Der heilige Antonius in Übersee

11. November 2019 | von

Auf den Spuren des heiligen Antonius breche ich auf zu einer amerikanischen Reise. Als ich meine Gedanken ordne, bevor ich mit dem Schreiben beginne, wird mir bewusst, dass mich der heilige Antonius seit mehr als zehn Jahren nach Übersee begleitet, von der glühenden Erde in Texas bis zu den faszinierenden Wäldern im Maya-Gebiet, in einer Folge von Begegnungen, Freundschaften, Zufällen, die sich am Ende als Spur herausstellten, als Etappen auf dem historischen Weg, den die Franziskaner auf dem amerikanischen Kontinent zurückgelegt haben. Als Süditaliener habe ich den heiligen Antonius immer fast als Familienmitglied empfunden, aber ich merke, dass der Heilige auch hier die Grenzen zwischen Völkern und Traditionen schmelzen lässt: Gringos, Mexikaner und Ureinwohner fühlen sich in gleicher Weise zu ihm hingezogen, er ist einer von ihnen, den man um Rat und Fürsprachen bitten kann.

 

Antonius und die franziskanischen Missionen

Ich beginne in den USA, wo eine riesige Stadt, die größte, die ihm geweiht ist, noch heute lebhafte und sichtbare Zeugnisse von ihm ablegt. In San Antonio werde ich von Bianca Centofanti empfangen: Sie stammt aus Neapel, lebt aber schon sehr lange in Amerika. Sie begleitet mich auf den Spuren des heiligen Antonius, der dieser Metropole seinen Namen gegeben hat. „Meine Brüder und ich sind schon seit Langem hier: New York war zwar schön, wir haben viel gearbeitet in dem Restaurant, das meine Brüder Luciano und Gennaro eröffnet haben, aber hier ist es ruhiger. Und dann ist hier der heilige Antonius, der uns führt“, sagt sie mit einem Lächeln, wie es nur den Menschen aus Neapel gelingt. Unter der sengenden Sonne und bei brütender Schwüle machen wir eine Bootstour auf dem Fluss. Und da sehe ich ihn endlich, aufrecht stehend inmitten einer Hecke. Das Boot voller Touristen hält neben der Antonius-Statue. Eine junges Hochzeitspaar lässt sich neben ihm fotografieren – „so sind wir wenigstens sicher, dass wir lange zusammenbleiben werden“ – scherzt der junge Mann und umarmt lachend seine Frau. Es ist fast wie auf einem Kanal in Venedig, diese Bootstour, die komplett auf Touristen und Antonius ausgerichtet ist, der – so scheint es – von oben über alles wacht.    

Der Name der Stadt, San Antonio, ist kein Zufall. Es ist die Erinnerung an einen ganz besonderen 13. Juni, den im Jahr 1691, als auf einer kleinen Insel die spanischen Brüder die erste heilige Messe zelebrierten. Dieser Ort, an dem heute üppige Ahuehuete-Bäume wachsen, ist bekannt als „Hochzeitsinsel“. Gegründet und nach dem Heiligen benannt wurde die Stadt von Bruder Antonio de Olivares, unter der Regierung von Baltasar de Zúñiga y Guzmán, Graf von Valero. Der spanische Bruder ruft zusammen mit seinem Mitbruder Antonio Margil de Jesús einige Missionen ins Leben, wie die von San Antonio di Valero, wo am 8. Juli 1718 die erste Taufe gespendet wird. Der religiöse Komplex wird später in die bekannte Festung Alamo umgewandelt, Mittelpunkt der berühmten Schlacht, bei der texanische Kolonialherren und mexikanische Soldaten gegeneinander kämpften und die später beliebter Drehort für viele Western und geheimnisvolle Legenden war. Heute ist die Festung inmitten der Altstadt von San Antonio ein beliebtes Ziel von Touristen, die die Festung und die Kirche besichtigen. Aber die Spuren und Geschichten der ersten Franziskaner, die gekommen waren, um diese wüstenhafte Gegend der Neuen Welt zu evangelisieren, finden wir in den Missionen. In einigen Stadtteilen findet man noch deren Mauern, mit der Kirche in der Mitte, darum herum die Wohnungen der Brüder, die wiederum von den Hütten der Indios umgeben waren. Das Evangelium zu verbreiten und gleichzeitig Lesen und Schreiben, Feldarbeit und Brotbacken zu lehren, war mehr als ein Jahrhundert lang die Hauptaufgabe der Mission der Franziskaner in Texas.

 

Lebendiger franziskanischer Geist

„Las misiones, die Missionen, halten den ursprünglichen franziskanischen Geist aufrecht: Concepción, San José, San Juan und Espada sind Orte mit einem dynamischen Glauben“, erklärt mir Gustavo García Siller, der Erzbischof von San Antonio. Er stammt ursprünglich aus Mexiko und leitet nun die von den Franziskanern gegründete Kirche. Er ist gesellig und optimistisch, voll von franziskanischem Geist. „Auch andere Mitglieder der franziskanischen Familie haben eine wichtige Aufgabe, die Kapuziner und Franziskaner-Minoriten. Und falls das noch nicht reicht, hat das Wappen unserer Erzdiözese in der Mitte ein Kreuz in Form des Tau, das uns daran erinnert, dass wir an Hand des Beispiels von Franziskus und Antonius dem armen und gekreuzigten Christus folgen sollen. Am 13. Juni beginnt um 19.00 Uhr unsere Prozession bis zum Fluss, wo wir mit dem Allerheiligsten auf ein Floß steigen und an den Ort der ersten heiligen Messe fahren, die Marriage Island.“

Ich erfahre, dass es außer den Darstellungen des heiligen Antonius in der lichtdurchfluteten Kathedrale von San Fernando, Bischofssitz und älteste Kathedrale von Amerika, in der Peripherie auch eine kleine, nur ihm geweihte Kapelle gibt. Weiß, im typischen Kolonialstil, hat diese kleine Kirche einen großen Vorplatz, eine Krypta und einen Garten, der nach Wiesenblumen duftet. Hier werden die Gläubigen von Marcia empfangen, die Geschichten von dem Heiligen erzählt, der durch seine Worte die Menschen verzaubern konnte.

