Die Bibel - ein besonderes Buch

17. Januar 2022 | von

Unser neuer Autor für biblische Themen startet mit einem grundsätzlichen Überblick zur Bibel. In den nächsten Monaten wird er die einzelnen Bücher der Heiligen Schrift vorstellen.

Die Bibel ist ein sehr altes Buch und wurde in nahezu alle Sprachen übersetzt. Sie ist das am meisten verkaufte, aber vermutlich das am wenigsten gelesene Buch. Wir begegnen der Bibel in unterschiedlichen Kontexten: im Gottesdienst, im Fernsehen, im Radio, in Hotels und Tagungshäusern, in Buchhandlungen und an weiteren Orten. Sie ist in vielen Haushalten zu finden.

Die Bibel – Eine Bibliothek

Die Bibel ist ein besonderes Buch, denn sie ist ein Buch, das zugleich mehrere Bücher enthält. Das Wort „Bibel“ geht zurück auf das griechische Wort biblia und das heißt übersetzt „Bücher“. Sie gleicht einer Bibliothek mit 73 Bänden. Das ist eine ganze Menge und auf den ersten Blick so nicht zu erkennen. Die Bücher sind unterschiedlich lang. So umfasst zum Beispiel das Buch Jesaja 66 Kapitel, aber der Brief des Apostels Paulus an Philemon nur 1 Kapitel.

Das Alte Testament (AT), die Schriftensammlung Israels, macht dabei den größten Teil aus. Die meisten Bücher des AT sind in Hebräisch verfasst. Manche enthalten Passagen in Aramäisch (zum Beispiel Esra und Nehemia) oder sind in Griechisch überliefert, aber ursprünglich in Hebräisch verfasst (zum Beispiel Tobit oder das Buch der Weisheit). Letztere werden auch deutero-kanonische (zweiter Kanon) oder apokryphe (verborgene) Schriften genannt, da sie nicht im jüdischen Kanon enthalten sind. Kanon meint Richtschnur, Regel oder festgesetzte Ordnung. Im biblischen Kanon ist festgelegt, welche Schriften zur Heiligen Schrift gehören. Bei der Auswahl spielten verschiedene Kriterien eine Rolle. So war im AT die Aufnahme des Buches Ester sehr umstritten, weil dort Gott nicht explizit vorkommt.

Jüdischer Kanon

Der jüdische Kanon besteht aus 39 Schriften und drei Teilen: 1) Tora (T), 2) Propheten (Nebiim, N) und 3) Schriften (Ketubim, Ch). Er wird deshalb auch TaNaCh genannt. Dieses Kunstwort setzt sich aus den Anfangsbuchstaben der drei Teile zusammen. Die beiden christlichen Kanones des AT – katholisch und protestantisch – unterscheiden sich vom jüdischen Kanon hinsichtlich des Umfangs und der Anordnung. Im christlichen Kanon kommen die deutero-kanonischen Schriften hinzu, die in der protestantischen Tradition als apokryph bezeichnet und in deren Bibelausgaben entweder als Anhang dargeboten oder sogar weggelassen werden. Insgesamt sind es dann 46 Bücher. Außerdem weicht das christliche AT hinsichtlich der Reihenfolge der Bücher vom jüdischen Kanon ab. Es besteht aus vier Teilen: 1) Die Bücher der Weisung: die Tora (Genesis – Deuteronomium); 2) Die Geschichtsbücher (Josua – 2 Makkabäer); 3) Die Weisheitsschriften (Ijob – Jesus Sirach) und 4) Die Propheten (Jesaja – Maleachi). Das Buch Rut befindet sich im jüdischen Kanon im dritten Teil, also eher am Ende, aber im christlichen AT ist es zwischen das Buch der Richter und das erste Buch Samuel gerutscht, also ziemlich an den Anfang.

Katholisch und protestantisch

Das Neue Testament (NT) umfasst 27 Bücher und drei Teile: 1) Die Geschichtsbücher: Die vier Evangelien (Matthäus – Johannes) und die Apostelgeschichte; 2) Die Briefe: 14 paulinische Briefe (Römer – Hebräer) und 7 katholische Briefe (Jakobus – Judas) und 3) Die Offenbarung des Johannes. Es gibt aber auch hier einen Unterschied zwischen dem „katholischen“ und dem „protestantischen“ Kanon, und zwar in der Anordnung des Jakobus- und des Hebräerbriefes. Beide finden sich im „protestantischen“ Kanon erst vor dem Judasbrief, also fast am Ende. Die neutestamentlichen Schriften wurden alle in Griechisch verfasst.

Entstehung der Bibel

Die Bibel ist die Frucht einer jahrtausendealten Erzähltradition. Menschen haben sich gegenseitig von ihrem Glauben und ihrer Beziehung zu Gott erzählt. Erst viel später wurden diese Erzählungen schriftlich festgehalten. Im 8. Jh. v. Chr. begannen die Propheten und/oder ihr Schülerkreis, ihre Worte niederzuschreiben. Die meisten alttestamentlichen Schriften sind vermutlich im Babylonischen Exil (6. Jh. v. Chr.) oder danach entstanden. Das Exil war für das Volk Israel der bis dahin massivste Einschnitt in ihrer Geschichte. Viele dieser Texte sind Reflexionen über die Erfahrungen im Exil und die Befreiung daraus.

