Die Auslegung der Bibel auf Abwegen

22. Februar 2011 | von

An einigen Bibeldeutungen zeigt der Autor auf, wie die Heilsbotschaft verdunkelt wird, wenn die Auslegung zu eng gerät und am bloßen Wortlaut klebt. Meist wird eine Textstelle aus ihrer kirchlichen Auslegungstradition herausgerissen und eigenwillig interpretiert. Die Frohbotschaft wird dann leicht zu einer Drohbotschaft, die Umweltängste schürt. Bildreiche, gleich­nis­hafte Berichte werden als „Reportagen“ missverstanden, für deren wörtliches Verständnis man die Vernunft verleugnen muss. Auch magische Kräfte sind immer wieder dem Schriftwort zugeschrieben worden.



Der Begriff „fundamentalistisch“ wurde von konservativ-protestantischen Exegeten auf einem amerikanischen Bibelkongress geprägt, der 1895 stattfand. Das geforderte wortwörtliche Verständnis, auch „Biblizismus“ genannt, verschließt sich einer Auslegung, welche die Bibel in ihrem geschichtlichen Wachstum und aus ihrem kulturellen Umfeld heraus versteht. Im Dienst dieses „engen“ Bibelverständnisses steht der „Internationale Rat für Biblische Irrtumslosigkeit“ (CBI).

Biblizistische Auslegungen sind natürlich auch in der katholischen Kirche zu finden. Das Vatikanische Dokument von 1993 „Die Interpretation der Bibel in der Kirche“ nennt die Grundprobleme einer fundamentalistischen Auslegung: Weil man sich dem kulturellen Umfeld verschließt, in dem menschliche Autoren unter göttlicher Inspiration geschrieben haben, tendiert man dazu, den Bibeltext als wortwörtliches Diktat des Heiligen Geistes zu verstehen. Den Spuren unterschiedlicher historischer Situationen wird nicht nachgegangen und literarische Ausdrucksformen werden nicht berücksichtigt. Zudem ignoriert die fundamentalistische Auslegung, dass die Bibel beider Testamente dem antiken Weltbild verhaftet ist, das mit dem heutigen nicht übereinstimmt.

Oft fasst der Fundamentalismus als geschichtlich auf, was gar nicht als Geschichte gedacht war. In der Bibel finden sich nebeneinander: referierte Geschichte – gedeutete Geschichte – und Glaubensaussagen in geschichtlichem Gewand. So ist die Erzählung von Adam und Eva, ihrem Sündenfall und ihrer Vertreibung aus dem Paradies ein Beispiel für Glaubensaussagen in geschichtlichem Gewand.

Das Dokument der Päpstlichen Bibelkommission sieht in der fundamentalistischen Auslegung die Tendenz zur geistigen Enge, die einen offenen Dialog zwischen Kultur und Glauben verhindert und zur „Selbstaufgabe“ des Denkens führt.



SCHÖPFUNGSGLAUBE RECHT VERSTANDEN

„An Gott, den Schöpfer, zu glauben ist nicht identisch mit dem Versuch gewisser christlicher Kreise, die sechs Tage der Schöpfung, von denen im ersten Kapitel des Buches Genesis die Rede ist, nach Art eines protokollarischen Berichtes als sechs chronologische Tage zu verstehen und mit allen Mitteln auch wissenschaftlich zu versuchen, ein Erdalter von etwa 6000 Jahren zu beweisen .....“ (aus: Christoph Kardinal Schönborn, Ziel oder Zufall? Schöpfung und Evolution aus der Sicht eines vernünftigen Glaubens, Herder 2007).

Von der Überzeugung ausgehend, dass jedes Wort der Bibel unmittelbar von Gott eingegeben ist, also ausgehend vom Verständnis einer wörtlichen Inspiration, werden auch die sechs Tage der Schöpfung wörtlich genommen. Es ist verständlich, dass viele Menschen in den USA sich energisch, auch mit Prozessen, dagegen wehren, dass dies so in den Schulen gelehrt wird. Freilich gibt es auch das legitime Anliegen, kritische Fragen gegenüber dem „Darwinismus“ im Unterricht zu behandeln.

Der heilige Thomas von Aquin sagt, man dürfe „den christlichen Glauben nicht mit Argumenten verteidigen wollen, die ihn lächerlich machen, weil sie offensichtlich der Vernunft widersprechen“. Zu behaupten, die Welt sei nur 6000 Jahre alt, ist unsinnig. Ein Versuch, solches wissenschaftlich zu beweisen, ist genau das, was der heilige Thomas die „irrisio infidelium“, den Spott der Heiden nennt. Es ist ausdrücklich abzulehnen, den Glauben durch solche Argumente dem Gespött auszusetzen.

