Den Geruch der Schafe annehmen

22. Mai 2013 | von

In seiner Gründonnerstagspredigt ermunterte Papst Franziskus die Priester: „Seid Hirten mit dem ‚Geruch der Schafe‘, damit man ihn riecht – Hirten inmitten ihrer Herde und Menschenfischer.“ Unser Autor, emeritierter Domkapitular der Diözese Würzburg, reflektiert über das Füreinander und Miteinander von Priester und Gemeinde. Da geht es um Selbstverständnis, Erwartungen und Glaubwürdigkeit.



Es gibt zwei Sorten von Hirten, so habe ich irgendwo einmal gelesen. Die einen interessieren sich für die Wolle, die anderen für das Fleisch. Für die Schafe interessiert sich keiner. Von solchen Hirten ist hier nicht die Rede. Auch die sprichwörtlich dummen Schafe kommen nicht vor. Ganz im Gegenteil. Es sind außerordentlich kluge Schafe, denn sie kennen ihren Hirten und laufen nicht jedem nach: „Meine Schafe hören auf meine Stimme; ich kenne sie, und sie folgen mir“

(Joh 10,27). Was also ist Wesen und Fundament des priesterlichen Hirtendienstes?



EINE GEWISSENSFRAGE

Was hat uns bewegt, uns zu Priestern weihen zu lassen? War es das Milieu, das uns geprägt hat? Sind wir durch fromme Eltern und andere Verwandte dazu gedrängt worden? Haben uns geistliche, geisterfüllte Vorbilder fasziniert, haben uns lebendige Gruppen und Gemeinden von Christen angeregt, ernsthaft über einen geistlichen Beruf nachzudenken? Hat uns die leibliche und seelische Not von Menschen angerührt? Oder wollten wir dem harten Lebenskampf ausweichen, Ansehen gewinnen, das Sagen haben und einigermaßen sozial abgesichert sein? Haben wir also unsere eigene Ehre gesucht, oder ging es uns um die Ehre Gottes? Hat schließlich uns irgendetwas nicht zur Ruhe kommen lassen, uns immer wieder gerufen und gelockt, uns dem Wagnis der Priesterweihe zu stellen?

Worauf haben wir uns da eigentlich eingelassen? Ist unser Amt als Priester nur eine Beauftragung durch die Gemeinde, eine Funktion auf Zeit, die aus dem gemeinsamen Priestertum aller Gläubigen folgt?



DIENST AM VOLK GOTTES

Ich behaupte, das priesterliche Amt gehört unaufgebbar zur Kirche und stellt auch ein gewisses – sogar wesentliches – Gegenüber zur Gemeinde dar. Weihe ist etwas aus dem Alltäglichen Ausgegrenztes und letztlich Unverfügbares.

Wir alle, ob Priester oder Laien, gehören zum Volk Gottes. Wir sind durch die Taufe mit Christus und untereinander verbunden und unterscheiden uns grundsätzlich – fundamental – nicht voneinander. Wenn jemand von „Priestern“ und „Gläubigen“ spricht, klingt das einfach kurios; als ob die Priester nicht auch Gläubige wären. Und das Gerede von der „Amtskirche“ und der „Kirche von unten“ ist auch nicht besser.

Die geweihten Amtsträger sind und bleiben in der Kirche grundsätzlich „Laien“, Angehörige des Volkes Gottes, solche, die an Christus glauben, und keine separate Sondergruppe oder gar elitäre Kaste. Gemeinsam sind wir ein „heiliges Volk“ und haben Anteil am königlichen Priestertum Christi. Oder, wie es der heilige Augustinus seiner Gemeinde gesagt hat: „Für Euch bin ich Bischof, mit Euch bin ich Christ.“

Worin liegt also das besondere Priestertum? Mit wenigen Worten gesagt: Es macht Wort und Wirken Jesu Christi selbst gegenwärtig und steht somit nicht nur mitten in der Kirche, sondern auch den übrigen Gläubigen gegenüber. Nicht Abgrenzung oder Herrschaft über die anderen ist damit gemeint, sondern Dienst. Die Weihe will zum Ausdruck bringen, dass da jemand nicht mehr sich oder uns gehört, sondern dass er gesandt und bevollmächtigt ist, als Zeichen und Werkzeug Jesu Christi zu handeln. Nicht die Qualitäten der eigenen Person sind entscheidend – Leistung, Tüchtigkeit, Ausstrahlung –, sondern die gnadenvolle Befähigung, transparent zu sein, Christus in all seinem Tun durchscheinen zu lassen.