Bei den neutestamentlichen Schriften ist eine ähnliche Entwicklung festzustellen. Nach der Auferstehung Jesu gab es zunächst nur mündliche Überlieferungen, weil mit der baldigen Wiederkunft Jesu gerechnet wurde. Erst 20 Jahre später (ca. 50-55 n. Chr.) entstanden die ersten christlichen Schriften. Den Anfang machten im Rahmen der Mission die Briefe des Apostels Paulus an verschiedene Gemeinden. Das älteste schriftliche Zeugnis ist vermutlich der erste Brief an die Gemeinde in Thessaloniki. Erst im Anschluss daran entstanden die vier Evangelien als Fundament der christlichen Botschaft sowie die übrigen Schriften. Heute geht man bei der Entstehung der synoptischen Evangelien (Matthäus, Markus, Lukas) von der Zweiquellen-Theorie aus. Das Markus-Evangelium wird als das älteste, weil kürzeste, Evangelium angesehen und diente als erste Quelle für die Evangelisten Matthäus und Lukas. Die zweite Quelle, die Quelle Q, waren für diese beiden Evangelien die Sprüche und Reden Jesu sowie weitere Erzählungen. Außerdem verfügen beide über Sondergut. Das Johannes-Evangelium ist wahrscheinlich das jüngste der vier Evangelien und unterscheidet sich von den anderen im Aufbau und in der Theologie. Interessant ist, dass das Markus- und das Johannes-Evangelium keine Geburtserzählung Jesu kennen.

Übersetzungen

Wir haben es vielen Übersetzern zu verdanken, dass wir die biblischen Texte heute in unserer Sprache lesen können. Die erste Übersetzung des AT ist die Septuaginta (lateinisch: 70). 70 jüdische Gelehrte übersetzten von 250 v. Chr. bis 100 n. Chr. den hebräischen Text ins Griechische. Im 4. Jh. n. Chr. übersetzte der heilige Hieronymus das AT und NT aus der jeweiligen Ursprache ins Lateinische. Diese Übersetzung heißt Vulgata (lateinisch: „volkstümlich“). Es ist zu bedenken, dass eine Übersetzung die erste Interpretation des Textes ist. Vieles kann in unserer Sprache nicht genau so wiedergegeben werden wie in der Ursprache. Zum Beispiel haben wir im Deutschen nur ein Wort für Liebe, im Griechischen gibt es aber mindestens zwei. Im Dialog zwischen Jesus und Petrus in Johannes 21,15-21 stellt Jesus drei Mal die Frage „Liebst du mich?“ Bei den ersten beiden Fragen steht „agapeo“, aber bei der dritten Frage „phileo“. Beides heißt im Deutschen „lieben“. Das erste meint eine umfassende und göttliche Liebe und das zweite die Freundesliebe. Zudem verändern sich immer wieder auch Sprachverständnis und Sprachgefühl. Es gibt eine Vielzahl an Übersetzungen. Deshalb wollten die deutschen Bischöfe eine verbindliche und einheitliche Übersetzung für die Liturgie haben. So kam es 1980 zur ersten Fassung der Einheitsübersetzung. Diese wurde 2016 einer Revision unterzogen. Dabei wurde die Übersetzung anhand des Urtextes überprüft und an einigen Stellen ausgebessert. Außerdem wurden neue Erkenntnisse in der Bibelwissenschaft berücksichtigt.

Eine Bibel – zwei Testamente

Das Wort „Testament“ weckt Assoziationen wie endgültig, beständig, verbindlich. Leider verbinden wir damit, dass ein neues Testament das alte ablöst, ja sogar ungültig macht. Genau dies trifft aber auf die beiden Testamente der Bibel nicht zu. Das NT ist ohne das AT überhaupt nicht denkbar und nicht zu verstehen. So heißt es im NT oft „denn wie bei den Propheten geschrieben steht“ oder „damit sich das Schriftwort erfüllt“. Hier geht es aber nicht um Erfüllung im Sinne von Ablösung, sondern um eine Bekräftigung. Von daher wäre es besser mit „damit das durch den Propheten Gesagte bekräftigt werde“ zu übersetzen. Außerdem werden viele Schriftstellen aus dem AT im NT zitiert oder es werden Personen und Erzählungen wieder aufgegriffen. Hinzu kommt, dass Jesus und seine Jünger Juden und somit mit dem AT vertraut waren. Auch die frühen Christen haben es wie selbstverständlich verwendet. Erst im Laufe der Zeit kam es zu einer stärkeren Abgrenzung der Christen von den Juden, um das jeweils Eigene mehr hervorzuheben. Ich kann Ihnen nur empfehlen, die Bibel zur Hand zu nehmen und Ihre eigenen Erfahrungen zu machen. Es lohnt sich!

Unser Autor

Johannes Roth ist seit 2014 Mitglied der Deutschen Franziskanerprovinz (OFM). Im Jahr 2020 wurde er mit einer Arbeit zum Thema „Sie gingen, sie beide gemeinsam. Genesis 22 in der Exegese und in neueren Perspektiven“ zum Doktor der Theologie promoviert. Im Mai 2021 wurde er zum Priester geweiht und lehrt im laufenden Wintersemester an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen als Lehrbeauftragter am Lehrstuhl für Einleitung in die Heilige Schrift und Exegese des Alten Testaments. Seit mehreren Jahren ist er Redaktionsmitglied der Zeitschrift „Franziskaner“ und außerdem Vize-Kommissar des Heiligen Landes der Deutschen Franziskanerprovinz.

Zuletzt aktualisiert: 17. Januar 2022
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