ist am unteren Bildrand nicht eine Gruppe von knieenden, kleindimensionierten, betenden Gläubigen abgebildet, sondern das Panorama der Stadt Assisi, symbolisch und stellvertretend für ihre gesamte Bürgerschaft.

Historische Stadtansicht
Über den künstlerischen Wert hinaus ist das Bild von Interesse, weil es die Topographie der Stadt Assisi in der Mitte des 15. Jahrhunderts darstellt. Es wird daher von Experten zu den drei wichtigsten erhaltenen historischen Stadtansichten gezählt. Das Gemälde zeigt den Blick auf die Stadt auf dem Vorgebirge des Monte Subasio von der Straße aus, die nach Santa Maria degli Angeli führt. Die Gebäude des Sacro Convento sind deutlich zu erkennen. Gleichwohl fehlt der mächtige, turmartige Anbau links, errichtet ab 1472 auf Initiative von Papst Sixtus IV. Dass Alunno den Bau nicht abbildet, erlaubt die Annahme, dass das Bild vor seiner Vollendung entstanden ist.
Über dem Konvent erkennt man die Basilika mit dem romanischen Glockenturm, gekrönt von einer achteckigen Turmspitze, die vor dem Ende des 16. Jahrhunderts entfernt wurde, da sie Ziel vieler Blitzeinschläge war. Bei der Oberkirche beginnt der Verlauf der mit Zinnen bekrönten Stadtmauer mit ihren verschiedenen Toren, die auch am Platz vor der Unterkirche zu sehen ist. Hier stand am rechten Rand ein kleiner baufälliger Turm, genannt „Torricella“, der heute nicht mehr existiert und sich genau am Rand des Rundbogens befand, der den Zugang zum Platz bildet. Von dort führt die Straße links nach unten zu einem abgelegenen Tor namens „Portella“, einem Zugang zur Stadt links von der heute noch bestehenden „Porta San Francesco“, am Beginn des 20. Jahrhunderts „Portaccia“ genannt.

Türme und Tore
Zwischen der „Torricella“ und diesem unteren Tor stand eine mit Zinnen bewehrte Mauer, auf die später das Hotel Subasio und einige weitere Häuser aufgebaut wurden. Die „Porta San Francesco“, die man am quadratischen Turm erkennt, wurde von Alunno ohne die Bekrönung mit Zinnen gemalt, die man heute sieht. Ihr oberer Teil ist schmucklos und ohne Dekorationen, die erst 1490 hinzugefügt wurden.
Auf die „Porta San Francesco“ folgt ein weiterer Mauerabschnitt und ein Turm, der zur „Porta San Pietro“ führt, benannt nach dem nahen Benediktinerkloster. Darauf folgen ein anderer Turm und der nächste Teilabschnitt der Stadtmauer. Zwischen diesem Turm und dem folgenden sieht man ein kleines Gebäude mit einem Eingang und zwei Fenstern, angelehnt direkt an die Mauer, wahrscheinlich ein öffentliches Waschhaus zur Zeit Alunnos. Darauf folgt das sogenannte „Geschlossene Tor“, oder auch „Porta San Paolo“, genannt nach dem in der Nähe liegenden Kloster, ein Ort, den die Jugend Assisis nutzte, um sich im Gebrauch der Waffen auszubilden. Aus Dokumenten wissen wir, dass das Tor geschlossen war und der Turm am 11. Juni 1456 abgebrochen  und in ein Wohnhaus umgewandelt wurde. Aus diesem Grund malt Alunno das Gebäude bereits bedeckt mit einem Dach.

