Der Aufstand der Boxer

14. September 2007 | von

Lange bevor China sich als energiehungrige Wirtschaftsmacht etablierte und auch lange bevor Mao Zedong seine politischen Vorstellungen einem ganzen Volk überstülpte, war das „Reich der Mitte" für viele Europäer nicht nur geographisch weit weg, sondern eine ferne fremde Kultur, die man kaum kannte. Umgekehrt galt für China, dass es sich selbst als „Mittelpunkt der Welt" verstand, in einem gewissen Sinne ähnlich der antiken und mittelalterlichen Vorstellung Europas als Nabel der Welt. Dieser sogenannte „Sinozentrismus" hatte vor allem ganz praktische Auswirkungen, da China seine Beziehungen zu allen übrigen Staaten aus diesem Verständnis heraus gestaltete: eine zunächst geographische Vorstellung von der Welt als Scheibe, in deren Zentrum China, darin wieder der Kaiserpalast und damit der Kaiser als Himmelssohn standen. Alle eroberten Gebiete wurden im Laufe der Zeit konsequent sinisiert, also von der chinesischen Kultur durchdrungen, da man sie für die einzig wahre hielt. Hiermit verband sich ein hierarchisches System von Vasallenstaaten, die tributpflichtig waren.

Handelsgeschäfte. Die ersten Anknüpfungspunkte für Europäer mit dem Reich im Osten waren Handelsbeziehungen, in denen sich die Händler durchaus diesem System anzupassen wussten, wollten sie überhaupt mit den Chinesen ins Geschäft kommen. An ein gleichberechtigtes Miteinander, wie es sich die europäischen Herrscher im Kontakt mit China vorstellten, war für die Chinesen gar nicht zu denken. Leicht vorstellbar, wie schwierig die Kontakte wurden, als während der Kolonialzeit die europäischen Mächte mit eigenen imperialistischen Vorstellungen die Welt „besetzten" und auch versucht waren, China unter sich aufzuteilen. Solcherart Machtgelüste und vor allem die englischen Siege der Opiumkriege des 19. Jahrhunderts, die damit gegen den Widerstand des chinesischen Kaisers den Handel mit Opium nach China durchsetzten, ließen erhebliche Risse im Gebäude des „Sinozentrismus" entstehen.

Christen in China. Die ersten uns bekannten Christen in China waren Nestorianer etwa im 7. bis 9. Jahrhundert, deren Glaubensgeschichte dort allerdings mit den Mongolen zu Ende ging. Einige Versuche der Päpste im 13. Jahrhundert, christliche Missionare und Legaten nach China zu senden, blieben letztlich erfolglos. Die Kommunikation war – glaubt man den historischen Zeugnissen – ausgesprochen schwierig, weniger der Sprache wegen als der unterschiedlichen Ansprüche und Vorstellungen.

Eine entscheidende Wende nahm die Christianisierung Chinas durch die Jesuiten. Ein herausragender Mann dabei war Matteo Ricci (1552 bis 1610), der sehr erfolgreich in China wirkte. Durchaus geschickt bezog er die chinesische Kultur mit ein; so trug er selbst chinesische Kleidung und gab sich einen chinesischen Namen. Leider sollte diese „sanfte" Methode später zu erheblichen Zwistigkeiten unter den Missionaren führen – wie weit beispielsweise der Ahnenkult christlich erlaubt sei oder nicht. Die wachsende Zahl von Christen führte immer wieder auch zu „Gegenbewegungen" der chinesischen Beamten und Würdenträger.

Gestörtes Gleichgewicht. Nach jahrhundertelangem Hin und Her zwischen Duldung, Wertschätzung und Repression bewirkten die eigenen Streitigkeiten der christlichen Orden und unterschiedlichen religiösen Einstellungen einen Niedergang der Missionstätigkeit.

In den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts führte das Vordringen ausländischer Händler, Gesandtschaften und Missionare, die oftmals als Eindringlinge empfunden wurden, sowie erzwungene Verträge, die den ausländischen Staaten Privilegien sicherten, zu Feindlichkeiten und ersten Übergriffen. Innenpolitisch war die Lage diffus: Konflikte zwischen Reformern und Konservativen endeten mit dem Sieg der Konservativen um die Kaiserinwitwe Cixi. Die Bevölkerung litt unter Missernten, Heuschreckenplagen und Hunger. Hinzu kamen Naturkatastrophen, die man in bestimmten Kreisen den christlichen Chinesen anlastete, da sie das „Gleichgewicht und die Harmonie der Umwelt störten". Auf der Basis ungleicher Verträge hatte die christliche Mission eine Sonderstellung erreicht. Missionare griffen im Landes-inneren mit Hilfe der ausländischen Konsulate immer wieder in lokale Streitigkeiten ein. Dieses Verhalten stieß bei der chinesischen Bevölkerung auf eine starke Ablehnung.

Blutiger Aufstand. Im Jahre 1900 explodierte die Situation. Schon seit einigen Jahren hatte eine Gruppe „Aufständischer" immer wieder Unruhe gestiftet und war gegen alles Fremde angetreten. Fälschlicherweise wurden diese von den Europäern Boxer genannt, in Wirklichkeit handelte es sich um eine soziale Bewegung auf dem Hintergrund des chinesischen Kampfsports, lokal organisiert und mit Unverwundbarkeitsritualen. Ihre Forderung war, die Feinde Chinas mit Gewalt zu beseitigen. Bis ins Frühjahr 1900 stellte sich die Kaiserinwitwe gegen diese Bewegung. Als die europäischen Regierungen jedoch ihren Druck erhöhten, änderte sie ihre Haltung und begann, die Aufständischen zu unterstützen. Die militärischen Auseinandersetzungen zwischen europäischen Truppen und den Boxermilizen waren gezeichnet von grausamen Ausschreitungen, die vor der zivilen Bevölkerung nicht Halt machte. In unserem Zusammenhang sei hier an die namenlosen Todesopfer erinnert, unter denen sich Tausende chinesischer Christen befanden: Menschen, die sich überzeugen ließen, dass der christliche Glaube ihrem Leben Hoffnung und Richtung geben könne, dass er vereinbar sei mit ihrer chinesischen Herkunft, weil er Gottes Zusage für alle Menschen beinhalte. Sie wurden ihres Glaubens wegen verfolgt, brutal gefoltert und getötet. Der traurige Höhepunkt der Massaker an chinesischen Christen wurde im Juni 1900 erreicht.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016