 

Antonius auf dem Kopf und ohne Kind

Die Reise von der texanischen Stadt in die Hauptstadt von Mexiko ist lang. Mexiko City erinnert uns daran, dass die Franziskaner unter den ersten waren, die diesen Teil von Amerika evangelisiert haben. Sie kamen im Jahr 1524 am Hafen von Veracruz in Mexiko an. Dann teilten sie sich in vier Gruppen, je nach ihrem neuen Einsatzort: Tlaxcala, Huejotzingo, Texcoco und Mexiko City.

In einem der schönsten und ältesten Teile der Hauptstadt, auf dem grünen Platz von Coyoacan, erhebt sich die Kirche von Johannes dem Täufer. Auf dem Vorplatz riecht es nach scharfem Essen, er wird belebt von bunten Farben, fröhlichen Stimmen, spazierenden Paaren, Kindern mit ihren Müttern, auf den Stufen der Kirche bitten Bettler um ein paar Pesos. 

Die Bilder an den Wänden der Kathedrale erinnern an die ersten Begegnungen der Franziskaner mit den Ureinwohnern. Der anliegende Konvent betreibt seit 50 Jahren eine medizinische Versorgungsstelle für Bedürftige. Aber um deutlichere Spuren des heiligen Antonius zu finden, muss ich ein bisschen weiter gehen. „Die Kirche des heiligen Antonius ist nicht weit, sie liegt in der Via Francesco Sosa. Sie ist nur am Wochenende geöffnet, die liturgischen Dienste übernehmen immer wir“, erklärt mir Br. Jorge Jesús Fernández Valderrama, ein lustiger Einundfünfzigjähriger. Als er merkt, dass ich Italiener bin, strahlt er über das ganze Gesicht und fängt an, Italienisch mit mir zu sprechen. „Die unverheirateten Frauen beten zum heiligen Antonius, dass sie einen Mann finden, und bevor sie nicht den richtigen gefunden haben, stellen sie seine Statue auf den Kopf.“ Das ist ein originelles Zeichen dafür, dass der heilige Antonius vor allem bei den einfachen Menschen sehr beliebt ist. Br. Jorge erklärt, dass der „Heilige der Liebe“ sich noch anderes gefallen lassen muss: „Sie klauen ihm das Jesuskind und geben es erst zurück, wenn sie einen Mann gefunden haben.“ Dann erklärt er mir: „In jedem Staat gibt es eine Kapelle oder eine Kirche, die dem heiligen Antonius geweiht ist. Aber du musst unbedingt nach Calpulalpan in Tlaxcala fahren, einen kleinen Staat im Zentrum von Mexiko, wenn du eine wirklich interessante Tradition finden willst.“ Ich nehme seinen Rat an und nehme Kontakt zu dem dortigen Konvent auf. Dort treffe ich Br. Rosendo Aguas de Cholula, der mir auf lustige und sympathische Art von Antonius' „Rache“ erzählt. „Unsere Kirche und unser Konvent sind dem heiligen Simon und dem heiligen Judas geweiht, aber trotzdem ist der heiliger Antonius derjenige, der hier am meisten verehrt wird, und das hat er selbst zu verstehen gegeben.“ Die Geschichte besagt, dass die Franziskaner die Ureinwohner in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts „bekehrt“ haben.    

 

Eine Statue, die nicht mehr weg will

Im Jahr 1850 brechen die Indios von der Stadt Puebla mit einer Statue des heiligen Antonius auf, um sie nach Texcoco zu bringen, wo sie restauriert werden soll. Die Reise ist lang, und in Calpulalpan bitten sie um Aufnahme. Sie verbringen dort die Nacht. Am nächsten Tag gelingt es ihnen nicht, die Statue zu bewegen, die auf einmal auf unerklärliche Weise zentnerschwer geworden ist. Diese seltsame Begebenheit wird als Wunsch des Heiligen gedeutet, dort in dieser Kirche zu bleiben. Seither ist der heilige Antonius der von den Indios am meisten verehrte Heilige. Im Juni kommen zu seinen Ehren 10.000 Menschen zusammen. Vor dem 13. Juni gibt es eine neuntägige Prozession, bei der sich die unterschiedlichen Stämme abwechseln und während der dem Heiligen aus Padua in der antiken Sprache nahuatl gehuldigt wird. Die ersten Früchte von den Feldern – Tomaten, Äpfel und die allgegenwärtigen Pfefferschoten – werden zu Ketten verknüpft, um dieses Fest zu einem Fest für alle Sinne werden zu lassen. Das ist ein weiterer Beleg dafür, dass der heilige Antonius hier kein Fremder ist, sondern ein enger Freund, der dir hilft, wenn du ihn brauchst.

Zuletzt aktualisiert: 11. November 2019
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