„Recht verstandener Schöpfungsglaube und recht verstandene Evolutionslehre stehen sich nicht im Weg. Schöpfung stellt sich im Licht der Evolution als ein zeitlich erstrecktes Geschehen – als „creatio continua“ (als fortwährende Schöpfung) dar“ (Papst Johannes Paul II. anlässlich eines Symposions zum Thema „Christlicher Glaube und Evolutionstheorie“).



DREHBUCH FÜR DAS ENDZEITDRAMA?

Die Katastrophen des letzten Jahrhunderts, die zwei Weltkriege, die nie aufhörenden, lokal begrenzten Kriegshandlungen, Terrorismus, neue Krankheiten und die Möglichkeit der Selbstzerstörung unseres Planeten wecken das Interesse an jenem biblischen Buch, das uns viele unheilvolle Bilder vor Augen stellt. Der Autor der Apokalypse bleibt hinter seiner Botschaft verborgen. Er stellt sich vor als „Knecht Johannes“, der durch einen Engel diese Offenbarung Jesu Christi empfing (Offb 1,1).

In einer tastenden Bildsprache versucht Johannes, das Unsagbare der Zukunft, die Gott heraufführt, in Worte zu kleiden. Die Einzelbilder sind nicht wie in einem Puzzlespiel zusammenzusetzen, um eine zeitliche Abfolge der Endzeitereignisse zu erhalten. Diese Versuche gehen an der zeitlosen Botschaft des Buches vorbei. Die Bedrängnisse der Christenverfolgung unter Kaiser Domitian stehen eindeutig im Vordergrund, wenn auch in verhüllter Sprache. Sie sind aber beispielhaft für den in der Geschichte sich fortsetzenden Kampf des Drachens mit den Kindern jener herrlichen Frau, die mit zwölf Sternen bekrönt ist (Offb 12). Diese Frau ist die Kirche, die Braut des Lammes, die Mutter der Christen, die mitten in den Auseinandersetzungen stehen.

In der schrecklichen Lage der Verfolgten – die es im Laufe der Geschichte leider immer gab – verheißt das Lamm, das im Tod geopfert wurde und jetzt ewig lebt, den endgültigen Sieg aller, die im Glauben feststehen. Gott wird kommen, um jede Träne zu trocknen (Offb 7,17).

Christliche Prophetie sei ohne physikalische Kenntnisse kaum zu verstehen, diese These vertritt Bernhard Philbert in seinem Buch „Christliche Prophetie und Nuklearenergie“. Das letzte Buch des Neuen Testamentes ist für ihn eine Offenbarung der „Letzten Dinge“. Der für die Endzeit geschriebene Inhalt der Johannesapokalypse ist seiner Meinung nach im Wesentlichen eine Beschreibung modernster Kampfmittel, die in konsequenter Abfolge die Vorgänge und Folgen einer Nuklearkriegsführung wiedergibt.



PSEUDEWISSENSCHAFTLICHE DEUTUNG

Akribisch versucht Philbert, die in der Bibel verwendeten Bilder als Beschreibung moderner Kriegsführung zu deuten. Im konventionellen militärischen Bereich stehen z.B. „Adler“ für hochfliegende Aufklärungsflugzeuge, Kondensstreifen von Flugzeugen sollen mit „Frauenhaar“ beschrieben sein, der Lärm der Triebwerke als „Flügelschläge“. In den Posaunenstößen der Engel meint er, die Vernichtungskraft von Nuklearwaffen herauszuhören.

Hier werden verschiedene Ebenen vermischt, wenn etwa der Physiker sagt, was Theologen zu lehren und Christen zu glauben haben, und wenn heutige Militär-Technik und deren Folgen zur Interpretation biblischer Texte verwendet werden. Sehr problematisch ist, wenn derartige Auslegungen in der kirchlichen Verkündigung für kompetent gehalten werden.

Es ist eine Vereinseitigung, das 12. Kapitel der Offenbarung des Johannes als Schlüssel für die Apokalypse und Deutung unserer Zeit zu verstehen.

Katholische Randgruppen behaupten, der angeblich darin beschriebene Endkampf zwischen den Mächten des Bösen (Satan und die Dämonen) und den Mächten des Guten (Maria mit Michael und den Engeln) in einer letzten, alles entscheidenden Schlacht sei in der geistigen Welt bereits voll entbrannt, nun müsse der Mensch sich auf die Seite Mariens schlagen, um auf der Seite der Sieger zu sein. Verbunden mit den „Botschaften“ von La Salette wird unsere Zeit weiter gedeutet: „Wir sind gegenwärtig am Ende dieses Jahrhunderts Zeugen, wie der Endkampf zwischen dem roten Drachen (Satan) und der Frau der Apokalypse ausgetragen wird ....“



RÄCHER STATT RICHTER

„Das Buch von Johannes Maria Höcht über die große Botschaft von La Salette ... ist Anlass, den mütterlichen Appell Mariens im Licht der neuesten geschichtlichen Ereignisse zu überdenken. ... Wenn mein Volk sich nicht unterwerfen will, bin ich gezwungen, den Arm meines Sohnes fallen zu lassen, er ist so schwer geworden, dass ich ihn nicht mehr zurückhalten kann“ (aus dem Vorwort von P. Hnilica SJ, Titularbischof von Rusado, zu Johannes Maria Höcht, Die große Botschaft von La Salette).