Stadtrundgang vom Kloster zum Rathaus...
Nach einem kurzen Mauerabschnitt erreichen wir die „Porta Moiano“ und gehen weiter bis zum Kloster Santa Chiara, welches malerisch hinter einer Gruppe von Olivenbäumen naturgetreu dargestellt ist.
Abgebrochen durch den Rahmen des Bildes und verdeckt von den knieenden Schutzpatronen, können wir nicht der Straße hinauf bis zur „Rocca Maggiore“, der großen Burg, folgen. Links von der Burg erstreckt sich auf dem Rand des Hügels die lange Mauer, welche die Burg mit dem zwölfeckigen Turm verbindet, der „Conte Iacopo“ genannt wurde, nach dem Grafen Iacopo Piccinino, der den Bau mit einem Verbindungsweg zur Burg im Jahre 1460 errichten ließ.
Der Gürtel der Stadtmauer fällt nun steil nach links den Hügel hinab, bis hin zur Basilika San Francesco. Von einem der beiden Türme, die der „Porta San Giacomo“ vorausgehen, genannt „Torrione d´Orluzo“, erstreckt sich horizontal nach rechts eine Reihe von Häusern, bevor die Mauer, unterbrochen von zwei weiteren Türmen, die Oberkirche von San Francesco erreicht.
Alunnos Gemälde zeigt im Zentrum auf der Piazza del Comune den Stadtturm „Torre del Popolo“, flankiert rechts vom römischen Minervatempel und links vom alten Rathaus, dem „Palazzo del Capitano“, aus der Mitte des 13. Jahrhunderts.

...und vom Tempel zum Dom
Unter dem Turm und dem Minervatempel steht ein Gebäude mit einem großen Rundbogen, südlich des „Palazzo dei Priori“, erbaut 1338. Weiter unten auf derselben vertikalen Linie liegt die alte Benediktinerkirche San Pietro mit dem Glockenturm, überragt von einem Giebel, der heute nicht mehr existiert. Über der „Porta Moiano“, rechts von San Pietro, erkennt man die Kirche Santa Maria Maggiore mit dem angrenzenden Bischofshaus, allerdings nicht originalgetreu wiedergegeben. Die Fassade hat eine rechteckige Form mit Tympanon, ohne das seitlich abfallende Dach. Falsch ist auch die Position des Glockenturms, der nicht neben der Fassade, sondern links von der Apsis steht.
Es folgt die Kirche Santa Chiara mit der bekannten Fensterrosette in der Fassade, schließlich der Glockenturm mit einer nicht mehr existierenden Turmspitze – erkennbar sind allerdings die Stützbogen auf der linken Seite der Kirche.
Von hier aus links aufsteigend erreicht man die Kathedrale San Rufino, auf deren Fassade die Dekorationen sichtbar sind. Daneben befindet sich der hohe Glockenturm mit einer ebenfalls nicht mehr erhaltenen Spitze. Zwischen dem Turm des Domes und dem Stadtturm auf der Piazza befinden sich zwei weitere Türme. Einer gehörte zum Kloster Santa Maria delle Rose, der andere zum Haus der Familie de Nepis.
Möglicherweise gab es noch eine Reihe weiterer Gebäude, die der Maler in seinem Werk nicht zeigt, weil er, dem Brauch der Zeit folgend, schwerpunktmäßig die religiösen Bauwerke der Stadt beachtete, die in ihren Proportionen die anderen überragten.

Vertrauen auf Gott
Das Pestvotivbild des Nicolò Alunno ist ein Zeugnis dafür, dass die Erfahrung von Epidemien auch für die Stadt Assisi nicht neu ist, mit dem Unterschied, dass unsere Vorfahren nicht über unsere heutigen medizinischen Kenntnisse und Mittel verfügten. Trotzdem gelang es ihnen, im Vertrauen auf Gott die Notzeiten zu überwinden und immer wieder neu Hoffnung zu schöpfen. Vielleicht kann dieses alte Bild auch für uns heute ein Bild der Ermutigung und Zuversicht sein, unseren Weg auch in schwierigen Zeiten im Vertrauen auf Gott zu gehen, der uns Hoffnung und Zukunft schenken will.

Zuletzt aktualisiert: 21. September 2020
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