Der Heilige Vater - 80 Jahre jung

19. März 2007 | von

Mit einem Sonderzug werden Pilger aus der Erzdiözese München-Freising am 16. April 2007 nach Rom anreisen, um dem Papst an seinem 80. Geburtstag nahe zu sein. Wir dagegen durchwandern die Straßen seiner Kindheit und Jugend und suchen in Gedanken jene Orte auf, an denen der Heilige Vater groß geworden ist.


Wo ein Mensch groß wird, diese Redewendung unserer deutschen Sprache hat hier einen besonderen Klang. Wir meinen damit ja nicht die Stätten des Wirkens und der Karriere eines Menschen, der es zu etwas gebracht hat, sondern die Orte seiner Kindheit und Jugend. Spätere Größe wird im Schoß der Familie grundgelegt. Und Papst Benedikt XVI. zeigt ungeniert seine innere Verbundenheit mit den Orten und Prägungen seiner Kindheit und Jugend.

Nach fast einem halben Jahrtausend wurde am 19. April 2005 wieder ein Deutscher zum Papst gewählt, als 264. Nachfolger des heiligen Petrus. Der letzte Deutsche auf dem Stuhl Petri, Papst Hadrian VI. (er regierte vom 9. Januar 1522 bis zum 14. September 1523), wurde 1459 im niederländischen Utrecht geboren und stammte damit aus dem „Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation“.

Heimspiel. Bereits zwei Auslandsreisen führten Papst Benedikt XVI. in sein Heimatland. Den Termin im August 2005 zum Weltjugendtag in Köln fand er bereits vor. Dass er dann im September 2006 nicht „Deutschland“ ganz allgemein besuchte (mit einem offiziellen Empfang in Berlin zum Beispiel), sondern die bayerischen Städte München, Altötting und Regensburg, sowie seinen Geburtsort Marktl am Inn, war seine ganz persönliche Entscheidung. Die Bischöfe und Gläubigen der nicht bedachten deutschen Diözesen werden diese Auswahl vielleicht bedauert haben. Doch der Heilige Vater, der sich bei seiner ersten Ansprache nach der Wahl als „einfachen Arbeiter im Weinberg des Herrn“ bezeichnete, bekennt sich bewusst zu seiner Heimat, seinen bayerischen Wurzeln, seiner sozio-kulturellen Prägung, seiner einfachen Herkunft.

Nicht vergönnt war es dem Papst, bei seiner Reise im September 2006 jene Orte seiner Kindheit aufzusuchen, an die er auch tatsächliche Erinnerungen hat. Denn der kurze Halt in Marktl am Inn mit dem Besuch seiner Taufkirche galt ja nur seinen beiden ersten Lebensjahren. Überhaupt fällt es jemandem schwer, der nicht im Inn-Salzach-Dreieck zu Hause ist, sich die vier Orte samt ihrer Reihenfolge zu merken, an denen Papst Benedikt seine ersten zehn Lebensjahre verbracht hat: Marktl, Tittmoning, Aschau und Hufschlag bei Rosenheim. Für professionelle Verseschmiede wäre es eine lohnenswerte Aufgabe, einen Merkvers zu dichten, um Namen und Reihenfolge der vier päpstlichen Kindheitsstationen leichter behalten zu können. An ihnen entlang wollen wir einen Parcours durch die Kindheit und Jugend des Papstes abgehen.

Kinderjahre. In Marktl am Inn wurde Joseph Alois Ratzinger am 16. April 1927 geboren, es war ein Karsamstag. Und getauft wurde er „gleich am Morgen meines Geburtstages mit dem eben geweihten Wasser in der zu jener Zeit am Vormittag gefeierten ‚Osternacht’“, so vermerkt er in seinen Erinnerungen „Aus meinem Leben“. Der Ort im oberbayerischen Landkreis Altötting gehört zur Diözese Passau.

Der Vater, ein Gendarm, bekam 1929 in Tittmoning einen neuen Aufgabenbereich. Hier setzen bei Papst Benedikt die bewussten Lebenserinnerungen ein: „Die zweite Station unserer Wanderschaft war Tittmoning, die kleine Stadt an der Salzach.“ Und dann sprudelt es nur so: „Tittmoning … ist das Traumland meiner Kindheit geblieben.“ „Am meisten aber liebten wir die schöne alte barocke Klosterkirche, die einst den Augustiner-Chorherren gehört hatte, nun aber liebevoll von den Englischen Fräulein betreut wurde. In den alten Klostergebäuden war jetzt die Mädchenschule und der damals ‚Kinderbewahranstalt’ genannte Kindergarten untergebracht.“ Diesen Kindergarten besuchte Joseph im Alter von drei Jahren.

Traumland. Im Jahr 1932 folgt der Umzug nach Aschau am Inn, wo der fünfjährige Joseph eingeschult wird und mit seinem Bruder Georg im nahe gelegenen Kloster der Franziskanerinnen von Au Klavierunterricht erhält. „Im Dezember, kurz vor Weihnachten, bezogen wir unsere neue Heimat in Aschau am Inn, einem behäbigen Bauerndorf mit großen, ansehnlichen Höfen.“

Vier Jahre später lässt sich der Vater im Alter von 60 Jahren pensionieren. So bezieht die Familie im April 1937 – Joseph wird zehn Jahre alt – das Haus in Hufschlag bei Traunstein. „Bereits 1933 hatten die Eltern zu billigem Preis ein altes Bauernhaus … am Stadtrand von Traunstein erwerben können … das dann unsere eigentliche Heimat geworden ist.“ Jetzt besucht Joseph die erste Klasse des humanistischen Gymnasiums in Traunstein; er hat eine halbe Stunde Schulweg, damals ohne einen bequemen Schulbus. An Ostern 1939 tritt er in das Traunsteiner Knabenseminar ein.

