Das will mir nicht so recht gefallen

30. Juli 2012 | von

Conrad Gröber, der spätere Erzbischof von Freiburg im Breisgau, hat mehrere Jahre in Rom studiert. Es war dies aber nicht nur eine andere Zeit; ganz anders präsentierte sich damals auch die Ewige Stadt.



18. Juni 1898, spätnachmittags. Ein junger Priester hat den roten Talar durch ein schwarzes Reisekleid ersetzt und tritt durch das große Portal des Collegium Germanicum et Hungaricum ins Freie. Die Kutsche, die ihn zum Bahnhof bringen wird, wartet bereits. „Ein hundertstimmiges Addio! Mein Wagen rollt davon“, wird der 26-Jährige noch am selben Abend in sein Tagebuch schreiben. Und hinzufügen: „O Roma felix, glückliches Rom!“ Damit enden die römischen Aufzeichnungen von Conrad Gröber, dem späteren Erzbischof vonFreiburg.

In Freiburg, wo er das Theologiestudium begann, trat einige Jahre zuvor ein Vorgesetzter mit der Frage an ihn heran: „Gröber, wollen Sie nicht nach Rom?“ Nach Rom – das bedeutete einen mehrjährigen Aufenthalt im Germanicum (wie das Collegio gemeinhin genannt wird), das Ignatius von Loyola, unterstützt von Papst Julius III., 1552 gestiftet hatte.



SPITZNAME FÜR GERMANIKER

Die Institution, die später mit dem Ungarischen Kolleg zusammengelegt wurde, besteht noch heute. Aber seit Gröbers Ankunft am 28. Oktober 1893 hat sich inzwischen vieles, ja eigentlich fast alles geändert. Der rote Talar, den die Studenten damals trugen, wurde erst in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts abgeschafft, sehr zum Leidwesen der Römer, welche die ‚Germaniker‘ als gamberi cotti, als gekochte Krebse, bespöttelten. Längst Vergangenheit sind auch manche Zustände, welche den Alumnen zu Gröbers Zeiten das Leben erschwerten. Wer Aufnahme im Germanicum fand, kehrte erst nach beendeter Ausbildung, will sagen nach vier bis sechs Jahren, wieder in die Heimat zurück. Der Rest des Reisegeldes ist beim Hausoberen zu deponieren („das Kolleg sorgt ja, sagt man, für alles, was wir brauchen …“). Sogar die mitgebrachte Unterwäsche müssen die Hausbewohner beim Eintritt ins Kolleg abgeben; die wird ihnen jeweils samstags frisch aufs Zimmer gebracht. Die Zimmer wiederum sind geradezu spartanisch ausgestattet: „Steinfliesen, ein harter Bettrost ohne wärmende Federdecke und weiche luftige Kissen; nur eine wulstige Kopfrolle im steifen Genick und ein mitgebrachter Teppich auf dem Leib. Ein braun gestrichener, noch klebriger Schreibtisch und ein roh gezimmerter Betstuhl. Ein eisernes Gestell für den Waschkrug aus Steingut und das emaillierte Waschbecken.“



STRENGE BRIEFZENSUR

„Was brauche ich auch mehr?“, tröstet sich der Neuankömmling. Bei aller Einfachheit werden die Studenten aber doch angehalten, auf ein standesgemäßes Äußeres zu achten. „Aber Herr Gröber“, wendet sich der Rektor auf einer Wanderung einmal an den Tagebuchschreiber und zeigt dabei missbilligend auf ein Loch in dessen Strumpf. Sein lakonischer Kommentar: „Das in Rom erprobte Mittel, den rötlich schimmernden Defekt mit schwarzer Wichse zuzuschmieren, stand mir leider in jenem Augenblick nicht zur Verfügung.“ Verhaltene Kritik übt Gröber an der einen oder anderen Anordnung seiner strengen Vorgesetzten.

Insbesondere die ständige Überwachung scheint ihm übertrieben. „Der Brief, den ich vorgestern nach Hause schrieb, ist bereits unterwegs. Vorher durchlief er die Zensur. Das will mir nicht recht gefallen, aber es ist Vorschrift.“ Noch weniger gefällt ihm, dass die ankommende Post vom Vorgesetzten gelesen wird, bevor dieser sie aushändigt. Als mühsam empfindet er es, dass die angehenden Priester nie allein unterwegs sein dürfen: „Immer zu sechst! Nur als Ausnahme einmal zu dritt!“ Sogar zum Zahnarzt geht man in Begleitung. Der praktiziert auf der Tiberinsel, „wo der deutsche fatebenefratello die hohlen und brüchigen Zähne der römischen Gesellschaft ohne Honorar mit Meisterschaft zieht und in großen Kisten vor den Augen seiner Kundschaft aufstapelt.“ Auf dem Weg zur Universität wird der Rosenkranz gebetet – „nicht immer andächtig“, wie Gröber selbstkritisch, aber nicht reumütig vermerkt. Während der Mahlzeiten erteilt der Rektor nur selten die Erlaubnis zum Sprechen. Entweder findet eine sogenannte Tischlesung statt, oder aber einer der Alumnen hält seine Probepredigt.



ANTIKLERIKALES ROM

Es war eben alles ganz anders, damals. Schon was das Stadtbild angeht. In die Peterskirche gelangten die Menschen, ohne dass ihre Mäntel und Rucksäcke durchleuchtet wurden. Das Forum Romanum war noch nicht überschwemmt von fotografierenden Japanerinnen und Chinesen. Vor dem Kolosseum erhob sich schon von Weitem sichtbar die meta sudans, ein antiker Brunnen in Form eines riesigen Kegels, der 1936 einer Straße weichen musste. Das geistige Klima war nicht wie heute von Indifferenz geprägt, aber auch nicht von christlichen Wertvorstellungen. Vielmehr war in der Bevölkerung ein aggressiver Antiklerikalismus verbreitet – die Lateranverträge zwischen dem Vatikan und dem neu erstandenen Italien wurden ja erst 1929 unterzeichnet. Lärmig war die Stadt schon damals, weil das Leben zu einem guten Teil auf den Straßen stattfand. Nicht einmal die Liturgie war immer nur erhebend – besonders wenn „Kardinal Mazzella so schlecht singt, wie die meisten Kirchenfürsten …“

Sechs Jahre, 1893-1898, hat Conrad Gröber in Rom verbracht. Das eine oder andere von dem, was er sah und erlebte, kann man noch heute erleben und sehen – etwa wenn er von einem seiner Professoren sagt: „Er besitzt zwar ein sehr reichhaltiges Warenlager, aber er verkauft seine Wissenschaft nicht gut.“



Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016