Der Schlüssel zur Gelassenheit

22. Oktober 2009 | von

Was für eine attraktive Vorstellung: gelassen und entspannt die Klippen des täglichen Lebens umschiffen. Vielen von uns gelingt das nicht. Sie fühlen sich als Spielball eines ungnädigen Schicksals, erfüllen zwanghaft verinnerlichte Erwartungen und wissen nicht, wie sie sich diesem Kreislauf aus Stress und negativen Gedanken entziehen können. Unsere Autorin gibt Ihnen Tipps, wie Sie wieder zu mehr Ruhe und Gelassenheit gelangen können.


In der Hektik des Alltags kommen Pausen zum Durchatmen häufig zu kurz. Statt dessen gilt es, ständig am Ball zu bleiben und dabei die verschiedensten Interessen unter einen Hut zu bringen. Wer sich Zeit lässt oder etwas ohnehin ganz sein lässt, gilt schnell als nicht leistungsfähig oder gar als Versager. Dabei sind nicht nur körperliche, sondern auch seelische Kräfte begrenzt. Wenn die Anforderungen dauerhaft überhand nehmen, können sich eine Reihe von chronischen Befindlichkeitsstörungen einstellen: eine nicht mehr weichende Müdigkeit, Antriebslosigkeit, Desinteresse am Leben, Konzentrationsstörungen mit Grübelzwang. Am Ende steht das Gefühl der inneren Leere und Gefühllosigkeit als Ausdruck eines gestörten und verflachten Verhältnisses zum Selbst. In diesem oft schleichend verlaufenden Prozess spielen verzerrte Wahrnehmungs- und Denkmuster eine wichtige Rolle.



Beispielsweise gelingt es der betroffenen Person nicht mehr, genau zuzuhören: Ein Aspekt des Gesprächs, etwa eine kritische Randbemerkung des Vorgesetzten, wird hervorgehoben, ein ausgesprochenes Lob aber überhört.



Oder es lässt sich eine Tendenz zu überzogenen Verallgemeinerungen beobachten. Ein einziges Missgeschick – wie ein schlechtes Prüfungsergebnis – genügt, um daraus auf immerwährende Fehlschläge in diesem Bereich zu schließen: „Das lerne ich nie!"



Im Sog der inneren Antreiber



Häufig melden sich auch die inneren Antreiber deutlicher als sonst zu Wort. Gemeint sind Regeln und Erwartungen des sozialen Umfelds, die schon sehr früh in der kindlichen Entwicklung verinnerlicht werden – etwa: „Ein Indianer weint nicht!" oder „Sei immer schneller und besser als die Anderen". Die Betroffenen erleben diese Regeln als unveränderbar und sehen sich gezwungen, auf eine bestimmte Weise zu sein und zu leben. Egal ob sie dadurch große Härten erleiden, oder ob diese Erfüllung eigener und fremder Erwartungen in ihrem Leben überhaupt Sinn macht. Was kann getan werden, um dieser Spirale zu entkommen?



Lernen Sie, Achtsamkeit gegenüber sich selbst zu bewahren! Dazu gehört die Kunst, aufkommende Gedanken und Gefühle zu registrieren, sich aber nicht völlig in ihren Sog ziehen zu lassen. Um dies zu lernen, gibt es viele Möglichkeiten, aber kein Patentrezept. Für den einen sind es Übungen zur Körperwahrnehmung wie Atemübungen, für den anderen Entspannungstechniken (Autogenes Training, Yoga und ähnliche), Meditation oder achtsamkeitsbasierte Übungen. Auch das Christentum bietet diesbezüglich einen reichen Schatz, etwa Rosenkranzmeditationen oder kontemplative Gebete.



Beim Auftreten von verzerrten Denkmustern: Wenden Sie Gegenstrategien an! Wenn Sie sich in einer hektischen Situation dabei ertappen, wie sich ihr Blickwinkel auf Negatives verengt, steuern Sie dem entgegen. Sie können beispielsweise Ihre Aufmerksamkeit bewusst auf Positives in Ihrem Umfeld lenken. Richten Sie Ihren Blick auf Menschen oder Gegenstände, die Sie erfreuen oder die ein Gefühl der Sicherheit schenken. Es kann auch helfen, sich auf seinen Atem zu konzentrieren oder ein Gebet zu sprechen. In der Vielzahl der Eindrücke vermittelt es Stabilität, führt zurück zum Selbst und weist doch darüber hinaus. In diesem Zusammenhang ist das Jesusgebet, eine eindrucksvolle, meditative Gebetsweise der Ostkirche, zu erwähnen.



Gegen die Tendenz zu Verallgemeinerungen ist es wirkungsvoll, bedacht mit Wörtern wie „alle", „niemand" oder „immer" umzugehen und statt dessen bevorzugt die Wörter „manchmal", „einige" oder „noch nicht" zu benutzen. Mit den Wörtern „noch nicht" lenken Sie beispielsweise Ihre Aufmerksamkeit auf Möglichkeiten, Chancen und Potenziale. Mit diesem Ansatz werden aus Problemen noch nicht gefundene Lösungen, aus Unfähigkeit Noch-nicht-Fähigkeiten oder aus Schwächen Stärken, die im Wachsen begriffen sind.



Herzbeziehung



Wenn Sie schließlich dazu neigen, sich von den inneren Antreibern übermäßig unter Druck setzen zu lassen, wirkt der Gedanke befreiend, dass jeder Mensch einzigartig ist: einzigartig in seinen Bedürfnissen, seinen Potenzialen, aber auch in seinen Grenzen. Respektieren Sie diese Einzigartigkeit und es wird Ihnen besser gelingen, das laute Rufen in ein Flüstern oder gar Schweigen zu verwandeln.



Die beschriebenen Ansatzpunkte können zu mehr Ruhe und Gelassenheit im Alltag beitragen. Gelassenheit hilft, die unverfügbaren Ausgangsbedingungen des persönlichen Daseins in den Lebensplan einzufügen und in schwierigen Situationen bedacht die individuell richtige Wahl zu treffen.



Bei jedem Schritt des Weges zu mehr Ruhe und Gelassenheit geht es letztlich darum, in eine lebendige Beziehung zu sich selbst zu treten. Aus christlicher Sicht interpretiert, lässt sich dieses Beziehungsgeschehen über den Aspekt des Selbst

hinaus weiterführen.



Diesen Prozess bringen folgende Worte des Franz von Sales treffend zum Ausdruck: „Ist dein Herz in die Irre gegangen, dann gehe es vor allem suchen, führe es ganz behutsam in die Gegenwart Gottes zurück."



 

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016