Aus theologischen und sachlichen Erwägungen wurde die „große Botschaft“ – eine spätere Erweiterung der „Privatoffenbarungen“ von La Salette – wiederholt vom kirchlichen Lehramt verurteilt.

Krisenzeiten sind immer auch Zeiten der Zukunftsängste, in denen man sichere Antworten sucht. Bereits im 13. Jahrhundert klagte der heilige Bonaventura, die vielen Prophezeiungen über die Kirche und das Ende der Welt hingen ihm schon zum Halse heraus.

Bei solchen Auffassungen apokalyptischer Bibeldeutung hat der Erlöser kaum Platz, denn er wird bestenfalls zum „gerechten Richter“, wenn nicht zum Rächer. Es scheint, dass hier der Muttergottes jener Platz eingeräumt wird, der nur dem Erlöser und Heiland zukommt. Damit werden verkehrte und falsche Frömmigkeitsformen gefördert. Wie schön und biblisch ist doch das Marienbild der „Wegweiserin“, die uns Menschen mit einer Geste auf ihren göttlichen Sohn hinweist und wir an ihre Worte bei der Hochzeit zu Kana erinnert werden „Was er euch sagt, das tut!“ (Joh 2,5).

Besonders brisant ist die Verknüpfung des aktuellen Nahost-Konflikts mit den Endzeiterwartungen.



Nahost-Konflikt und ENDZEIT

Das endzeitliche Heil wird hierbei von der Rettung ganz Israels (siehe Röm 11,25f) durch seinen von vielen nicht erkannten Messias abhängig sein. Man ist überzeugt, den Fahrplan der auf die Endzeit zielenden Ereignisse zu kennen.

Die biblischen Entwürfe der „Endzeitbilder“ werden sehr wörtlich verstanden, ebenso ihre geographische Bindung an Zion, Jerusalem und das Land Israel.

Als erstes Zeichen für die hereinbrechende Endzeit wird die Rückkehr des jüdischen Volkes aus der Zerstreuung unter den Nationen in ihr biblisches Land gedeutet. Diese Sammlung beschleunigt aber auch die Ankunft des Gottesreiches, denn durch sie bietet sich die Möglichkeit an, durch christliche Zeugnisse die Hoffnung auf das Kommen des verheißenen Messias zur Erlösung „ganz Israels“ zu wecken. Als „Brückenkopf“ zur endzeitlichen Einheit von Juden und Christen wird die wachsende Zahl der „messianischen Juden“ angesehen, das heißt jener, die sich zu Jesus, dem Messias Israels und der Völker, bekennen.

Der sich radikalisierende Islam wird nach dem Faschismus und Marxismus als Zuspitzung jener Mächte angesehen, die dem wachsenden „Reich Gottes“ in unversöhnlicher Feindschaft gegenüberstehen. Israel wird gewarnt, der Versuchung nicht zu erliegen, auf einen „falschen Messias“ und einen „falschen Frieden“ die Hoffnung zu setzen. Deswegen steht man einem „Nahost-Friedensprozess“ ablehnend gegenüber und bezieht damit aufgrund eines fundamentalistischen Bibelverständnisses eine einseitige und gefährliche politische Position.

Nach Offb 20 ziehen die Völker zur letzten Schlacht gegen „Gottes geliebte Stadt“. Aus dieser letzten Existenzbedrohung von „islamischer Seite“ wird der HERR sein Volk wunderbar erretten. Der „Nahost-Konflikt“ wird mit dem Kommen des Messias zur Rettung von „ganz Israel“ gelöst (vgl. Röm 11,25). Israel befindet sich auf dem letzten Wegstück seiner Geschichte und muss durch äußerste Bedrängnis hindurch seinem Messias entgegengehen. Diese Sicht übt eine große Faszination aus. Man hat die Möglichkeit, durch Dienste an Israel sich mitten in das Endzeitgeschehen hineinzubegeben, und indem man Juden ihrem Erlöser entgegenführt, beschleunigt man die Wiederkunft Christi. Eine fatale Interpretation mit bekannten Folgen.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016