STÄNDIGE PRÜFUNG

Jeder Priester muss sich permanent prüfen: Stehst Du wirklich für einen anderen, für Jesus Christus, für den dienenden und gekreuzigten Herrn? Und können das Deine Mitchristen auch erkennen, dass Du in Deinem amtlichen Tun und in Deinem persönlichen Verhalten für ihn stehst?

Entlastend ist dabei, dass die Wirksamkeit des kirchlichen Heilsdienstes nicht von der persönlichen Heiligkeit seiner Amtsträger abhängt. Mögen diese auch sündig sein und versagen, Christus bleibt im Wirken der Priester seiner Kirche nahe.



HOHE ERWARTUNGEN

Wen wundert es, dass bei einer solchen theologischen Begründung des Priestertums auch die Erwartungen an die, die sich dazu haben weihen lassen, sehr groß sind? „Viele Priester“, so hat ein engagierter Laie irgendwo in Deutschland einmal geschrieben, „sind meine Freunde, andere geben mir Rätsel auf, weil ich nicht erkennen kann, warum sie gerade Priester geworden sind. Sie könnten Manager sein, Finanzsekretäre, Bankbeamte oder Kleinigkeitskrämer. Es steht mir nicht zu, ein Urteil zu fällen, weil ich darauf baue, dass Gott sieht, was ich nicht sehe.

Ich kenne Priester, die gar nicht mehr als Priester erkannt werden wollen. Manchmal – das sei zugegeben – aus Gründen, die mir verständlich sind: Sie wollen nicht mehr die ‚Herren‘ sein, die hochwürdigen und ehrwürdigen. Oft aber auch, weil sie Angst haben, den Erwartungen und Hoffnungen der Menschen nicht gewachsen zu sein.



GLAUBWÜRDIG LEBEN

Ich kenne Priester, die lauthals oder stillschweigend uns Laien doch noch als Menschen betrachten, die nicht ganz so heilig sind wie sie. Aber: Ich kenne auch Priester, zu denen ich gehen kann, wenn ich danach verlange, ein Wort zu hören, das ohne Hintergedanken gesagt ist. Ich kenne Priester, die nicht in jeder Predigt nur sich selbst verkündigen und die sich nicht in jedem Gottesdienst selbst zelebrieren. Ich kenne Priester, denen man es abnimmt, wenn sie ‚Schwestern und Brüder‘ sagen.“

Und zum Schluss schreibt dieser Mann: „Ich erwarte viel vom Priester; vielleicht erwarte ich zu viel. Ich weiß: Viel von dem, was ich erwarte, muss ich selber erbringen. Ich will es auch. Wichtig erscheint mir besonders: Der Priester muss leben, was er glaubt.“



ENTLASTENDES GEBET

Ob wir Priester uns in diesen Skizzierungen wiedererkennen oder uns sogar darüber ärgern – wir alle wissen um unsere Stärken und Schwächen, wir erinnern uns an unsere Ideale, damals bei unserer Weihe, wir kennen die Ansprüche und Erwartungen vieler an uns. Da ist es vielleicht hilfreich, mit den Worten eines Priesters unserer Tage zu beten:

„Herr Jesus Christus, ich weiß, dass es nicht wichtig ist, ob ich ankomme, ob ich gelobt werde, ob ich Erfolg und Anerkennung ernte. Ich weiß nur, dass eines wichtig ist: Dass ich Dir nicht im Weg stehe, dass ich die Menschen nicht zu mir, sondern zu Dir führe.

Herr Jesus, bewahre mich vor dem Wahn, ich müsste die Welt retten. Lass mich nie vergessen, dass Du sie schon gerettet hast.

Ich bin das Fenster, Du das Licht. Du kannst durch mich hindurch, was ich nicht kann. Das macht mich frei von der Last, etwas bewirken zu müssen, was meine Kraft übersteigt. Das macht mir Mut zu der Vollmacht, die Du in mich, in meine Armseligkeit gelegt hast. Ja, Du in mir! Das macht mich froh und unverkrampft.“ – Ich wünschte es vielen Priestern, dass sie so beten könnten.



SORGE UM GEISTLICHE BERUFE

Kirche und Gemeinde können wir so beschreiben: Da sind Menschen, die sich so in die Gemeinschaft mit Jesus einbezogen wissen, dass sie das einander und den anderen Menschen weiterschenken können – Gemeinde als Ort gegenseitigen Verstehens und Verstandenwerdens. Wir wissen, dass wir in unserer Kirche und in unseren Gemeinden noch weit davon entfernt sind. Aber eine Richtung ist angegeben.

Wenn wir immer wieder versuchen, so Gemeinde Jesu zu sein, dann brauchen wir uns keine Sorge um geistliche Berufe zu machen. Dann sind wir alle Menschen, die einander auf dem Weg begleiten und weiterhelfen können. Und die auch den Boden schaffen für neue Seelsorger.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016