Hier verlassen wir den Parcours durch die Kindheit und Jugend des Papstes. Wenn Sie Sie neugierig geworden sind, können Sie in den Erinnerungen des Papstes „Aus meinem Leben“ selbst nachlesen und weiterlesen.

Dass die Rede vom „Traumland meiner Jugend“ keine bloße Floskel war, bewies der Papst anlässlich der Verleihung der Ehrenbürgerwürde durch die Gemeinde Tittmoning. In freier Rede schenkte er am 24. Januar 2007 seinen neuen „Mitbürgerinnen und Mitbürgern“, die mit einer guten Hundertschaft in den Vatikan gekommen waren, eine sehr persönliche Erinnerung aus dem dortigen Kindergarten. Der Papst erzählte diese Geschichte Ende Januar, sozusagen außer Saison, so dürfen wir sie auch noch im April vorbringen, denn sie ist köstlich.

Perlen der Erinnerung. Der frisch gekürte Ehrenbürger begann mit einem Lob. „Tittmoning bleibt ja die Traumstadt meiner Jugend, in die ich in meinen Gedanken und Träumen immer wieder einkehre. ... Ich werde ja leider, nach menschlicher Voraussicht, nicht mehr richtig dahin fahren und dort wandern können auf den Straßen meiner Kindheit und Jugend, aber die Wanderschaft in den Erinnerungen bleibt mir und ist nun lebendiger geworden, weil ich nun wirklich einer von den Ihrigen bin, Tittmoning zu mir gehört und ich ein Tittmoninger bin.“

Dann der Verweis auf die Wurzeln. „Ich habe nachgedacht, wie ich sozusagen mein Bild von Tittmoning zusammenfassend darstellen kann. Da würde ich sagen, mir ist ein Dreiklang gekommen. Tittmoning ist zunächst einmal eine wirklich bayerische Stadt, das Herzhafte und Lebhafte, Fröhliche des Bayerischen ist da ganz gegenwärtig. Aber Tittmoning ist nicht nur bayrisch. Es liegt an der Salzach, es schaut nach Salzburg hinüber, ist von Salzburg und damit auch vom Italienischen geprägt worden. Es hat dieses Heitere und Weite des Salzburgischen, Italienischen und des Bayerischen zugleich in sich. Und endlich: Es ist vom Katholischen geprägt. Himmel und Erde gehören zueinander, die Sinnenfreude des Katholischen, das Lebendige, und dann zugleich die Weite, die über die Grenzen hinüberschaut, die Kulturen und Völker miteinander verbindet, füreinander offen ist, sich in ihnen wieder erkennt und Himmel und Erde miteinander verbindet. So ist es eine Stadt, in der wir dieses Besondere des Europäischen haben: tiefgreifende Wurzeln, die dann zugleich Weite gestatten und die Zukunft eröffnen.“

Der Krampus kommt. Beim gemeinsamen Frühstück mit seinen beiden Sekretären hatte der Papst ihnen schon eine Kostprobe davon gegeben, womit er die Tittmoninger dann in seiner Ansprache überraschen sollte: „Vom Kindergarten, wie wir vor Weihnachten in den Gängen dort herumgegangen sind und geprobt haben zu singen. Und dann einzuziehen in den Saal, in dem ein Christbaum stand - es bleibt für mich wirklich ein Traum -, der bis zur Decke reichte und oben sich noch ein bisschen herumbog. Und ich habe ihnen erzählt vom Nikolaus, der mit goldbrokatenen Gewändern kam, und dadurch war für mich ganz sicher, dass alle anderen Nikoläuse falsch sind, aber dass das der richtige ist, der einzig richtige.

Und zwei Schwestern haben die Türen zugehalten, damit der Krampus nicht hereinkam, der draußen fürchterlich getobt hat. Wenn dann die schlimmen Dinge verlesen wurden, die wir angestellt haben, konnten sie die Türen fast nicht mehr zuhalten. Das war viel schlimmer, als wenn er da gewesen wäre, weil das nur Vorstellbare, nicht Eintretende viel gefährlicher ist, als das was man wirklich sehen kann. An den besonders schlimmen Stellen haben die Schwestern gesagt, ‚jetzt konnten wir die Türen eben noch halten, wenn noch Schlimmeres kommt, dann geht’s nicht mehr’. Das war der stärkste Antrieb zu versuchen, im nächsten Jahr nichts zu tun, was dazu führen könnte, dass die Schwestern eventuell die Türen nicht mehr zuhalten könnten.“

Die Gebäude des alten Augustinerklosters von Tittmoning hüten die Erinnerungen des Papstes. Immer noch ist hier der Kindergarten untergebracht. Die Kleinen hatten dem Heiligen Vater eigens Grüße aufgetragen. Seine Antwort: „Vergelt’s Gott für alles, Gottes Segen!“

 

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016